Geschichte, News, zAufi

Für DDR-Taxis begann 1985 die Digitalzeit

Ingenieur Ralf-Peter Nerlich füttert einen "Botax 80"-Taxibordrechner mit einem Programm, das gerade ein Wartburg-taxi simuliert. Foto: Heiko Weckbrodt

Ingenieur Ralf-Peter Nerlich füttert während einer Vorführung in den Technischen Sammlungen Dresden einen „Botax 80“-Taxibordrechner mit einem Programm, das gerade ein Wartburg-Taxi simuliert. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Dresdner Entwickler übergeben Taxi-Bordcomputer an die Technischen Sammlungen

Dresden, 12. Oktober 2018. 1985 begann im DDR-Taxigewerbe das Digitalzeitalter: Die Taxifahrer bekamen nach und nach das „Botax 80“ in den Wolga, Moskwitsch oder Wartburg montiert. Dieses in Dresden entwickelte Taxameter war mit ostdeutscher Mikroelektronik bestückt, berechnete die Entgelte und machte (weitgehend) Schluss mit Fahrpreis-Manipulationen. Das damalige Entwicklerkollektiv um Dr. Eberhard Treufeld vom früheren „Wissenschaftlich-Technischen Zentrum des Kraftverkehrs“ (WTZK) hat einen dieser alten Taxi-Bordcomputer nun restauriert und den Technischen Sammlungen Dresden (TSD) gestiftet. „Ein Dresdner Produkt, das gut in unsere Sammlung passt“, betonte Kustos Dr. Ralf Pulla. „Wir werden es bald in unser Abteilung Rechentechnik ausstellen.“

Privatwirtschaftliche Inseln in der DDR-Staatsökonomie

Zudem erzählt das „Botax 80“ über eine besondere Facette ostdeutscher Wirtschaftspolitik: Anders als in den meisten anderen sozialistischen Ländern beseitigten die Kommunisten in der DDR die Privatwirtschaft nicht völlig. Die SED-Oberen hielten die Privaten zwar klein, wussten aber, wie sehr diese zum Lebensstandard im Lande beitrugen. Dazu gehörte auch das Taxigewerbe: Lange Wartezeiten waren keine Seltenheit und allein der staatliche Fuhrpark konnte den steigenden Bedarf nicht mal annähernd decken. In Dresden beispielsweise gab der VEB Taxi Dresden den Ton an und steuerten die Fahrgast-Vermittlung. Aber nur reichlich 100 der bis zu 500 Taxis in der Stadt fuhren in staatlicher Regie, der Rest gehörte den genossenschaftlich organisierten privaten Taxifahrern. Die Wirtschaftslenker bevorzugten den VEB zum Beispiel bei der Zuteilung der großen russischen Wolgas. Auch konnten die angeblich „volkseigenen“ Taxis ihren Kraftstoff steuerfrei für 75 Pfennig den Liter tanken, die Genossenschaftler mussten 1,50 Mark zahlen.

Karlheinz Otte (links) leitete über viele Jahre den VEB Taxi Dresden. In den 1980ern erprobten seine Fahrer als erste das elektronische Taxameter "Botax 80", das das WTZK-Kollektiv von Dr. Eberhard Treufeld (rechts) entwickelt hatte. Foto Heiko Weckbrodt

Karlheinz Otte (links) leitete über viele Jahre den VEB Taxi Dresden. In den 1980ern erprobten seine Fahrer als erste das elektronische Taxameter „Botax 80“, das das WTZK-Kollektiv von Dr. Eberhard Treufeld (rechts) entwickelt hatte. Foto Heiko Weckbrodt

Pi mal Daumen mal Tacho

Was beide einte, war die altmodische Abrechnung: „Das war umständlich und eine Heidenarbeit“, erinnert sich der langjährige Leiter des VEB Taxi Dresden, Karlheinz Otte. „Die Fahrer haben den Kilometerstand vom Tacho abgelesen, wenn der Fahrgast einstieg und ausstieg.“ Die Kilometerzahl war dann innerorts mit 65 Pfennig zu multiplizieren, außerorts mit 70 Pfennig, Extragepäck und Nachtzuschläge zu addieren, plus zehn Pfennig Wolga-Aufschlag. Bei manchem Fahrer mag auch die Versuchung groß gewesen sein, dabei zu manipulieren – der Passagier war ja froh, überhaupt ein Taxi erwischt zu haben.

Copycats: Aufgesägter Zilog-Chip wurde DDR-Standard-Prozessor

1981 beauftragte das Verkehrsministerium in Berlin schließlich das ihr unterstellte WTZK in Dresden, einen einheitlichen Bordcomputer für das komplizierte Tarif-System in den DDR-Taxis zu entwickeln. Das Kollektiv um Dr. Treufeld setzte auf damals modernste DDR-Technik: DDR-Ingenieure hatten zuvor den 8-Bit-Prozessor Z80 der US-Firma Zilog kopiert, verbessert und als U 880 der danach gierenden ostdeutschen Volkswirtschaft präsentiert. Eine auch gegen Wärme und Kälte abgehärtete Variante dieses Chips wurde zum Herzstück des DDR-Standardtaxameters. 1983/84 ging der Botax 80 in die Serienproduktion. Über 12 000 Stück wurden noch in einem Reichsbahn-Elektronikbetrieb in Medingen produziert, dann ging die DDR unter – und mit ihr verwandelten sich all die mühsam entwickelten Taxameter samt Taxis schlagartig in einen Schrottberg. „Nach der Wende wollte keiner mehr im Wolga fahren, alle nahmen nur noch die Mercedes-Taxis“, erzählt der frühere VEB-Chef Karlheinz Otte. Die Taxameter lagen aufgetürmt im Hof.

Das "Botax 80" war ein elektronisches Taxameter, entwickelt vom Wissenschaftlich-Technischen Zentrum des Kraftverkehrs“ (WTZK) in Dresden. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Das „Botax 80“ war ein elektronisches Taxameter, entwickelt vom Wissenschaftlich-Technischen Zentrum des Kraftverkehrs“ (WTZK) in Dresden. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Dr. Botax repariert die alte Hightech

Heute geistern einzelne Botax-80-Geräte immer mal wieder durchs Internet, werden von Sammlern bei Ebay für Preise bis zu 300 Euro ersteigert. Mittlerweile gilt der Ingenieur Ralf-Peter Nerlich, der kurz vor der Wende noch in Erfurt am Nachfolgegerät „Botax 2000“ tüftelte, als eine Art „Dr. Botax“: Wie nur wenige andere hat er sich in die Details dieser ehemaligen DDR-Hightech vertieft, hat sie repariert, mit modernen Intel- und Arduino-Computern gekoppelt, die ursprüngliche Software ausgelesen und rekonstruiert und virtuelle Wolga-Simulatoren angeschlossen. Einen Original-Botax hat er gemeinsam mit dem früheren Dresdner Entwickler-Kollektiv ersteigert, wieder in Schuss gebracht und heute den TSD übergeben.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt