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Russische Avantgarde in Chemnitz

Wladimir Baranow-Rossine: "Tanz" Zink, Öl und Guache auf Holz, 1914. Foto: Peter Weckbrodt Repro: Peter Weckbrodt

Wladimir Baranow-Rossine: „Tanz“ Zink, Öl und Guache auf Holz, 1914. Foto: Peter Weckbrodt
Repro: Peter Weckbrodt

Oigers Ausflugstipp: Das ehemalige Karl-Marx-Stadt erinnert mit einzigartiger Kunst-Schau an 100. Jubiläum der roten Revolution

Chemnitz, 13. Januar 2017. „Revolutionär! Russische Avantgarde aus der Sammlung Vladimir Tsarenkov“ heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 12. März in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen ist. Die Chemnitzer wollen mit der Schau an das 100-jährige Jubiläum der Russischen Revolution erinnern. Wir erinnern uns aus der Schule: Im Februar 1917 stürzten die Russen ihren Zaren, dann kam die Kerenski-Regierung ohne den heiß ersehnten Friedensschluss, schließlich die Oktoberrevolution mit Lenin via Saßnitz-Fährhafen nach Petersburg. Dies in Erinnerung zu rufen, zu würdigen, ist in unserer Zeit recht mutig.

Natalja Gontscharowa (1881-1962) Bühnenbildentwurf zu Goldonis  "Der Fächer" . Repro: Peter Weckbrodt

Natalja Gontscharowa (1881-1962) Bühnenbildentwurf zu Goldonis „Der Fächer“. Repro: Peter Weckbrodt

Unter Stalin starb die Avantgarde

Also gehen wir möglichst aufgeschlossen und vorurteilsfrei hinein ins zweite Obergeschoss der Sammlungen. Wir erleben das ganze Spektrum der bildenden Kunst im noch zaristischen Russland, in der Revolutionszeit mit ihren Hoffnungen und der ihm folgenden stalinistischen Ära. Ein vorläufiger Endpunkt wurde der russischen avantgardistischen Kunst mit der Auflösung aller bestehenden Künstlervereinigungen durch ZK-Beschluss im Jahre 1930. Zwei Jahre später folgte die Bildung eines Berufsverbandes mit Kunstsparten verbunden mit der Maßgabe, alle dort organisierten Künstler auf den sozialistischen Realismus einzuschwören.

Michail Larionow (1881-19419 "Porträt Strawinsky" von 1916. Repro: Peter Weckbrodt

Michail Larionow (1881-19419 „Porträt Strawinsky“ von 1916. Repro: Peter Weckbrodt

400 Leihgaben von 110 Künstlern

Etwa 400 Leihgaben von 110 Künstlern, entstanden in der Zeit von 1910 bis 1930, demonstrieren die ästhetische Revolte und die sozialutopische Zielrichtung dieser Kunst. Neben Gemälden, Zeichnungen und Grafiken werden Architekturmodelle, Vorarbeiten für Theaterdekorationen, Entwürfe für Bucheinbände, Textilentwürfe, Vorzeichnungen für Plakate, Porzellanentwürfe und hochkarätige Gebrauchsporzellane dieser Epoche mit konstruktivistischem Dekor gezeigt.

El Lissitzky (1890-1941) Figurine "Der neue Mann" aus der Reihe plastische Gestaltung der elektromechanischen Schau von 1923. Repro: Peter Weckbrodt

El Lissitzky (1890-1941) Figurine „Der neue Mann“ aus der Reihe plastische Gestaltung der elektromechanischen Schau von 1923. Repro: Peter Weckbrodt

Aufbruch in die Moderne und sozialer Impetus verknüpft

Eine junge Künstlergeneration wagte auch im zaristischen Russland einen ästhetischen und visionären Aufbruch, der Vorbote und treibende Kraft nachfolgender Veränderungen war. Und nirgendwo, das sei hier festgestellt, erfolgte der Sprung in die Moderne gewagter und konsequenter als in der Kunst Russlands und der jungen Sowjetunion. In keinem europäischen Land verband die Avantgarde so unmittelbar Kunst mit sozialem Engagement.

Natalja J. Danko (1891-1942) Plastik zum 10. Jahrestag der Roten Armee. Foto: Peter Weckbrodt

Natalja J. Danko (1891-1942) Plastik zum 10. Jahrestag der Roten Armee. Foto: Peter Weckbrodt

Bolschewistische Propaganda auf dem Teller

Natürlich reihten sich nicht wenige Künstler in die Reihen der revolutionären Streiter ein, das ist in der Ausstellung unübersehbar. Sie greifen die Revolutionsparolen auf: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, argumentieren neben Michail M. Adamowitsch (1884-19747) weitere Künstler auf ihren plakativ gestalteten Entwürfen prosowjetischer Porzellan-Teller. Der gleiche Künstler bringt uns sowohl Lenin wie auch den Schöpfer der Roten Armee, Trotzki, in Erinnerung. Selbst in El Lissitzkis (1890-1941) Figurinen, die plastische Gestaltung der elektromechanischen Schau, wird ist „ Der neue Mann“, sehenswert abstakt, eindeutig ein Bolschewist.

Kubistischer Akt

Wir erleben auch richtig schöne, oft stimmungsvolle Bilder, beispielsweise die „Schale mit Trauben“ von Alexandra Extter (1882-1949), der Bühnenbildentwurf von Natalja Gontscherowa (1881-1962) zu Goldonis „Fächer“. Mutig erscheint uns die kubistische Aktfigur von Marie Vassilieff (1884-1957), recht originell hingegen die aus Porzellan geformten „Zwei Pfeifen, junge Arbeiter“.

Wladimir Baranow-Rossine (1888-1944) "Reiter" von 1912. Repro: Peter Weckbrodt

Wladimir Baranow-Rossine (1888-1944) „Reiter“ von 1912. Repro: Peter Weckbrodt

Tipp: Baranow-Rossine angucken

Tief beeindruckend aber sind die hier vorgestellten Werke von Wladimir Baranow-Rossine (1888-1944). Sie füllen allein fast eine Galerie. Ob sein „Reiter“ von 1912, zwei Selbstporträts und quasi als optischer Höhepunkt solitär positioniert sein „Tanz“. Gut beraten ist, wer sich das als „krönenden“ Abschluss seines Ausstellungsbesuches aufhebt.

Wladimir Baranow-Rossine: Selbstporträt von 1912. Repro: Peter Weckbrodt

Wladimir Baranow-Rossine: Selbstporträt von 1912. Repro: Peter Weckbrodt

Fazit: Wer das nicht anschaut, hat was verpasst

Keiner blamiert sich, wenn er freimütig gesteht, dass er erst mal keine blasse Ahnung hat, was ihm schon vom Namen her bisher unbekannte russische Künstler zu bieten haben, wofür sie eigentlich stehen. Um das Fazit eines Besuches dieser Sonderausstellung gleich vornweg zu nehmen: Wer das nicht gesehen hat, wird richtig Sehenswertes verpasst haben ohne die Chance zu bekommen, das Versäumte irgendwann, irgendwo nachholen zu können.

Autor: Peter Weckbrodt

Besucherinformationen:

Was?

Sonderausstellung „Revolutionär! Russische Avantgarde aus der Sammlung Vladimir Tsarenkov“

Wo?

Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz

Wann?

11. Dezember 2016 bis 12. März 2017

Öffnungszeiten:

Di bis So 11-18 Uhr

Eintrittspreise:

8 Euro, ermäßigt 6 Euro

Katalog 30 Euro

Mehr Infos:

Telefon: 0371-488 4424

-> Die Schau im Netz

Anfahrtskarte (Google Maps):

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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