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In Deutschland fehlt ein Ökosystem für Elektroautos

Armin Raupbach und René Pessier an einer Elektroauto-Ladesäule auf dem TU-Campus. Foto: Tim Tines, TUD

Armin Raupbach und René Pessier an einer Elektroauto-Ladesäule auf dem TU-Campus. Foto: Tim Tines, TUD

Die Verkehrswissenschaftler René Pessier und Armin Raupbach von der TU Dresden über Stand und Zukunft der Elektromobilität

René Pessier und Armin Raupbach vom Lehrstuhl für Kommunikationswirtschaft der Technischen Universität Dresden haben für eine Studie über Elektromobilität über 600 Nutzer von Elektroautos in Europa befragt. Oiger-Redakteur Heiko Weckbrodt hat die beiden Forscher darüber ausgefragt, wann wir auf die Kanzlermillion kommen, wo der ganze Strom für so viele Elektroautos herkommen soll – und warum der ganze Markt bisher so vor sich hinkriecht. Sie sagen: Kaufprämien für Elektroautos wie die jüngst beschlossenen sind sinnvoll als Anstoß, um eine kritische Masse im Markt zu erreichen. Sie haben aber nur Sinn, wenn Staat und/oder Wirtschaft für ein allgemein zugängliches Netz aus Ladestationen und andere Infrastrukturen für Elektroautos sorgen.

Die Kanzlerin will bis 2020 eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen sehen. Wo stehen wir heute?

Armin Raupbach: In Deutschland waren zum Jahresende etwa 30.000 Elektro-Fahrzeuge unterwegs, wenn man Pedelecs, E-Bikes und Eigenzulassungen der Hersteller nicht mitrechnet. Dass wir noch so weit von dem Millionenziel entfernt sind, wundert mich nicht: Wenn man als reiner homo oeconomicus einen Elektroauto-Kauf durchrechnet, sehe ich höhere Anschaffungskosten und weniger Einsatzmöglichkeiten als bei einem Benziner oder diesel. Bisher sind es im Privatsektor vor allem die Enthusiasten, die sich ein Elektroauto kaufen. Einige Nachfrage erzeugen auch die Unternehmen und Behörden, die sich solche Fahrzeuge im Zuge von Förderprogrammen beziehungsweise aus Image-Gründen zulegen.

Armin Raupbach (links) und René Pessier. Foto: Heiko Weckbrodt

Armin Raupbach (links) und René Pessier. Foto: Heiko Weckbrodt

Wo liegen die Probleme? Der Preis allein ist es ja anscheinend nicht…

Armin Raupbach: Elektromobilität ist ein Systemgut: Was in Deutschland wirklich fehlt, ist ein einheitliches und anwenderfreundliches Ökosystem für Elektroautos. Ein System, welches Fahrzeug, Navigation, Einsatzplanung und Lade-Infrastruktur zusammenführt. Tesla hat dies begriffen und daraus ein Produkt gemacht: mit einem eigenen Netz von Schnellladestationen, zu denen das integrierte Navigationsgerät das Elektrofahrzeug rechtzeitig navigiert. Dieses Vorgehen nimmt die Komplexität aus dem Thema heraus. Tesla ist momentan aber nur ein Nischenanbieter.

Als dominierendes Problem haben die meisten Elektroauto-Nutzer, die wir befragt haben, die schlechte Ladeinfrastruktur angesprochen. Es immer noch zu wenig Ladestationen und zu viele Zugangsbeschränkungen: Allein in Sachsen braucht ein Elektroauto-Fahrer vier verschiedene Zugangskarten und muss sich bei fünf Diensten anmelden, um auch nur 80 Prozent der Ladesäulen nutzen zu können.

Hinzu kommt die ständige Unsicherheit auf der Anfahrt zur Ladestation: Wo steht die nächste Station? Ist sie vielleicht von anderen Autos zugeparkt? Ist sie durch andere E-Autos belegt? Oder ist sie kaputt?

„Planungsaufwand, um in Deutschland mit einem Elektroauto größere Reisen zu unternehmen, ist zu hoch“

René Pessier: Der Planungsaufwand, um in Deutschland mit einem Elektroauto größere Reisen zu unternehmen, ist zu hoch. Um zum Beispiel von Dresden nach Berlin zu gelangen, kommen Sie im Moment besser, wenn sie den Umweg über Leipzig nehmen – wegen der Verteilung der Schnellladestationen. Und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt, den viele Elektroauto-Nutzer in unseren Befragungen moniert haben: Die Reichweite der Fahrzeuge müsste mindestens doppelt zu groß sein, damit Elektroautos nicht nur für innerstädtische und regionale Fahrten sinnvoll verwendbar sind. Sie wollen auch mittlere und Langstrecken zurücklegen. Man müsste also mit einer Ladung mindestens von Dresden bis nach Berlin kommen.

In Sachsen hat Tesla eine Superscharger-Station am Autohof Nossen an der A 14 installiert. Tesla-Fahrer dürfen hier gratis Strom tanken. Foto: Heiko Weckbrodt

In Sachsen hat Tesla eine Superscharger-Station am Autohof Nossen an der A 14 installiert. Tesla-Fahrer dürfen hier gratis Strom tanken. Foto: Heiko Weckbrodt

 Sind denn inzwischen wenigstens die Anschlüsse für die Schnelllade-Stationen standardisiert?

Armin Raupbach: Leider nicht. Wir haben da den deutschen Standard CCS, dem VW, BMW, Mercedes und Porsche folgen, dann den französisch-japanischen Standard CHAdeMO, außerdem das Tesla-Netzwerk. Nicht zuletzt gibt es das – ebenfalls als Schnellladen titulierte – Wechselstromladen mit 43 Kilowatt . Diese Stecker sind nicht kompatibel zueinander, sie haben unterschiedliche Formen und Steuersignale.

René Pessier: Das ist ein ernstes Problem: Es gibt ohnehin zu wenige Ladestationen in Deutschland und dazu kommt dann noch diese Konkurrenz der Anbieter, von denen jeder seinen Standard am Markt durchsetzen will. Dies ist hinderlich, führt zu Unsicherheiten und höheren Kosten. Wir gehen davon aus, dass sich erst in einigen Jahren ein Ladestandard durch den Marktdruck durchsetzen wird. Nämlich dann, wenn Elektrofahrzeuge zu einem echten Massenmarkt geworden sind.

„Wenn sich das alles so weiterentwickelt wie bisher, dann werden wir die Millionenvorgabe nicht annähernd erreichen.“

Was müsste sich vor allem ändern, damit wir der einen Million Elektrofahrzeuge endlich näher kommen?

René Pessier: Vorneweg gesagt: Wenn sich das alles so weiterentwickelt wie bisher, dann werden wir die Millionenvorgabe nicht annähernd erreichen.

Aber wir sehen tatsächlich einige Ansätze. Eine Möglichkeit wäre, die Abgas-Grenzwerte für Autos so zu verschärfen, dass dies – zumindest in Innenstädten – auf Fahrverbote für klassische Autos mit Verbrennungsmotor hinausläuft. Das würde recht schnell zu mehr Elektroauto-Käufen führen.

Wachstumstreiber Autoindustrie in Sachsen - hier ein Blick in die i8-Montage im BMW-Werk Leipzig. Foto: BMW

Blick in die i8-Montage im BMW-Werk Leipzig. Foto: BMW

Zweitens könnte der Staat Kauf-Anreize wie damals während der Wirtschaftskrise mit den Verschrottungsprämien schaffen. Dies würde wahrscheinlich bald zu höheren Verkaufszahlen bei Fahrzeugflotten von Unternehmen und Behörden führen. Denn anders als viele private Konsumenten, bei denen emotionale und viele andere Faktoren beim Autokauf auch eine Rolle spielen, rechnen Flottenbetreiber rational. Und die würden das ganz genau ausrechnen, ab welcher Prämie sich ein Elektroauto lohnt.

Subventionspolitik entwickelt oft so ihre Schattenseiten…

Armin Raupbach: In der Tat bergen solche Kaufprämien die Gefahr von Fehlsteuerungen und Mitnahmeffekten. Das konnte man sehr deutlich in Frankreich sehen: Dort hat der Staat den Kauf von Elektroautos mit jeweils bis zu 10.000 Euro gefördert. Die Bedingungen waren, dass der Käufer das Auto mindestens ein halbes Jahr behalten und mindestens 6000 Kilometer damit gefahren sein musste, bis er es weiterverkaufen konnte. Was war die Folge? Es entwickelte sich ein Geschäftsmodell: Die Elektroautos wurden genau so lange behalten, bis die Bedingungen erfüllt waren – und danach gebraucht weiterverkauft.

René Pessier: Wir halten Kaufprämien für sinnvoll – aber nur, um den Markt anzustoßen und für eine kritische Masse zu sorgen. Damit solche Prämien nicht verpuffen, müsste der Staat parallel dazu die drängenden ordnungspolitischen Probleme angehen, und dafür sorgen, dass ein selbsttragendes Ökosystem und eine hemmnisfreie Infrastruktur für Elektroautos wächst. Zum Beispiel durch Investitionen in ein dichtes Netz aus Ladestationen.

Wo beginnt solch eine kritische Masse?

René Pessier: Ich denke, ab etwa 100.000 Elektroautos wäre solch ein Punkt erreicht. Damit hätten wir relevante Nachfrage. Wir müssten den aktuellen Bestand also noch etwa verdreifachen.

Nehmen wir mal an, wir würden uns doch bald der Million Elektroautos nähern: Könnten unsere Kraftwerke und Stromnetze genug Saft für solche E-Flotten überhaupt hergeben?

René Pessier: Ich sehe da kein Problem. In Deutschland gibt es eine Überproduktion von elektrischer Energie und hat eher Probleme, die Energie zwischen Nord und Süd, Ost und West zu transportieren. Klar wäre es ein Problem, wenn an einem Sonntagnachmittag plötzlich eine Million Elektroauto-Besitzer auf die Idee kämen, gleichzeitig ihre Batterien zu laden. Aber wie realistisch ist solch ein Szenario? Hinzu kommt: In Ostdeutschland sind die Stromnetze sowieso überdimensioniert, die könnten also auch mehr Last vertragen.

Als weitere ökologische Alternative gelten Wasserstoff-Autos, die mit Brennstoffzellen-Antrieben Strom erzeugen. Könnten wir die mit ausreichend Wasserstoff versorgen?

Armin Raupbach: Wir sind erst letztens so ein Wasserstoff-Auto mit Brennstoffzelle probegefahren, einen Hyundai IX35 Fuel Cell. Der fährt sich wie ein Elektroauto, hat immerhin 400 bis 500 Kilometer Reichweite und wird mit 6,9 Litern Wasserstoff betankt. Das hat seinen Charme, aber wird wohl auf absehbare Zeit ein Nischenprodukt bleiben. Es gibt nur zirka 150 wasserstoffgetriebene Fahrzeuge in Deutschland und etwa 30 Wasserstoff-Tankstellen. Wohl auch wegen der geringen Tankstellen-Dichte will Honda, als weiterer Hersteller, demnächst eine Art Minikraftwerk anbieten, damit die Leute daheim per Elektrolyse Wasserstoff selbst erzeugen können. Die Produktionsmenge liegt aber wohl nur bei ein bis zwei Kilogramm Wasserstoff pro Tag, soviel wir wissen, von den Kosten einer solchen Anlage ganz zu schweigen.

Null Kohlendioxid: Die Brennstoffzellen-Wasserstoff-Rikscha "Hydrogenia" der Fraunhofer-Forscher. Abb.: FHG

Null Kohlendioxid: Eine Brennstoffzellen-Wasserstoff-Rikscha „Hydrogenia“ von Fraunhofer-Forschern. Abb.: FHG

Immerhin wäre das vielleicht ein Weg, um die Energiespeicher-Lücke in Deutschland etwas zu schließen: Ökostrom rein, Wasserstoff raus… Und einige sagen ja auch den Akkus von Elektroautos dieses Potenzial nach. Sie sollen nach diesen Konzepten im virtuellen Verbund die Wind- und Solar-Energiespitzen zwischenspeichern, die Deutschland mangels leistungsstarker Stromtrassen nicht verteilt bekommt. Halten Sie das für realistisch?

Armin Raupbach: Nicht wirklich zeitnah. Den Vorteil der geringen Betriebskosten kann ein Elektrofahrzeug nur ausspielen, , wenn es viel bewegt wird, etwa als Taxi oder im Carsharing. Das verträgt sich nicht mit dem Gedanken, die Batterie lange als Zwischenspeicher ans Netz zu hängen. Und gerade tagsüber, wenn Solar- und Windanlagen überproduzieren, wäre das Fahrzeug ja auch besonders wahrscheinlich gerade unterwegs. Zudem bräuchten wir Zehntausende oder gar Hunderttausende Auto-Batterien in einem virtuellen Verbund, bis sie zusammen als Großspeicher wirklich ins Gewicht fallen würden.

René Pessier: Da wird eher anders herum ein Schuh draus: Wenn man intelligente Steuerungssysteme verwendet, um Elektroautos lastabhängig zu laden, könnten wir zumindest die Lastspitzen in den Stromnetzen besser ausgleichen. Alles andere würde beim Durchbruch und Mengen von mehreren Millionen Fahrzeugen kommen.

Hinweis: Dieser Beitrag ist ursprünglich für das Uni-Journal der TU Dresden entstanden. Die Ausgabe ist hier im Netz zu finden.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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