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Neue Zentralbibliothek Dresden zwischen Licht und Labyrinth

Ole und Jule aus Radebeul gefällt die neue Zentralbibliothek . auch wenn die Videokabine noch nicht so recht funktionieren will. Foto: Heiko Weckbrodt

Ole und Jule aus Radebeul gefällt die neue Zentralbibliothek . auch wenn die Videokabine noch nicht so recht funktionieren will. Foto: Heiko Weckbrodt

Bücher-Drache im Wohnzimmer

Dresden, 29. April 2017. Ein Drache hockt in der Bibliothek! Der „Alles neu“-Geruch eben erst einsortierter Bücher, frischplatzierter Teppiche und Sitzkissen mag ihn angelockt haben. Das bibliophile Ungeheuer rekelt sich wohlig vor dem Panorama-Fenster, äugt hinaus auf den Altmarkt, auf den Neumarkt – und reißt sein Maul weit auf. Davon lässt sich ein Recke wie Jung-Johann indes nicht beeindrucken. Der Dreijährige greift dem Lindwurm ins Maul und entreißt ihm ein Bilderbuch.

Der Bilderbuch-Drache reißt sein Maul in der Kinderabteilung weit auf. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Bilderbuch-Drache reißt sein Maul in der Kinderabteilung weit auf. Foto: Heiko Weckbrodt

Transparenz statt Bunker-Feeling

Wie ihm die Bibliothek gefällt? „Gut“ flüstert er dem Papa ins Ohr. Und mag er auch den Drachen? „Ja“, haucht Johann. Sein Vater argumentiert etwa ausführlicher: „Die neue Bibliothek ist super“, sagt er. „Die tolle Sicht auf den Altmarkt von hier aus… Da fühlt man sich wie mitten in der Stadt und nicht wie in einem Bunker.“

Und so wie Johann und sein Vater Amac empfanden dies viele Gäste der neuen Zentralbibliothek, die aus Haupt-, Musik- und Jugendbibliothek hervorgegangen ist: Toll sei sie geworden, modern und einladend zum Lesen, Arbeiten und Treffen, hieß es immer wieder. Rund 7000 Literaturfreunde kamen am Eröffnungstag, um durch die neue Zentralbibliothek im Kulturpalast zu flanieren, in Büchern und Zeitschriften zu blättern, die Konzerte in den Leseecken zu beklatschen oder Christoph Hein zu lauschen, als der aus seinem Roman „Trutz“ vorlas. „Die Besucher waren begeistert, der Tag war der blanke Wahnsinn,“ sagte Bibliotheken-Sprecherin Elke Ziegler.

Eine ähnlich euphorische Besucherresonanz fing Lena Schulz ein, die Leiterin der Kinderabteilung. „Die Eltern und die Kinder sind begeistert“, sagt sie. „Die Eröffnungsveranstaltungen waren voll bis auf den letzten Platz. “

Disput-Markt für die Stadtgesellschaft

Besonders freute sich der Vize-Direktor der Städtischen Bibliotheken, Roman Rabe. Er hatte das Projekt „Umzug in den Kulti“ mitorganisiert und die neuen Konzepte dahinter mit den Architekten „in einem Lernprozess auf beiden Seiten“ ausgeknobelt. „Wir sind das Wohnzimmer der Stadt“, erklärt Rabe die Grundidee. „Ein Wohnzimmer, in dem man sich richtig wohlfühlt, in dem die Dresdner sich gerne treffen und arbeiten. Und dieser Teil unseres Konzeptes geht auf. Das kann man jetzt schon sagen, glaube ich.“

Zum zweiten Ziel müsse die Bibliothek erst noch hinwachsen: Gelegen zwischen Altmarkt und Neumarkt soll sie nämlich auch ein Ort für offene Diskussionen der Stadtgesellschaft sein. „Ein Markt des Meinungsaustauschs“, nennt es Rabe. Erste Schritte dahin seien getan: Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) zum Beispiel erwäge, hier eine Bürgersprechstunde anzubieten.

Blick in einen der Aufenthalts-Räumeder neuen Zentralbibliothek im Kulturpalast Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in einen der Aufenthalts-Räumeder neuen Zentralbibliothek im Kulturpalast Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Denn die Zentralbibliothek ist ganz klar mehr als nur ein Bücherausleih-Ort. Viele neuere Konzepte für die Bibliothek der Zukunft, die in der „medien@age“ und in modernisierten Filialen bereits ausprobiert wurden, sind nun geballt in die neue Zentralbibliothek eingeflossen. Statt Bücherregale unter Kunstlicht zu reihen, ordnen sich die leicht rundlich geformten Regale hier in ein Wohlfühl-Ambiente ein. Viele weiße Designertische laden zu Brettspielen und Lektüre ein. Dazwischen gibt es cockpit-artige Doppelsitze und Kabinen, an denen der Besucher Videos anschauen, lesen oder – natürlich jugendfreie – Computer-Games zocken kann. Farben, Formen und nicht zuletzt die vielen Sitzecken senden klare Signale aus: Raum ist hier zuallererst ein Aufenthaltsort.

Birgit Andert und ihre Kinder Jule und Ole haben sich ein Buch geschnapopt und es sich in einer der vielen Rückzugsecken bequem gemacht. Foto: Heiko Weckbrodt

Birgit Andert und ihre Kinder Jule und Ole haben sich ein Buch geschnapopt und es sich in einer der vielen Rückzugsecken bequem gemacht. Foto: Heiko Weckbrodt

Zudem haben die Gestalter die Bibliothek um den neuen Konzertsaal im „Kulti“ regelrecht herumgebaut. Eine Folge: Viele Bibliotheksräume liegen außen, die Panorama-Fenster der gläsernen Palastfassade fluten sie mit Tageslicht. Und der Ausblick auf Alt- wie Neumarkt ist phänomenal. „Die großen Fensterfronten, durch die man auf die Stadt schauen kann, sind sehr schön“, lobt beispielsweise Besucher Ronny Siegel. „Und hier findet man auch überall Platz, um sich zurückzuziehen und zu arbeiten. Nur ein U-Bahn-Anschluss fehlt jetzt noch.“

Jorges Buchlabyrinth lässt grüßen

Allerdings hat die kringelartige Bauweise auch ihre Schattenseiten: Lange helle Galerien wechseln sich mit langen Kunstlicht-Gängen, mit schrägen Rampen und Treppen ab. Stellenweise fühlt man sich etwas an Kafkas „Schloss“ oder die verwinkelte Geheimbibliothek des alten Mönches Jorge aus „Der Name der Rose“ erinnert. Das hat seinen ganz eigenen Reiz, ist aber nicht Jedermanns Sache: „Wir müssen an unserem Leitsystem arbeiten“, fasst Vize-Direktor Rabe einige Kritikpunkte von Besuchern am Eröffnungstag zusammen. „Die Wege sind im Vergleich zur Hauptbibliothek ganz schön lang geworden“, sinniert auch Bibliothekar Mario Gaitzsch.

Funk-Ausleihe wird Pflicht

Andere Probleme mag man da eher als Kinderkrankheiten einstufen: Die Einwahl ins eigentlich kostenlose WLAN der Zentralbibliothek beispielsweise ist viel zu kompliziert geraten, an vielen Wasserautomaten kleben Schilder wie „Noch nicht in Betrieb“ und die omnipräsenten Sicherheitsleute künden davon, dass das Schließsystem noch nicht funktioniert.

Einiges war am Eröffnungstag dann doch noch nicht fertig. Foto: Heiko Weckbrodt

Einiges war am Eröffnungstag dann doch noch nicht fertig. Foto: Heiko Weckbrodt

Während diese Security-Männer angemessen ernst dreinblicken, wuchtet ein paar Schritte weiter am Ausgang ein Senior unschlüssig einen Bücherstapel von einem Scan-Tisch zum nächsten: Er will ein paar Romane ausleihen, kommt aber mit dem neuen Funkchip-System noch nicht so ganz zurecht.

Einen Ausleihtresen wie im WTC gibt es in der Zentralbibliothek nicht mehr. Die Leser sollen die frisch aufgeklebten RFID-Funkchips („Radio Frequency IDentification“) an den Büchern, CDs und Videos nutzen und ihre Medien an den Automatentischen selbst verbuchen. Ist eigentlich schnell und unkompliziert, wenn man sich daran gewöhnt hat – aber eben das kann dauern. „Hier gibt’s ja gar keine Menschen mehr, bei denen man was ausleihen kann“, sinniert eine Mutter, die mit zwei Kindern im Schlepptau gerade von einem dieser Funkausleih-Tische zurückkommt. „Man legt die Bücher da drauf und schon ist alles verbucht. Das war fast beängstigend.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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