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Ulbricht wollte einen Turm

Herbert Schneider entwarf um 1955 einen turmartiges Kulturhaus für Dresdens Innenstadt. Studenten der TU Dresden haben das Modell im Jahr 2017 im Maßstab 1 zu 200 gebaut. Foto: Heiko Weckbrodt

Herbert Schneider entwarf um 1955 ein turmartiges Kulturhaus für Dresdens Innenstadt. Studenten der TU Dresden haben das Modell im Jahr 2017 im Maßstab 1 zu 200 gebaut. Foto: Heiko Weckbrodt

Stadtmuseum widmet dem Kulturpalast Dresden eine Sonderschau

Dresden. 20. April 2017.Wer heute als architekturinteressierter Tourist Dresden besucht, steuert sicher zuerst den barocken Zwinger, die Frauenkirche oder das Residenzschloss mit seinen Renaissance-Fassaden an. Doch auch die sozialistische Nachkriegsmoderne prägt die Innenstadt wesentlich mit – und da vor allem der Kulturpalast zwischen Altmarkt und Schloss. Der im Volksmund „Kulti“ genannte Komplex soll nach einem – stark umstrittenen – dreieinhalbjährigen Generalumbau Ende April 2017 wieder eröffnen. Das Stadtmuseum Dresden widmet diesem Zeugnis der DDR-Architektur vom 21. April bis zum 17. September 2017 die Sonderausstellung „Der Kulturpalast Dresden. Architektur als Auftrag“. Und die zeigt: Heftige Diskussionen rankten sich von Anfang an um den „Kulti“.

Walter Ulbricht. Foto: Heiko Weckbrodt

Walter Ulbricht. Foto: Heiko Weckbrodt

Zuckerbäcker-Turmschloss entworfen

Wäre es nach Ulbricht und seinen Eleven gegangen, hätte Dresden heute einen verschnörkelten Turmbau im stalinistischen Zuckerbäcker-Stil stehen: Der Entwurf des Architekten Herbert Schneider stammt vermutlich aus dem Jahr 1955, überhöht die Bauten der Stalin-Ära in Moskau und Ostberlin. Nahm aber auch Elemente der Neogotik und des Barock auf. Studenten der TU Dresden haben diesen über 60 Jahre alten Entwurf nun für die Sonderausstellung im Maßstab 1 zu 200 nachgebaut. Und das Holzmodell lässt besser als jede Beschreibung erahnen, wie alldominierend diese sozialistische Riesen-Pagode für das Stadtzentrum gewesen wäre, wie winzig sich die Menschen vor diesem Koloss am Altmarkt vermutlich gefühlt hätten.

"Der Weg der Roten Fahne" entstand in einer AG unter Prof. Gerhard Bondzin an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und wurde als Wandrelief für den Kulturpalast Dresden realisiert. In der DDR galt der Grundsatz, das bei gesellschaftlichen Bauten 2 % der Investitionssumme für Kunst am Bau eingesetzt werden sollte. Repro: Heiko Weckbrodt

„Der Weg der Roten Fahne“ entstand in einer AG unter Prof. Gerhard Bondzin an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und wurde als Wandrelief für den Kulturpalast Dresden realisiert. In der DDR galt der Grundsatz, dass bei gesellschaftlichen Bauten 2 % der Investitionssumme für Kunst am Bau eingesetzt werden sollte. Repro: Heiko Weckbrodt

Innenstadt à la Sowjetunion: Aufmarsch-Straße, Kundgebungsplatz, sozialistische Dominante

Und eben solche Signale hatten die ostdeutschen Architekten der Nachkriegszeit aus Moskau empfangen: Sowjetischer Städtebau sah breite Aufmarschstraßen, große Kundgebungsplätze und eine sozialistische Architektur-Dominante im Zentrum vor. Deshalb scheiterte auch zunächst der Entwurf von Professor Leopold Wiel, der für einen Architekturwettbewerb einen Flachbau mit Kuppel und angefügtem Panorama-Kino nahe am zerstörten Wettiner-Schloss eingereicht hatte.

SED-Chef Walter Ulbricht begutachtet einen der Kulturhaus-Entwürfe mit Turm. Repro: Heiko Weckbrodt

SED-Chef Walter Ulbricht begutachtet einen der Kulturhaus-Entwürfe mit Turm. Repro: Heiko Weckbrodt

Aus Sicht der Parteiführung in Berlin, die sich immer wieder in die Dresdner Planungen zum Wiederaufbau der Innenstadt einmischte, hatte der Weil-Entwurf vor allem ein Problem: Er war flach, nicht himmelwärts strebend. „Ulbricht wollte einen Turm“, beschreibt Ausstellungs-Kuratorin Dr. Claudia Quiring das Problem, in dem der Architekturwettbewerb steckenblieb: Die anderen Entwürfe mit Turm wären nicht nur ziemlich teuer geworden, sondern enthielten auch keinerlei Konzept, was man mit dem Turm hätte anfangen können. Wiels Flachbau wiederum hatte ein schlüssiges Nutzungskonzept, aber keinen Segen von Ulbricht.

Der Entwurf von Prof. Leopold Wiel sah einen Flachbau mit Kuppel und Panorama-Kino vor. Dieser Entwurf wurde - in eingedampfter Form - Grundlage für den Kulturpalast Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Entwurf von Prof. Leopold Wiel sah einen Flachbau mit Kuppel und Panorama-Kino vor. Dieser Entwurf wurde – in eingedampfter Form – Grundlage für den Kulturpalast Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Nüchtern-Industrielles Bauen in der DDR „en vogue“

Die Zeit ging ins Land, Stalins Zuckerbäcker-Vorlieben gerieten in Vergessenheit und die DDR begann, nach einem zugleich eigenem wie auch sozialistischen Architekturstil zu tasten. Denn fand sie im industriellen Bauen – und plötzlich war der Wielsche Kulti-Entwurf wieder gefragt. Zunächst vom TU-Professor selbst, dann von einem Architekturkollektiv um Wolfgang Hänsch vom VEB Dresden Projekt immer wieder umgeplant und reduziert, wurde das Grundkonzept schließlich realisiert – und zum 20. „Republikgeburtstag“ im Oktober 1969 als „Kulturpalast“ eröffnet – ohne Kuppel und ohne Kino. „Gedacht war dieses Haus als bewusster Gegensatz zu Innenstädten in kapitalistischen Ländern“, betont Kuratorin Quiring. „Die Kultur sollte in der Stadtmitte einen Platz haben. Und das Haus sollte offen für alle sein.“

Volkstanz, Show-Girls, Pioniere - der Kulturpalast war für sehr viele Nutzergruppen konzipiert - bekam dadurch aber auch keinen Konzertsaal mit Spitzenakustik für Klassikkonzerte. Foto: Heiko Weckbrodt

Volkstanz, Show-Girls, Pioniere – der Kulturpalast war für sehr viele Nutzergruppen konzipiert – bekam dadurch aber auch keinen Konzertsaal mit Spitzenakustik für Klassikkonzerte. Foto: Heiko Weckbrodt

Vom Parteihaus zum Multifunktions-Kunsttempel

Aber auch das war nicht von Anfang an so geplant gewesen: In ersten Überlegungen war noch von einem Parteihaus am Altmarkt die Rede gewesen. Wohl vor allem auf Ulbrichts persönliches Drängen wurde daraus ein offenes „Haus der sozialistischen Kultur“ – sowohl für Laien- wie für Berufskünstler. Und dieses Vielnutzungs-Konzept funktionierte bis zur Wende auch und füllte das Haus: Hier gab es Philharmonie- und Schülerkonzerte, SED- und Pionierveranstaltungen, für Hobby-AGs gab es kostenlose Zirkel-Räume, Revuen wie das „Brückenmännchen“ fanden hier ebenso Platz wie Schlagerveranstaltungen. Einen Teil dieses DDR-Innenlebens zeigt übrigens in kleinen Filmausschnitten ein Minikino in der Ausstellung.

In seiner Formsprache ordnete sich der Kulturpalast in eine Reihe ähnlicher Bauten - hier das Kulturhaus Schwedt - in der DDR ein. Foto: Heiko Weckbrodt

In seiner Formsprache ordnete sich der Kulturpalast in eine Reihe ähnlicher Bauten – hier das Kulturhaus Schwedt – in der DDR ein. Foto: Heiko Weckbrodt

Brandschutz-Probleme erzwangen erste Schließung

Nach der Wende allerdings fielen SED- und Pionierveranstaltungen weg, staatliche Subventionen gab es auch nicht mehr, der Kulti versuchte sich zeitweise – und durchaus erfolgreich – als Kongresszentrum, bis schließlich die Brandschutz-Aufsichtsbehörden dazwischenfunkten: Der Palast entsprach vorne und hinten nicht mehr modernen Brandschutz-Normen, 2007 musste das Haus deshalb zunächst für eine „kleine“ Sanierung schließen.

Das DDR-Wappen aus dem Kulturpalast Dresden liegt nun auf dem Boden des Stadtmuseums Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Das DDR-Wappen aus dem Kulturpalast Dresden liegt nun auf dem Fußboden des Stadtmuseums Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Die nächste Metamorphose für den „Kulti“

Danach verschärfte sich die Diskussion um das künftige Schicksal des Kultis, der seit 2008 unter Denkmalschutz steht. Nach kontroversen Disputen entschied sich eine Mehrheit im Stadtrat für einen innereren Generalumbau und damit eine weitere Funktions-Metamorphose des Kulturpalastes: Ab 2012 bauten Arbeiten einen akustisch verbesserten Saal für klassische Musikkonzerte ein, damit fallen künftig aber auch viele „bunte“ Veranstaltungen der Vergangenheit flach. Wenn der Kuli Ende April 2017 wieder öffnet, wird er zudem das Kabarett „Herkuleskeule“ und die neue Zentralbibliothek beherbergen. „Wir sind schon sehr gespannt, wie der Kulturpalast dann innen aussieht“, sinnierte Stadtmuseums-Direktorin Erika Eschenbach zum Auftakt der „Kulti“-Sonderausstellung.

Autor: Heiko Weckbrodt

Besucherinformationen

Was?

Sonderausstellung „Der Kulturpalast Dresden. Architektur als Auftrag“

Wo?

Stadtmuseum Dresden, Eingang von der Landhausstraße

Wann?

22. April bis 17. September 2017

Öffnungszeiten:

dienstags bis sonntags jeweils 10 bis 18 Uhr, freitags bis 19 Uhr

Eintrittspreise

Erwachsene fünf Euro, ermäßigt vier Euro

Begleitprogramm:

(Quelle: Städtische Museen Dresden)

Mi 10.5. 19 Uhr

Zeitzeugengespräch

Mit Stefan Ritter, Technischer Direktor im Kulturpalast (1969 – 1981) und Irmgard Hermersdorfer, Programmredakteurin und Regieassistentin im Kulturpalast (1969 bis 2002)

Moderation: Dr. Claudia Quiring

 

Do 1.6. 18 Uhr

Vortrag

„Umstritten und geliebt – Der Dresdner Kulturpalast“

Mit Lutz Reike

 

Mo 3.7. bis Do 6.7.

Ferien-Filmprojekt

für Jugendliche (10 bis 14 Jahre) im Rahmen der

CrossMediaTour

Anmeldung unter www.crossmediatour.de

 

Do 17.8. 19 Uhr

Vortrag und Gespräch

„Sicherheitsrisiko Kulturpalast. Ein Vorzeigeobjekt im Visier der Stasi“

Mit Cornelia Herold, BStU

 

Di 12.9. 19 Uhr

Vortrag

„Kultur — nicht Staat — in der Mitte der Stadt“

Mit Dr. Bruno Flierl

 

Sa 16.9.

Museumsnacht

18.30 Uhr: Kuratorenführung mit Dr. Claudia Quiring

19 Uhr: Gespräch mit Dr. Bernd Rump, Mitbegründer und

ehemaliger Leiter des Schicht-Theaters im Kulturpalast

 

Führungen:

Sa 29.4.| 6.5 | 20.5. | 3.6. | 17.6. | 1.7 | 15.7. | 5.8. | 19.8. und 2.9. jeweils 11 Uhr

Öffentliche Führung durch die Sonderausstellung

Führung kostenfrei zzgl. Museumseintritt

 

So 30.4. 15 Uhr und Fr 8.9. 17 Uhr

Kuratorenführung durch die Sonderausstellung

Mit Dr. Claudia Quiring

Museumseintritt zzgl. Führungsgebühr

 

Mi 3.5. 15 Uhr*,

Architektenführung

Mit Christian Hellmund, Architekturbüro GMP

Aus erster Hand sind bei einem Rundgang durch den neuen „alten“ Kulturpalast vom projektbetreuenden Architekten Christian Hellmund Informationen zu den Planungen und der letztlichen Realisierung von Sanierung und Umbau zu erfahren.

Treffpunkt: Eingang Kulturpalast

 

So 7.5. 11 Uhr*

Stadtrundgang

„Kunst-Spuren der Moderne“

Der Rundgang führt von der Prager Straße über den Altmarkt zum Kulturpalast und stellt auf diesem Weg zahlreiche Wandbilder, Plastiken, Brunnen und Innenraumgestaltungen an öffentlichen und versteckteren Orten vor. Dauer: ca. 2 Std.

Mit Antje Kirsch

Treffpunkt: Pusteblumenbrunnen Prager Straße

 

Sa. 13.5. 15 Uhr

Führung mit Gebärdensprachedolmetscher

Museumseintritt zzgl. Führungsgebühr

 

So 13.8. 15 Uhr*

Besichtigung

„Robotron Kantine“

Mit Martin Neubacher M. A.

Treffpunkt: Haupteingang Robotron-Kantine, Zinzendorfstraße

 

So. 20.8. 15 Uhr*

Stadtrundgang

Neustädter Moderne

Mit Yngve Leonhardson

Treffpunkt: Goldener Reiter

 

Fr 25.8. 18 Uhr

Kurzführung mit Kunstgespräch

„Was geschieht und geschah mit Kunst aus der DDR?“

Mit Silke Wagler, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kunstfonds und Kathleen Schröter, Hochschule für Bildende Künste Dresden

Museumseintritt kostenfrei zzgl. Führungsgebühr

 

So 27.8. 15 Uhr*

Atelier- und Gartenrundgang

„Kunst im Kollektiv“

Mit Antje Kirsch

Treffpunkt: Ehem. „Produktionsgenossenschaft der bildenden Künste Kunst am Bau“, Gostritzer Straße 10

 

So 3.9. 15 Uhr*

Stadtrundgang

„Rund um Robotron“

Mit Marco Dziallas, ostmodern.org

Treffpunkt: Haupteingang Robotron-Kantine, Zinzendorfstraße

 

 

 

Mo 4.9. 18 Uhr*

Stadtrundgang

„DENKmal Gorbitz“

Mit Mathias Körner, Stadtteilhistoriker

Treffpunkt: Märchenbrunnen am Amalie-Dietrichplatz

 

Weitere Führungen nach Anmeldung unter Telefon 0351/488-7312

 

*Führungsgebühr 5 Euro / p. P. (vor Ort)

Anmeldung unter Telefon 0351 | 4887312 oder per E-Mail an service@museen-dresden.de

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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