Datenbank über Pogrome 1938 in Sachsen freigeschaltet
Dresden, 2. November 2018. Sie wurden gedemütigt, in KZs verschleppt, ihre Wohnungen und Synagogen zerstört: Die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden in Sachsen jähren sich in wenigen Tagen zum 80. Mal. Damit nicht vergessen wird, wie sehr sich ein selbsternanntes Kulturvolk an seinen Mitmenschen verging, hat der Dresdner Historiker Daniel Ristau nun in der „Sächsischen Landes- und Uni-Bibliothek“ (SLUB) eine Internet-Datenbank freigeschaltet. Deren „Bruch|Stücke“ beleuchten die Judenverfolgungen im November 1938 in Sachsen.
Digitales Werkzeug für Schüler und Lokalforscher
„Diese Datenbank ist ein digitales Werkzeug, das zum Beispiel Schülern und Lokalforschern bei eigenen Arbeiten über die damaligen Ereignisse helfen kann“, meint der Forscher. „Als ich angefangen habe, mich mit den Bruchstücken zu beschäftigen, habe ich keinen Überblick über die November-Pogrome in Sachsen gefunden, aber unzählige Lokalstudien“, sagt er. All diese Puzzle-Stücke zu einem Bild nach und nach zusammenzufügen, ist eines der Projektziele. Zu den „Bruch|Stücken“ gehören ein Internet-Tagebuch, ein gedrucktes Buch, Wanderausstellungen und die nun freigeschaltete Datenbank.
Tausende schauten zu
Letztere ist über das SLUB-Portal saxorum.de zu finden, das sich, ebenso wie die „Bruch|Stücke“ selbst, noch im Aufbau befindet. In der Datenbank will Ristau beispielsweise Bücher, Zeitungsberichte, Augenzeugen-Erzählungen, Orts-Chroniken, Fotos, autobiografische Notizen, aber auch Filme und Romane verzeichnen, die er in Bibliotheken, Archiven und im Netz über die sogenannte „Reichskristallnacht“ in Sachsen gefunden hat. Wobei der ohnehin umstrittene Begriff „Reichskristallnacht“ ohnehin auch im wörtlichen Sinne nicht den Kern der Ereignisse trifft: „Vieles geschah am helllichten Tage“, sagt der Historiker und verweist auf die Fotos, die er gesichtet hat. Viererorts schauten Tausende zu, wie ihre jüdischen Mitmenschen misshandelt wurden – manche stehen wie erstarrt, andere hohnlachend.
Als die Dresdner Synagoge brannte
Faszinierend ist, wie Ristau durch seine Recherchen ganz verschiedene Perspektiven auf die jeweils gleichen Ereignisse rekonstruiert hat. Zum Beispiel, wie jüdische Mitarbeiter die Demütigungen in und vor der Dresdner Synagoge erlebten, wie sie Kindersachen tragen, Davidssterne übers Gesicht ziehen und ihre alten Thora-Rollen in Wäschekörbe werfen mussten. Dazu stellt er die Perspektive der offiziellen Nazi-Presse auf diese Exzesse. Und daneben zitiert er die Erinnerungen eines Kindes (des späteren Künstlers Wieland Förster) an die rauchenden Überreste des Gotteshauses. Hinzu treten die erhaltenen Fotos, auf denen die geschilderten Ereignisse in Momentaufnahmen zu sehen sind. Schade nur: Die Datenbank enthält leider nicht all diese Texte und Bilder selbst, sondern lediglich die Verweise auf die Fundstellen. „Aber vielleicht regt das die Nutzer ja auch an, zu den Quellen zu gehen“, hofft Daniel Ristau.
Autor: Heiko Weckbrodt
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