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Chip-Baukasten für schlaue Flitzer

Autonom fahrende Autos sollen Unfälle mit Fußgängern mit KI-Hilfe vermeiden. Grafik: Nvidia

Autonom fahrende Autos sollen Unfälle mit Fußgängern mit KI-Hilfe vermeiden. Grafik: Nvidia

Fraunhofer-EAS will eine „Chiplet“-Allianz in Dresden schmieden, damit hiesige Halbleiterfabriken mehr Auftrage von Autoindustrie bekommen.

Dresden, 2. März 2020. Die noch junge „Chiplet“-Technologie könnte dabei helfen, autonomes Fahren auch im Stadtverkehr möglich zu machen – und der sächsischen Mikroelektronik dabei neue wirtschaftliche Impulse geben. Das hat Gruppenleiter Andy Heinig eingeschätzt, der im Dresdner Fraunhofer-Institutsteil für „Entwicklung Adaptiver Systeme“ (EAS) für die Systemintegration zuständig ist.

Was sind Chiplets?

Gemeint ist mit „Chiplets“ ein Baukastensystem für Schaltkreise. Dabei werden Prozessoren, spezielle Logikelektronik, Grafik-Chips oder eben Auto-Bordcomputer nicht „aus einem Guss“ gefertigt, sondern aus einzeln produzierten Speichern, Recheneinheiten und andere Teil-Komponenten modular verknüpft. Solche modulare Elektronik könnte womöglich besser als heutige Hochleistungs-Plattformen die Herausforderungen meistern, vor denen hochautomatisierte Autos bald stehen.

Die Grafik zeigt den dreidimensionalen Aufbau, die Kontakte (Interconnects) und Schnittstellen (Interfaces) zwischen Chiplets und verschiedenen Chipebenen. Grafik: Fraunhofer-IIS / EAS

Die Grafik zeigt den dreidimensionalen Aufbau, die Kontakte (Interconnects) und Schnittstellen (Interfaces) zwischen Chiplets und verschiedenen Chipebenen. Grafik: Fraunhofer-IIS / EAS

Sensordaten-Fusion im Fokus

Das EAS-Team um Andy Heinig versucht nun, eine Allianz von Forschern und Ingenieuren aus der regionalen Halbleiter- und Autoindustrie zu schmieden, um mehr Chiplet-Expertise in Dresden zu konzentrieren. Im Fokus steht dabei die komplexe Auswertung der zahlreichen Daten von Radar-, Kamera- und Laserradar-Sensoren in automatischen und autonom fahrenden Autos.

Deutsche Autoindustrie immer abhängiger von Elektronik aus den USA und Asien

„Wir sehen gute Gründe für solch einen Verbund“, erklärt Andy Heinig. „Derzeit gibt es einen Trend, dass sich deutsche Autohersteller immer abhängiger von Zulieferungen aus den USA und anderen Ländern machen.“ Vor allem die Transformation hin zu autonomen Autos und E-Autos beschleinigt diese Entwicklung. Durch die Chiplet-Technologie allerdings würden auch lokale Chipfertiger als alternative Elektronikzulieferer für die Autoindustrie interessanter werden, ist der EAS-Experte überzeugt.

Auch der weltweit größte Auftragsarbeiter TSMC in Taiwan arbeitet schon mit Chiplets - hier ein Atm-Prozessor für Supercomputer. Foto: TSMC

Auch der weltweit größte Auftragsarbeiter TSMC in Taiwan arbeitet schon mit Chiplets – hier ein Atm-Prozessor für Supercomputer. Foto: TSMC

Chiplet-Technologie könnte für neue Aufträge in Sachsens Mikroelektronik sorgen

Und wenn sich diese Modularchitektur tatsächlich breiter als bisher in der Halbleiterbranche und im Automobilsektor durchsetzen sollte, dann könnte dies wichtige wirtschaftliche Impulse für die sächsische Mikroelektronik liefern. Denn bisher sind nur ganz wenige große Chiphersteller weltweit wie TSMC, Samsung oder Intel imstande, die feinen Strukturen zu erzeugen, die für heutige „Künstliche Intelligenz“-Plattformen (KI) benötigt werden. Nicht alle Bauteile in den Steuerchips für autonome Autos müssen aber in der selben Integrationsstufe hergestellt werden. Das heißt: Würden die KI-Steuereinheiten und ähnliche Schaltkreise künftig aus modularen Chiplets konstruiert, könnten einige Teile davon auch bei hiesigen Auftragsfertigern wie X-Fab oder Globalfoundries Dresden produziert werden.

Die Tesla-Prozessoren von Nvidia werden heute in KI-Anwendungen eingesetzt. Foto: Nvidia

Die Tesla-Prozessoren von Nvidia werden heute in KI-Anwendungen eingesetzt. Foto: Nvidia

AMD nutzt Chiplet-Technik bereits erfolgreich für Grafikprozessoren

Der US-Chipdesignkonzern AMD beispielsweise nutzt die Chiplet-Technologie bereits recht erfolgreich, um neue leistungsfähige Grafikprozessoren besonders schnell und günstig herstellen zu lassen. Deren Einzelteile können durch das Baukastenprinzip manchmal sogar in unterschiedlichen Chipfabriken hergestellt werden – je nachdem, welches Werk gerade die besten Preise und Technologien für die jeweilige Komponente bietet. Auch durch solche Ansätze ist das ewige Sorgenkind AMD inzwischen zu einem profitablen Unternehmen geworden.

Im Stadtverkehr muss autonomes Auto bis zu 400 Objekte gleichzeitig erkennen

Das Chiplet-Baukastensystem könnte aber auch im Fahrzeugsektor einige Probleme lösen. Denn aktuelle Hochleistungs-Computerchips sind immer noch zu langsam, um autonomes Fahren in der Großstadt zu bewältigen: Anders als auf der Autobahn, wo teilautomatisierte Oberklassewagen bereits heute recht gut ohne menschliches Zutun die Spur halten, überfordert der komplexe urbane Verkehr die Bordrechner noch. Die Elektronenhirne müssen hier zu viele Fußgänger und Fahrradfahrer, andere Autos, Laster und Verkehrszeichen ständig im Auge behalten und darauf reagieren – im Schnitt auf bis zu 400 Objekte gleichzeitig.

Andy Heinig ist Gruppenleiter für Systemintegration am EAS-IIS in Dresden. Foto. Fraunhofer-EAS

Andy Heinig ist Gruppenleiter für Systemintegration am EAS-IIS in Dresden. Foto. Fraunhofer-EAS

„Allerdings gibt es dafür keine Obergrenze und in einigen Situationen kann die Zahl auch noch überschritten werden“, betont Heinig. „Damit ist die Rechenleistung nur schwer abzuschätzen, da sie stark mit der Umgebungssituation korreliert. Allerdings ist sicher, dass aktuelle Hochleistungs-Plattformen für autonomes Fahren diese Rechenleistungen nicht zur Verfügung stellen können.“

Lösungsansätze: Neuronen am Sensor oder Systemchips

Mehrere Lösungen sind dafür denkbar. Dazu gehören komplexe „Systems-on-Chips“ (SoCs), also auf einzelne Aufgaben hochspezialisierte Kombinationen aus Schaltkreisen und Sensoren. Auch arbeiten Forscher wie Professor Christian Mayr von der TU Dresden an künstlichen Neuronen. Die sollen direkt in den Radaraugen, Kameras oder anderen Sensorsystemen des autonomen Autos die eingesammelten Informationen bereits vorverarbeiten, um den zentralen Bordrechner zu entlasten.

VW zeigt auf der Connect ec 2019 in Dresden auch diesen Golf als Technologieträger fürs autonome Fahren. Foto (bearbeitet/freigestellt): Heiko Weckbrodt

Ein mit zahlreichen Sensoren und anderer Elektronik aufgerüsteter Golf. Der VW-Technologieträger fürs autonome Fahren lässt erahnen, wieviele Sensordaten autonom fahrende Autos in Echtzeit auswerten müssen. Foto (bearbeitet/freigestellt): Heiko Weckbrodt

Chiplets auch für teilautomatisiertes Fahren geeignet

Und eine weitere Alternative wären eben Chiplets, die im Auto „kognitive“ Teilaufgaben übernehmen. „Der Chiplet-Ansatz hat aus Sicht der Entwickler autonomer Fahrzeuge verschiedene Vorteile“, meint EAS-Forscher Heinig. Denn autonomes Fahren werde höchstwahrscheinlich nicht schlagartig eingeführt, sondern evolutionär über mehrere Zwischenschritte. „Damit stellt sich die Herausforderung, dass für verschiedene Fahrzeugklassen unterschiedliche Rechenleistungen und Systemschnittstellen zur Verfügung gestellt werden müssen.“ Diese Anforderung sei mit einem modularen Ansatz wie den Chiplets deutlich einfacher zu erfüllen als mit klassischen Halbleiter-Lösungen.

Hohe Datenlast zwischen Chips erwartet

Auf dem Weg dorthin sehen die Fraunhofer-Experten aber noch einige Probleme. Unter anderem sind leistungsstärkere Schnittstellen und schnellere Datenverbindungen zwischen den Schaltkreisen zu entwickeln. Denn die Datenlast beim autonomen Fahren dürfte enorm ausfallen. Auch die Kühlung und Kontaktierung dreidimensionaler Chipstapel seien ganz eigene Herausforderungen. Aber gerade damit habe das Dresdner EAS – das zum Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) Erlangen gehört – in den vergangenen Jahren bereits erheblche Erfahrungen gesammelt, betont Gruppenleiter Heinig.

Quellen: Interview Heinig, EAS, Oiger-Archiv

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt