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Rollenspiele in der Zonenstadt Raststatt

Das rekonstruierte Dienstzimmer von Stasi-General Horst Böhm in der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Das rekonstruierte Dienstzimmer von Stasi-General Horst Böhm in der Gedenkstätte Bautzner Straße in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Trägerverein will die Gedenkstätte Bautzner Straße modernisieren und vom allzu engen Themenkreis „Stasi“ lösen

Dresden, 2. Oktober 2018. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis auch der letzte Ostdeutsche die Nase gestrichen voll hat von der eigenen Vergangenheit, das Kürzel „DDR“ nicht mehr hören kann? Bis jeder Schüler nur noch die Augen verdreht, wenn der Lehrer verkündet: „Und heute gehen wir in den Stasi-Knast“? Herbert Wagner und Uljana Sieber von der „Gedenkstätte Bautzner Straße“ sehen diesen Tag schon kommen. Nachdem sie zuletzt ihre Energie darauf konzentriert hatten, die ehemalige Stasi-Bezirksverwaltung als Museum umzubauen und zu sanieren, steht daher nun eine inhaltliche Modernisierung auf ihrer Agenda.

Bogen von der Nazi-Zeit über DDR-Alltag bis hin zu Flucht und Repression der Gegenwart

„Wir wollen die gesamte Gedenkstätte nach neueren museumspädagogischen Grundsätzen umgestalten“, kündigte Wagner als Vorsitzender des Trägervereins „Erkenntnis durch Erinnerung“ an. Auch wollen er und seine Mitstreiter stärker als bisher den Bogen vom Gestern ins Heute schlagen: vom Sachsen unter Hakenkreuz über den Repressionsapparat und Alltag in der DDR bis hin zu den drängenden Problemen der Gegenwart. „Wir arbeiten an neuen pädagogischen Angeboten, die sich mit politischer Verfolgung heute, mit Menschenrechten, Flucht, Heimat und Wiederaufbau beschäftigen“, informierte Gedenkstätten-Leiterin Sieber.

Blick in die ehemalige U-Haft-Anstalt der Stasi in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in die ehemalige U-Haft-Anstalt der Stasi in Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

WLAN, Tablet und Co. geplant

Dabei folgen sie einem Trend, der international und auch in Dresden immer mehr Museen erfasst: weg von verstaubten Vitrinen und langen Texttafeln, hin zu einer interaktiven Aufbereitung, die konzeptionell und technologisch die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen heute aufgreift. Dazu gehören Medienstationen, Tablet-Computer für die Rundgänge, Comic-Workshops oder Audio-Installationen wie die, die Besucher heute schon über das Diensttelefon des einstigen Stasi-Generals Böhm in dessen Arbeitszimmer abhören können. Auch möchten Wagner und Sieber ein WLAN-Funknetz in der gesamten Gedenkstätte aufspannen. Besucher könnten dadurch mit ihren Smartphones die – teils recht dunkle – Vergangenheit des Komplexes vom tiefen Haftkeller bis hinauf zum Böhm-Zimmer selbst erkunden.

Wer an diesem DDR-Telefon den Hörer abnimmt, hört Mitschnitte von Stasi-Telefonaten. Das Telefon steht im Dienstzimmer von General Böhm in der Gedenkstätte in Dresden an der Bautzner Straße. Foto: Heiko Weckbrodt

Wer an diesem DDR-Telefon den Hörer abnimmt, hört Mitschnitte von Stasi-Telefonaten. Das Telefon steht im Dienstzimmer von General Böhm in der Gedenkstätte in Dresden an der Bautzner Straße. Foto: Heiko Weckbrodt

Zugang zu digitalisierte Originalakten am Originalort

Als zusätzliche Attraktion möchte Wagner originale oder digitalisierte Stasi-Akten aus dem Raum Dresden in der Gedenkstätte dauerhaft abrufbar machen – damit die Besucher sie am selben Ort einsehen, an dem sie entstanden sind. „Die Gedenkstätte wäre dafür ein idealer, weil authentischer Ort dafür“, betonte Herbert Wagner. „Platz ist da, wir könnten auch einen Lesesaal einrichten.“

Uljana Sieber und Herbert Wagner im unausgebauten Teil des "Fuchsbaus". Foto: Heiko Weckbrodt

Uljana Sieber und Herbert Wagner im unausgebauten Teil des „Fuchsbaus“. Foto: Heiko Weckbrodt

Parcours durch eine Nachwendestadt

Geplant sind zudem aufwendige Mitmach-Formate nach dem „Parcours“-Konzept. Ein erster dieser interaktiven Erlebnis-Rundgänge ist bereits konzipiert und startet in diesem Monat. Dafür verwandelt sich die Gedenkstätte für vier Stunden in die fiktive Nachwende-Zonenstadt „Raststadt“. Bis zu 30 Schüler schlüpfen in diesem Tablet-gestützten Spiel in wechselnde Rollen: Sie agieren beispielsweise mal als Wirt von Raststadt, als Sozialamts-Mitarbeiter oder Polizist, als mosambikanischer Vertragsarbeiter oder „eingewanderter Wessi“. Sie müssen miteinander klar kommen, interagieren aus den unterschiedlichen Lebenserfahrungen der von ihren verkörperten Menschen heraus, müssen Entscheidungen treffen, die den weiteren Spielverlauf verändern.

Blick in eine der Haftzellen im wiedergergestellten Zustand der 1950er Jahre im "Fuchsbau", der unterirdischen Haft der sowjetischen Militäradministration und Geheimdienste in Dresden an der Bautzner Straße. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in eine der Haftzellen im wiedergergestellten Zustand der 1950er Jahre im „Fuchsbau“, der unterirdischen Haft der sowjetischen Militäradministration und Geheimdienste in Dresden an der Bautzner Straße. Foto: Heiko Weckbrodt

Finanzierung noch unklar

Etwa 2019 könnten die Modernisierung beginnen, schätzt Wagner. Nach etwa vier Jahren soll sie abgeschlossen sein – wenn bis dahin noch ein „kleines“ Detail geklärt ist: Der Trägerverein braucht wahrscheinlich einen fünf- bis sechsstelligen Euro-Betrag, hofft unter anderem auf Mittel aus dem SED-Altvermögen – aber konkrete Geldzusagen haben die Betreiber bislang noch keine.

Über die Gedenkstätte

Die heutige Gedenkstätte an der Bautzner Straße war nach dem II. Weltkrieg unter anderem ein Stützpunkt und Haftkeller für sowjetischer Geheimdienste. Später residierte dort die Bezirksverwaltung des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die den Komplex stark ausbaute und auch ein U-Haft-Haus errichtete. Nach der Wende wurde die einstige Geheimdienstzentrale zeitweise als Disko, inzwischen vor allem für Wohnzwecke genutzt. Der Verein „Erkenntnis durch Erinnerung“ betreibt seit 1999 einen Teil des Areals als Gedenkstätte. Ab 2012 konzentrierten die Stadt und der Verein diese Gedenkstätte in einem der alten Stasigebäude inklusive Festsaal, Haftkeller und U-Haft. In diesem Zuge sanierten Arbeiter diesen Teilkomplex und bauten ihn um. Im Jahr 2017 empfing die Gedenkstätte insgesamt 21 471 Besucher. Zum Vergleich: Vor dem Umbau waren es reichlich 10 000 Gäste, im Rekordjahr 2014 kamen fast 26 000 Besucher.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt