Einige Fabriken haben ihre Produktion in der Corona-Krise auf Pandemie-Bedarf umgestellt
Dresden, 25. März 2020. Viele sächsische Unternehmen ringen im Angesicht des Corona-Virus bereits jetzt ums nackte Überleben. Einige versuchen aber bereits, kurzfristig ihre Geschäftsmodelle auf ein Konsumentenvolk im Ausnahmezustand und ihre Produktionslinien auf den medizinischen Bedarf umzustellen. „Manche profilieren sich auf Schutzmasken um, andere stellen jetzt Desinfektionsmittel her“, erzählt André Hofmann, der Chef des Biotech-Branchenverbandes „Biosaxony“ aus Dresden.
Möglich gemacht, was als ausgeschlossen galt
Textilunternehmen rings um die Landeshauptstadt haben beispielsweise auf den Stopp der großen Autofabriken von VW und Co. reagiert: Statt Fahrzeugtextilien zu fertigen, probieren sie sich nun an Bändern für Masken, die wiederum von anderen Firmen in der Region zusammengenäht werden. Die frühere PC-Fabrik „Coool Case“ baut derweil nun wie im Akkord neue Medizintechnik-Gehäuse für Intensivstationen. Und das sächsische Unternehmen Verbio hat in seinem Ethanol-Werk in Zörbig, das bisher nur Kraftstoff-Beimischungen herstellte, eine Produktionslinie für Desinfektionsmittel in Gang gesetzt. Der Betrieb habe damit binnen weniger Tage „möglich gemacht, was noch am Wochenende von politischen Entscheidern als zu aufwendig bewertet und somit ausgeschlossen wurde“, betonte Vorstand Claus Sauter.
Dank moderner Technik schnelle Reaktion möglich
Doch auch kleine und noch sehr junge Technologieunternehmen sind kurzfristig in den Anti-Corona-Kampf eingestiegen. „Wir wollten schnell helfen – und zeigen, dass das mit moderner Technik auch geht“, erzählt beispielsweise Ronny Grunert von der Leipziger Uni-Ausgründung „Next3D“. Eigentlich ist das Team darauf spezialisiert, mit ihrem 3D-Drucker für Neurochirurgen vor einer Gehirn-OP Zieleinrichtungen herzustellen, die genau an den Kopf des jeweiligen Patienten angepasst sind. Als die Pandemie Deutschland ereilte, stellten die ihre Produktion um: Ihr 3D-Drucker fertigt jetzt für die Leipziger der Uni-Apotheke Verschlusskappen für Desinfektionsflaschen. Als nächstes probieren sie aus, wie sie auch Probenröhrchen für Corona-Tests drucken können.
„Wir ertrinken in Aufträgen“
Die Liste ließe sich noch fortsetzen. Viele Chefs wollen aber nicht, dass ihr Engagement namentlich genannt wird: teils aus Bescheidenheit, teils auch, weil sie fürchten, als Krisengewinnler abgestempelt zu werden – oder weil sie sich nun vor Anfragen gar nicht mehr retten können.
„Wir ertrinken in Aufträgen“, erzählt eine Textilunternehmerin aus dem Großraum Dresden, die aus eben diesem Grund nicht namentlich genannt werden möchte: Schon zu DDR-Zeiten habe die Firma Mundschutzmasken hergestellt, die nach der Wende aber wegen der Billigkonkurrenz aus China kaum einer noch kaufen wollte. Jetzt hat sie die Maskenproduktion wieder hochgefahren, suchte per Facebook dafür nach Näherinnen – und seitdem stehen die Telefone bei ihr nicht mehr still, weil alle ihre Masken haben wollen. „Dabei näht hier ringsum jeder, der eine Nähmaschine hat, schon wie verrückt Masken: Möbelhäuser genauso wie Hochzeitsateliers oder Hobbynäherinnen.“ Den Preis habe sie übrigens nicht erhöht, der sei der gleiche wie all die Jahre, betont die Unternehmerin. Aber dieser Preis sei auf wundersame Weise plötzlich wieder okay, seitdem Asien nicht mehr liefere.
Bringdienst funktioniert nicht für jedes Restaurant
Allerdings lässt sich nicht jeder Betrieb so einfach auf den Krisenbedarf umstellen. „Weil die Restaurants schließen mussten, boomt jetzt zwar das Außer-Haus-Geschäft – bei den Bringdiensten stehen die Telefone gar nicht mehr still“, berichtet Sprecher Lars Fiehler von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden. „Allerdings funktioniert das nicht für jedes Restaurant: So was wie Lammbraten bestellt sich kaum einer nach Hause.“
Reisebüros, Fahrschulen und Küchenstudios trifft es hart
Besonders hart treffen die Corona-Dekrete Reisebüros, Küchenstudios, Fahrschulen und viele andere Dienstleister beziehungsweise Händler, die auf behördliches Geheiß schließen mussten: Sie erwirtschaften schlagartig keinerlei Umsatz mehr. Große Rücklagen haben diese eher kleinen Unternehmen kaum. Und alternative Verwendungen für Einbau-Küchen oder Reiseprospekte drängen sich auch nicht gerade auf. Geschäfte in Innenstadtlage kosten aber durchaus mehrere Tausend Euro Miete und auch die Mitarbeiter wollen weiter ihr Geld. Dazu kommen bei manchen noch die Leasing-Raten für den Fahrzeugpark.
Manche können bis Mai durchhalten, andere stehen schon vor dem Aus
„Wenn ich da von einem Bus-Subunternehmer für die Reisebranche höre, dass er jetzt keine Aufträge mehr bekommt, aber seine acht neuen Busse weiter abbezahlen muss, dann weiß ich doch, dass er diese Busse demnächst bei seiner Bank vor die Tür stellen muss“, sagt der IHK-Sprecher.
Industrie: Lieferketten gestört, aber nicht gekappt
Noch relativ glatt laufe es – abgesehen von der ohnehin gebeutelten Automobil-Zulieferbranche – in den meisten Industriebetrieben in und um Dresden, berichtet Fiehler: Die Lieferketten aus Asien und Osteuropa seien zwar bereits gestört, aber nur in seltenen Fällen ganz zusammengebrochen. „Die Betriebe haben ihre Schichten teils gesplittet, teils kleinere Teams gebildet und Heimarbeit und zeitversetztes Arbeiten eingeführt.“ Dadurch werde zumindest das Infektionsrisiko in der Belegschaft gesenkt.
Wenn der Ausnahmezustand zu lange dauert, ist mit Massenpleiten zu rechnen
„Aber alles hat seine zeitlichen Grenzen“, betont der IHK-Sprecher. „Viele Industrieunternehmer sagen uns: ,Spätestens Mitte oder Ende Mai müssen wir wieder zu einem Normalbetrieb zurückkommen, länger können halten wir das dann nicht länger durch.’“ Und dann wachse auch die Gefahr, dass völlig gesunde Unternehmen in Dresden und ganz Sachsen reihenweise pleite gehen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen:
IHK DD, Biosaxony, Next3D, Coool Case, Oiger-Archiv u. a.
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