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Buch „Und dann kam Tetris“

Umschlag: CSW-Verlag

Umschlag: CSW-Verlag

Journalist Gehlen erzählt, wie ein Ostblock-Spiel den Westen eroberte und Lizenzkriege auslöste

Der russische Mathematiker Alexei Leonidowitsch Paschitnow arbeitete in den 1980er Jahren an der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Er mochte Rätsel, Brettspiele – und Computer. Und so setzte er sich 1984 an einen Elektronik-60-Rechner der Akademie und programmierte ein Computerspiel, das sich lose an das Geometriespiel „Pentamino“ anlehnte: Aus jeweils vier Quadraten generierte er Formen, die vom oberen Bildschirmrand hinunterfallen. Am Spieler war es nun, die Formen im Fluge so zu drehen und anzuordnen, dass sich geschlossene Mauerreihen ergaben. Paschitnow nannte sein Spiel „Tetris“. Außerdem bat er seinen Kollegen Wadim Gerasimow, aus der Elektronika-Version eine PC-Variante zu programmieren. Der Rest ist Videospielgeschichte: Erst machte er mit Tetris die Akademiker in Moskau spielsüchtig, dann die ganze Welt. Wie das Ostblock-Spiel auf verschlungenen Wegen in den Westen gelangte, dort Millionen in seinen Bann schlug und einen Lizenz-Krieg auslöste, beschreibt der Journalist Christian Gehlen in seinem unterhaltsamen Taschenbuch „Und dann kam Tetris“.

Alexei Paschitnow. Foto: Eunice Szpillman, Wikipedia, CC2.0-Lizenz

Alexei Paschitnow. Foto: Eunice Szpillman, Wikipedia, CC2.0-Lizenz

Dot-Com-Blase 0.8: Wie sich die Videoindustrie selbst zerstörte

Der gelernte Kaufmann Gehlen bettet die Tetris-Story in den Kontext einer Branche im Westen ein, die eben noch raketenartig aufgestiegen war, um dann umso tiefer zu fallen: Durch schlechtes Management, Geldgier, übereilte Entscheidungen und einen Hang zur Selbstkannibalisierung hatte sich die Videospiel-Industrie Anfang der 1980er Jahre selbst zugrundegerichtet. Zum Symbol für diese Fehlentwicklung wurde das „E. T.“-Videospiel von Atari: Die teuer eingekaufte Lizenz von den Filmemachern wollte das Management schnell zu Gold machen, ließ eilends ein Konsolen-Spiel zum Film zusammenschustern – und das floppte kolossal. Ataris vergrub Millionen von Konsolen-Modulen in der Wüste. Obgleich der „E. T.“ Flop nur ein Glied in einer langen Kette von Fehlentwicklungen war, wurde er doch zum Inbegriff einer raffgierigen Industrie, die zu schnell gewachsen war und dann platzte wie eine Dot-Com-Blase.

Sind in der Wüste von New Mexico tatsächlich Millionen Atari-Videospiele vergraben? Bald werden wir es wissen. Abb.: XBox

Sind in der Wüste von New Mexico tatsächlich Millionen Atari-Videospiele vergraben? Bald werden wir es wissen. Abb.: XBox

Von den ersten Oszillator-Spielen bis zum Game Boy

Der Autor schlägt insofern den Bogen von den ersten Oszillator-„Computerspielen“ bis zum PC-Boom und den ersten tragbaren Videospielen von Nintendo. Und gerade dieses Unternehmen spielte eine tragende Rolle im „Real-Life“-Drama um Tetris: Die Japaner erkannten bald, dass der Brite Robert Stein weit mehr Tetris-Lizenzen im Westen vertickt hatte, als er tatsächlich von der sowjetischen Software-Exportbehörde „Elorg“ zugesprochen bekommen hatte. Also reiste eine Nintendo-Delegation heimlich nach Moskau und machte mit den Russen einen neuen Deal aus, der ihnen weitreichende Rechte einräumte, das populäre Tetris auf seinen Konsolen und mobilen Geräten zu verwenden. Hinter den Kulissen brodelte es nach dieser Weichenstellung: Robert Maxwell, der sich im Besitz eines Teils der Stein-Lizenzen wähnte, zog seine Strippen bis in den Kreml, um die Tetris-Rechte zurückzubekommen – vergeblich. Paschitnow selbst übrigens sah bis zum Zusammenbruch der SU keinen Cent von den Millionen Dollar, die sein Spiel erwirtschaftete. Heute lebt er in den USA.

Durch Tetris wurde Videospielerei gesellschaftsfähig

Neben diesem Wirtschaftskrimi beleuchtet Gehlen in seinem Buch aber auch die kulturellen, künstlerischen und gesellschaftlichen Einflüsse von Tetris. „Mit diesem Spiel wurde auch in Deutschland das Videospiel schnell zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen“, betont Gehlen. „Es waren nicht mehr die Ballerspiele, mit denen sich nut Arbeitslose in verrauchten Spelunken befassten. Es war ein Zeitvertreib in Bus und Bahn für Angestellte, Lehrer, Arbeiter und Kinder gleichermaßen.“ Mit Tetris sei das Videospielen „in der Mitte der Gesellschaft“ angekommen.

Fazit: Interessant nicht nur für Nerds

„Und dann kam Tetris“ ist ein faszinierender Ausflug in die Videospiel-Geschichte. Und der zieht nicht nur Nerds in seinen Bann, erzählt er doch auch über einen gesellschaftlichen Wandel, über ebenso unfähige wie gierige Manager und setzt ein paar weitere Puzzle-Steine in unser historisches Bild vom Kalten Krieg.

Rezensionsautor: Heiko Weckbrodt

Kurzüberblick:

Titel:

„Und dann kam Tetris“

Autor:

Christian Gehlen

Verlag:

CSW-Verlag Winnenden

Erscheinungsjahr:

2016

Preis:

6 Euro (eBook), 10 Euro (Taschenbuch)

ISBN

eISBN: 978-3-941287-76-1

ISBN: 978-3-941287-74-7

Leseprobe:

hier

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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