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Schreiben wie man denkt

Der Albtraum (veraltet "Nachtmahr") hat nichts mit den Alpen zu tun, sondern mit dem Fabelwesen Nachtalb. Dieser ist eine späte Bezeichnung für ein Fantasie- und Sagenwesen, das in der Nacht auf Menschen lastet und ihnen Grauen einflößt. Hier eine Reproduktion des Gemäldes "The Nightmare" (1781) von John Henry Fusel. Repro: Wikipedia/Detroit Institute of Arts, Lizenz: gemeinfrei, Public Domain, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/deed.de

Der Albtraum (veraltet „Nachtmahr“) hat nichts mit den Alpen zu tun, sondern mit dem Fabelwesen Nachtalb. Dieser ist eine späte Bezeichnung für ein Fantasie- und Sagenwesen, das in der Nacht auf Menschen lastet und ihnen Grauen einflößt. Hier eine Reproduktion des Gemäldes „The Nightmare“ (1781) von John Henry Fusel.
Repro: Wikimedia/Detroit Institute of Arts, Lizenz: gemeinfrei, Public Domain

Gastbeitrag: Der Gebrauch des Deutschen zwischen Sprachkultur und Sprachunkultur

Gutes Deutsch als Träger einer möglichst großen Ausdrucksvielfalt und damit inhaltlich präziser Formulierungen wird außerhalb der Hochliteratur kaum noch ernstgenommen.

Sprachschlampereien werden mit dem Verweis auf den Duden, der dies gestatte, „entschuldigt“ oder mit der Erklärung, dass nach der Rechtschreibreform von 1996 ohnehin keiner mehr wisse, was richtig und was falsch sei, vom Tisch gewischt. Tatsächlich fragt man sich, ob der Duden jede (Fehl-)Entwicklung der Sprache, wenn sie nur häufig genug vorkommt, absegnen sollte.

Beim Albtraum drücken die Alben auf die Brust – nicht die Alpen

Beispiel: Der Begriff „Albtraum“ wird seit einiger Zeit im Duden auch als „Alptraum“ akzeptiert, obwohl er nichts mit den Alpen, wohl aber mit den Alben (Fabelwesen, auch Elfen) zu tun hat. Sprachschlamperei, auch wenn sie „genehmigt“ ist, führt zu einer verringerten Ausdrucksvielfalt und zum Verdecken etymologisch geprägter Kernbedeutungen.

Nicht selten muss vorgebliche Internationalität als Ausrede für sprachliche Gleichgültigkeit herhalten. Das passiert vor allem bei der Weigerung, das „ß“ zu nutzen – andere Sprachen kennten kein „ß“ und könnten es nicht schreiben, auch sei dessen Verwendung „teutschtümelnd“.

In Maßen oder in Massen gebechert?

So kommt es immer wieder zu sprachlichen Missgeburten wie „Strasse“, „Fuss“ oder „Masseinheit“. In einigen Fällen mag das lediglich ein Schönheitsfehler sein, in anderen führt das zu Verständnisschwierigkeiten. „In Maßen genossen, ist Wein gesund“ ist etwas völlig anderes als „In Massen genossen, ist Wein gesund“.

Molières „Kranker“ ist gar nicht so hochnäsig

Kleine Nachlässigkeiten immer wieder fortschreiben – das kann große, weil bedeutungsverändernde Wirkung haben. Ein Molière-Stück heißt im Original „Le Malade imaginaire“, wörtlich „Der eingebildet“ bzw. „vermeintlich Kranke“. Es geht also um einen Menschen, der sich einbildet, krank zu sein (aber eigentlich gesund ist). In nahezu allen gängigen Texten jedoch, auch in Theaterprogrammen und demzufolge Rezensionen, wird aber geschrieben: „Der eingebildete Kranke“. Warum eigentlich? Schließlich geht es nicht um einen wirklich Kranken, der hochnäsig (eingebildet) ist.

Euphemistische Sprache

Wie man über die Dinge spricht, ist durchaus wichtig. Und nicht selten entlarvend. Die harmlos wirkende, scheinbar wertfreie Bezeichnung „Operation Allied Force“ (etwa „Unternehmen Bündnisstreitmacht“) für die verbrecherischen Bombardierungen Novi Sads, Belgrads und weiterer jugoslawischen Ziele durch die US-geführte NATO im Jahre 1999 hat weder das Leid der Zivilbevölkerung gelindert noch den Charakter als Angriffskrieg des mehrmonatigen, durch keinerlei UN-Mandat gedeckten Militärüberfalls geändert. Sprache kann verdecken, aber die Realität „verbessern“ kann sie kaum.

Die Neukonstruktion von Sprachgebilden aus ideologischen Motiven heraus erschwert häufig den Sprachfluss oder erzeugt Irritationen. Sie führte in der Vergangenheit jedoch nie zu den eigentlich intendierten Veränderungen in der realen Lebenswelt.

Als beim sozialistischen Militär die Anreden „Herr“ oder „Soldat“ durch „Genosse“ (aus dem Althochdeutschen „ginoz“, also jemand, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich geteilt, der dieselben Ziele hat) verpflichtend ersetzt wurde, führte das keineswegs zu einer Aufhebung der sozialen und rangmäßigen Unterschiede und Ungerechtigkeiten unter den Militärangehörigen, sondern machte deren Weiterexistenz nur weniger sichtbar.

Sprachhülsen-Produzenten in der DDR

Auch die Absicht, durch die Einführung von „religionsfreien“ Kunstwörtern wie „Geflügelte Jahresendfigur“ für „Engel“ die christliche Prägung des Weihnachtsfestes abzuschaffen und das Fest zu einem rein kalendarisch bestimmten zu machen, ging nicht auf – erzeugte aber eine schwer handhabbare (und meist unbeliebte) Sprachhülse.

„Gender“-Konventionen gebären Wortungetüme

Aus dem ideologischen Bestreben heraus, Frauen in der Gesellschaft „sichtbarer“ zu machen, entstanden sprech-erschwerende Wortungetüme (Wähler_innen, Wähler*innen, WählerInnen). Solche Sprachschwurbeleien betonen zudem ihren gewollt dualen, ausgrenzenden Charakter und ignorieren, dass auch in Deutschland die Anerkennung des dritten Geschlechts mittlerweile verpflichtend ist. Insofern wären auch solche Drückeberger-Formulierungen wie „liebe Studentinnen und Studenten“ oder „die Wählerinnen und Wähler haben entschieden“ in gewisser Weise diskriminierend.

Lasst uns einfach „Studenten“ und „Wähler“ sagen, denn darin sind alle Geschlechter gleichberechtigt enthalten!

In diesem Zusammenhang sollte auch Folgendes nicht vergessen werden: Dass sich in der Sprachgeschichte durch Abstraktion Begriffe für die zusammenfassende Benennung von Gruppen herausgebildet haben, in denen zwar verschiedenartige Objekte enthalten sind, die aber auch über einige gleiche Eigenschaften verfügen, ist eine menschliche Kulturleistung. Wer darauf besteht, dass Sprache statt dieser zusammenfassenden Gruppenbegriffe eine Aufzählung der Einzelobjekte zu verwenden habe, attackiert diese Kulturleistung – das soll fortschrittlich sein?

Mit dem Geschlecht schwindet die Präzision

Die epidemieartig um sich greifende Nutzung des Wortes „Studierende“ entstand, weil man – ideologisch motiviert – verhindern wollte, dass der Begriff für eine Gruppe verschiedengeschlechtlicher Menschen, die sich in einer akademischen Ausbildung befinden, grammatikalisch männlichen Geschlechts ist. Also „entgeschlechtlichte“ man die Problematik. Doch dem auf diese Weise künstlich eingeführten Mehrzahlwort „Studierende“ kann man die Geschlechterzusammensetzung der benannten Gruppe ebenso wenig entnehmen wie der herkömmlichen Formulierung „Studenten“. Aber die Präzision der Sprache wurde dadurch verwässert.

„Es kann zwar einen toten Studenten geben, aber niemals einen toten Studierenden, denn mit diesem Begriff kann nur jemand gemeint sein, der gerade dasitzt und studiert.“

Dem Ziel der realen Gleichberechtigung der Geschlechter ist man durch diese schon viele Jahre übliche spezielle Sprachgewohnheit keinen Schritt nähergekommen.

Andere Fälle, bei denen die „political correctness“ zu einer erschwerten Verständigung führt, wurzeln in der ideologisch begründeten Forderung, man müsse in der eigenen deutschen Sprache ein Zeichen setzen für die Solidarität mit fortschrittlichen politischen Bewegungen und gesellschaftlichen Veränderungen.

Aus Гончар wird Hontschar

So wird im aktuellen deutschen Sprachgebrauch erwartet, dass man jahrzehntelang übliche Namen nicht mehr wie bisher schreibt, sondern stattdessen sollen – Indiz für die derzeit modische Russlandfeindlichkeit? – als Ausdruck der Solidarität mit den jeweiligen nationalen Bewegungen deren – manchmal neuen – Schreibweisen übernommen werden. Aus dem ukrainischen Radsportler Сергій Гончар (lange Zeit Sergej Gontschar) wurde Serhij Hontschar, aus der einst überwiegend polnischen Stadt Grodno wurde Hrodna, aus Lugansk wurde Luhansk. Deutlicher werden solche Tendenzen noch, wenn durch den internationalen Charakter mancher Themen englisch orientiert transkribiert wird, obwohl es sich um einen deutschen Ziel-Text handelt. So wird aus dem Fußballer Бори́с Тащи́ zunächst richtig Boris Taschtschi, dann Borys Taschtschy und schließlich Borys Tashchy.

Weshalb die neuen Transkriptionen?

Dahinter stecken zwei Fragwürdigkeiten.

Einerseits das Bestreben, ein Wort exakt so zu schreiben, wie es ausgesprochen wird – eine auch im Deutschen völlig unübliche und unbrauchbare Maxime, deren Anwendung die gesamte Rechtschreibung bis zur Unkenntlichkeit umkrempeln würde. Motiv dafür: Man will die Eigenwertigkeit des – hier – Ukrainischen oder Weißrussischen betonen, um den Verdacht auszuschließen, man stünde dem Russischen nahe.

Andererseits die Annahme, man sei politisch korrekt, wenn man so schreibt, wie es im jeweiligen Land selbst getan wird. Eine widersinnige Forderung, da fast überall mehrere Nationen gleichzeitig leben (noch dazu in sich historisch ständig ändernden Kräfteverhältnissen) und man damit lediglich einen Möchtegern-Status betont.

Verschiedene Sprachen, verschiedene Namen

Wien heißt auf Ungarisch Bécs, auf Slowakisch Viedeň und auf Slowenisch Dunaj, München heißt auf Italienisch Monaco (oder Monaco di Baviera) und auf Portugiesisch Munique. Niemand käme in Ungarn, in der Slowakei, in Slowenien, Italien oder Portugal auf die Idee, von den eigenen Landsleuten zu fordern, man solle dort diese Städte so benennen, wie sie in Österreich und in Deutschland benannt werden, nämlich Wien und München.

Sprachliche Nachlässigkeit formt die Vorstellung

Nicht selten tun sich gerade jene, die aus ideologischen Gründen auf „political correctness“ Wert legen, schwer mit einfacher Korrektheit. Wie schnell und wie gedankenlos wird da beispielsweise der Begriff „Dieselskandal“ nachgeplappert, obwohl der damit gemeinte Skandal nicht in der Verwendung des Kraftstoffes Diesel besteht, sondern in den Betrügereien der Verantwortlichen der Autoindustrie, im jahrelangen Wegschauen von Politikern aller Coleur und im Desinteresse vieler Journalisten, die wirklichen Hintergründe des Themas zu recherchieren. Eine Folge: Der Dieselmotor an sich, obwohl im Vergleich zum Benziner ein umweltschonenderer Antrieb, wird diskreditiert und Autokäufer mit ihren Wünschen und ihrem Kaufverhalten werden verunsichert oder gar mittels Droh-Szenarien manipuliert. Die Frage, welche Unternehmen von welchen Maßnahmen und Konzepten profitieren, schafft es kaum ins öffentliche Bewusstsein. Sprache ist verräterisch.

Autor: Mathias Bäumel

Mathias Bäumel. Foto: Matthias Creutziger/Musik-in-dresden.de

Mathias Bäumel. Foto: Matthias Creutziger/Musik-in-dresden.de

Über unseren Gastautor

Mathias Bäumel (geboren 1953) ist Journalist, Buchautor und Musikfreund. Ab 1990 war er als Kultur- und Wissenschaftsjournalist für die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig. Ab 1995 war er Chefredakteur des Dresdner Universitätsjournals, bis er 2018 in den Ruhestand wechselte.

Siehe auch:

Salbei-Duft von der Adria für des Kaisers Soldaten

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt