Oigers Ausflugstipp: Das ehemalige Karl-Marx-Stadt erinnert mit einzigartiger Kunst-Schau an 100. Jubiläum der roten Revolution
Chemnitz, 13. Januar 2017. „Revolutionär! Russische Avantgarde aus der Sammlung Vladimir Tsarenkov“ heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 12. März in den Kunstsammlungen Chemnitz zu sehen ist. Die Chemnitzer wollen mit der Schau an das 100-jährige Jubiläum der Russischen Revolution erinnern. Wir erinnern uns aus der Schule: Im Februar 1917 stürzten die Russen ihren Zaren, dann kam die Kerenski-Regierung ohne den heiß ersehnten Friedensschluss, schließlich die Oktoberrevolution mit Lenin via Saßnitz-Fährhafen nach Petersburg. Dies in Erinnerung zu rufen, zu würdigen, ist in unserer Zeit recht mutig.
Unter Stalin starb die Avantgarde
Also gehen wir möglichst aufgeschlossen und vorurteilsfrei hinein ins zweite Obergeschoss der Sammlungen. Wir erleben das ganze Spektrum der bildenden Kunst im noch zaristischen Russland, in der Revolutionszeit mit ihren Hoffnungen und der ihm folgenden stalinistischen Ära. Ein vorläufiger Endpunkt wurde der russischen avantgardistischen Kunst mit der Auflösung aller bestehenden Künstlervereinigungen durch ZK-Beschluss im Jahre 1930. Zwei Jahre später folgte die Bildung eines Berufsverbandes mit Kunstsparten verbunden mit der Maßgabe, alle dort organisierten Künstler auf den sozialistischen Realismus einzuschwören.
400 Leihgaben von 110 Künstlern
Etwa 400 Leihgaben von 110 Künstlern, entstanden in der Zeit von 1910 bis 1930, demonstrieren die ästhetische Revolte und die sozialutopische Zielrichtung dieser Kunst. Neben Gemälden, Zeichnungen und Grafiken werden Architekturmodelle, Vorarbeiten für Theaterdekorationen, Entwürfe für Bucheinbände, Textilentwürfe, Vorzeichnungen für Plakate, Porzellanentwürfe und hochkarätige Gebrauchsporzellane dieser Epoche mit konstruktivistischem Dekor gezeigt.
Aufbruch in die Moderne und sozialer Impetus verknüpft
Eine junge Künstlergeneration wagte auch im zaristischen Russland einen ästhetischen und visionären Aufbruch, der Vorbote und treibende Kraft nachfolgender Veränderungen war. Und nirgendwo, das sei hier festgestellt, erfolgte der Sprung in die Moderne gewagter und konsequenter als in der Kunst Russlands und der jungen Sowjetunion. In keinem europäischen Land verband die Avantgarde so unmittelbar Kunst mit sozialem Engagement.
Bolschewistische Propaganda auf dem Teller
Natürlich reihten sich nicht wenige Künstler in die Reihen der revolutionären Streiter ein, das ist in der Ausstellung unübersehbar. Sie greifen die Revolutionsparolen auf: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, argumentieren neben Michail M. Adamowitsch (1884-19747) weitere Künstler auf ihren plakativ gestalteten Entwürfen prosowjetischer Porzellan-Teller. Der gleiche Künstler bringt uns sowohl Lenin wie auch den Schöpfer der Roten Armee, Trotzki, in Erinnerung. Selbst in El Lissitzkis (1890-1941) Figurinen, die plastische Gestaltung der elektromechanischen Schau, wird ist „ Der neue Mann“, sehenswert abstakt, eindeutig ein Bolschewist.
Kubistischer Akt
Wir erleben auch richtig schöne, oft stimmungsvolle Bilder, beispielsweise die „Schale mit Trauben“ von Alexandra Extter (1882-1949), der Bühnenbildentwurf von Natalja Gontscherowa (1881-1962) zu Goldonis „Fächer“. Mutig erscheint uns die kubistische Aktfigur von Marie Vassilieff (1884-1957), recht originell hingegen die aus Porzellan geformten „Zwei Pfeifen, junge Arbeiter“.
Tipp: Baranow-Rossine angucken
Tief beeindruckend aber sind die hier vorgestellten Werke von Wladimir Baranow-Rossine (1888-1944). Sie füllen allein fast eine Galerie. Ob sein „Reiter“ von 1912, zwei Selbstporträts und quasi als optischer Höhepunkt solitär positioniert sein „Tanz“. Gut beraten ist, wer sich das als „krönenden“ Abschluss seines Ausstellungsbesuches aufhebt.
Fazit: Wer das nicht anschaut, hat was verpasst
Keiner blamiert sich, wenn er freimütig gesteht, dass er erst mal keine blasse Ahnung hat, was ihm schon vom Namen her bisher unbekannte russische Künstler zu bieten haben, wofür sie eigentlich stehen. Um das Fazit eines Besuches dieser Sonderausstellung gleich vornweg zu nehmen: Wer das nicht gesehen hat, wird richtig Sehenswertes verpasst haben ohne die Chance zu bekommen, das Versäumte irgendwann, irgendwo nachholen zu können.
Autor: Peter Weckbrodt
Besucherinformationen:
Was?
Sonderausstellung „Revolutionär! Russische Avantgarde aus der Sammlung Vladimir Tsarenkov“
Wo?
Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz
Wann?
11. Dezember 2016 bis 12. März 2017
Öffnungszeiten:
Di bis So 11-18 Uhr
Eintrittspreise:
8 Euro, ermäßigt 6 Euro
Katalog 30 Euro
Mehr Infos:
Telefon: 0371-488 4424
Anfahrtskarte (Google Maps):
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