Ingenieure der TU Dresden wollen virtuelle Welten materialisieren
Dresden, 9. April 2018. Mancher mag sich noch an das „Holodeck“ im TV-Raumschiff „Enterprise“ aus den 1990ern erinnern: Um die Crew auf den Ewig-Reisen durchs All bei Laune zu halten, gab es einen speziellen Saal im Schiff: Ein Raum, in dem die Mannschaft computererzeugte Welten durchwandern, sie betasten und erfühlen, virtuell in die ferne Vergangenheit reisen oder Abenteuer mit dem „leibhaftigen“ Mark Twain erleben konnte.
Inzwischen können wir tatsächlich „Virtuelle Realitäten“ (VR) erzeugen – aber vom Holodeck der „Enterprise“ sind sie noch ein ganzes Stück entfernt: Die Bildqualität ist meist noch mäßig, der Besucher muss Datenbrillen tragen und vor allem kann er oder sie die Artefakte und künstlichen Menschen in dieser computergeschaffenen Welt nicht anfassen. Das wollen Dresdner Ingenieure nun ändern: Ein Team um Mikrosystemtechnik-Professor Andreas Richter von der TU Dresden hat eine Lösung gefunden, um VR-Objekte im wörtlichen Sinne „fassbar“ zu machen. „Wir materialisieren virtuelle Welten“, versprach er bei einer Leistungsschau des Forschungsclusters „FAST“ in Dresden.
Kombination aus schneller Roboter und VR-Technik
Wie genau die Technik funktioniert, möchte Richter noch nicht verraten: Zur Hannovermesse 2019 werde der Lehrstuhl das Konzept vorstellen, kündigte er an. Aber bereits der beim Cluster-Treffen präsentierte Demonstrator lässt das Prinzip erahnen. Das kombiniert offensichtlich VR-Datenbrillen mit besonders reaktionsschneller Robotertechnik. Dabei erfassen Sensoren, wohin der Besucher der virtuellen Welt gerade schaut und hinfassen will. Ein Computer befehligt dann einen Roboterarm, einen passenden anfassbaren Gegenstand der Menschenhand entgegenzuhalten – so dass der Nutzer das Gefühl bekommt, tatsächlich das virtuelle Objekt, das er da vor Augen hat, auch zu berühren.
Oiger-Ersttest: Eine vielversprechende Technologie
Ein erster Oiger-Test ließ das Potenzial dieser Methode erahnen: Vor Augen hatten wir das Sonnensystem. Wir konnten uns wie ein galaktischer Demiurg der Erde nähern und sie gottgleich mit der Hand umfassen, mit den Fingern in die Ozeane eintauchen. Tatsächlich hatten wir aber statt eines Planeten eine Kugel in der Hand, die ein Roboterarm mit unseren Arm-Bewegungen mitführte. In der serienreifen Version sollen nahezu beliebige virtuelle Gegenstände erfühlbar sein, versprechen die TUD-Ingenieure.
Klassenausflug ins alte Rom
Diese Technik könnte eingesetzt werden, um zum Beispiel Klassen zu einem haptisch erfahrbaren und echt anmutenden Schulausflug ins alte Rom zu schicken oder auch für Spiele. „Eine Tour in den Jurassic-Park ist dann nicht mehr weit“, sagt Prof. Richter, auf einen bekannten Dino-Film anspielend. Auch die Chirurgie könne diese immersive VR-Technik auf eine neue Stufe heben, meint der Elektrotechniker und Ex-Robotroner: Wenn Ärzte beispielsweise das 3D-Modell einer Patienten-Leber nicht nur durch Datenbrillen betrachten, sondern scheinbar auch befühlen, aus dem Körper herausheben und für die Detailsuche nach kleinen Organschäden vergrößern könnten, dann würde dies unter Umständen genauere OPs erlauben. Ebenso könnte die neue Methode den Prototypen-Entwurf in industriellen 3D-Konstruktionshöhlen („Caves“) intuitiver machen.
Richter: Menschen werden virtuelle und materielle Welt nicht mehr unterscheiden können
„Letztlich verschwimmen mit unserer Technik die Grenzen zwischen virtuellen und materiellen Welten“, ist Prof. Richter überzeugt. „Der Mensch wird beide Welten nicht mehr unterschieden können.“
Autor: Heiko Weckbrodt
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