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„Die den Sturm ernten“: Buch über Großmacht-Ränke im Syrienkrieg

Michael Lüders: "Die den Sturm ernten". Cover: Verlag C. H. Beck /Geviert, Christian Otto

Michael Lüders: „Die den Sturm ernten“. Cover: Verlag C. H. Beck / Geviert, Christian Otto

Nahost-Korrespondent beleuchtet die komplexen Hintergründe eines Stellvertreter-Konflikts – und kritisiert vor allem die USA als Chaos-Säer

Der Westen, vor allem aber die Briten und die US-Amerikaner haben eine lange Tradition darin, Regierungen im Nahen Osten zu stabilisieren und zu stürzen. Eben dies habe die USA im Falle Syriens auch zu tun versucht – mit verheerenden Folgen für die ganze Region und letztlich auch Europa, schreibt der Journalist und Autor Michael Lüders in seinem Buch „Die den Sturm ernten – Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“. Dadurch seinen letztlich Tausende Menschen umgekommen, Millionen obdachlos geworden und starke Flüchtlingsströme gen EU ausgelöst worden.

Auch Saudis, Katar, Türkei und Iran mischen mit

Allerdings seien nicht allein die USA mit ihren Waffenlieferungen und verdeckten Operationen dafür verantwortlich, betont der frühere Nahost-Korrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“. Wenn sich dort die Regierungstruppen des Autokraten Baschar Hafiz al-Assad, der IS, die Kurden und zahlreiche, größtenteils radikale islamistische Oppositionsgruppen gegenseitig töten und die Zivilbevölkerung dezimieren, dann seien diese Akteure eben auch Bauern in einem größeren Schachspiel. In Syrien sei ein Stellvertreterkrieg entbrannt, in dem neben den Amerikanern auch die Türkei, Saudi-Arabien, das Golf-Emirat Katar sowie – auf Seiten der syrischen Assad-Regimes – Russland, der Iran und die Hisbollah mitmischen. Eine besondere Verantwortung liege aber eben bei den westlichen Staaten, meint Lüders: „Der Syrienkrieg hätte niemals ein solches Ausmaß angenommen ohne Einmischung von außen“, meint er.

Arabische Frühlings-Proteste mündeten in eine Aufrüstungsspirale

Dafür seien die verschiedenen Akteure von recht verschiedenen Motiven getrieben worden: Begonnen habe der Krieg mit vergleichsweise moderaten Syrern, die im Gefolge der Unruhen in Tunesien, Libyen und Ägypten („Arabischer Frühling“) gegen die Unterdrückung durch den Assad-Familienclan und deren Protegés aufbegehrten. Die USA wiederum hätten ein Interesse daran gehabt, Assad loszuwerden, weil er sich gegen ein wichtiges Pipeline-Projekt gestellt habe – und weil Syrien vor allem den Israelis, aber auch den sunnitisch-wahhabistischen Saudis als Hinterland des schiitischen „Erzfeindes“ Iran ein Dorn im Auge war. Daraufhin begann laut Lüders die CIA damit, Waffen aus dem inzwischen besiegten Libyen über die Türkei zu den sich formierenden militanten syrischen Oppositionsgruppen zu schmuggeln. Ähnlich wie die Türkei habe die USA dabei – geplant oder als indirekte Folge – auch den IS hochgepäppelt, der vom Irak aus ins Machtvakuum in Syrien hineindrängte und sein „Kalifat“ zu errichten versuchte. Dies geschah unter anderem, weil die vom Westen geformte und bewaffnete Marionetten-Truppe „Freie Syrische Armee“ bald zerfiel und deren Kämpfer teils zu den Islamisten überliefen.

Große Probleme, „gemäßigte“ Oppositionelle zu finden

Sieht man einmal von den Kurden ab. waren auch die meisten anderen Gruppen, die durch die USA; Israel, Saudi-Arabien, die Türkei und Katar unterstützt worden waren, kaum verkappte Terroristen gewesen, meint Lüders: Die Al-Nusra-Front zum Beispiel war ein direkter Ableger von Al-Kaida. Für die Amerikaner wurde es immer schwieriger, der Weltöffentlichkeit noch so etwas wie „gemäßigte“ Oppositionelle zu präsentieren. Denn auf breite Resonanz in der Bevölkerung sei der Aufstand gegen die Regierung nicht gestoßen – was auch daran liege, dass es in arabischen Staaten wie Syrien kaum ein Bürgertum im westlichen Sinne gebe, das ein demokratische Umwälzung stützen könnte, meint der Autor.

Fazit: Viele Bausteine zu einem schlüssigen Mosaik zusammengesetzt

Womöglich mag man Lüders nicht immer folgen, manche Argumente stützt er auch nur auf Plausibilitätserwägungen. Dennoch setzt er aus vielen gesicherten, aber auch weniger bekannten Facetten des syrischen Krieges ein interessantes und zumindest schlüssiges Mosaik zusammen. Vor allem aber warnt uns dieses Bild davor, gern präsentierten Schwarz-Weiß-Schemata in diesem komplexen Konflikt zu sehr zu vertrauen – ohne deshalb gleich die Partei eines zweifellos rücksichtslosen Autokraten wie Assad zu ergreifen. Wer sich für die Geschehnisse im Nahen Osten interessiert, sollte sich Lüders Buch zumindest einmal durchlesen.

Kurzüberblick

  • Titel: „Die den Sturm ernten – Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“
  • Autor: Michael Lüders
  • Genre: Sachbuch
  • Verlag und Erscheinungsjahr: Verlag C. H. Beck, München 2019 (7. Auflage)
  • Umfang: 176 Seiten
  • Preis: 15 Euro
  • Eine Leseprobe gibt es hier

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt