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Perverser Kinoführer: Die Fiktion ist unsere Realität

Philosoph Slavoj Žižek interpretiert an Original-Schauplätzen und mit vielen Bildausschnitten Klassiker der Filmgeschichte mit den Methoden der Psychoanalyse und unter dem Blickwinkel der Realitätskonstruktion. Abb.: Absolut Medien

Philosoph Slavoj Žižek interpretiert an Original-Schauplätzen und mit vielen Bildausschnitten Klassiker der Filmgeschichte mit den Methoden der Psychoanalyse und unter dem Blickwinkel der Realitätskonstruktion. Hier schippert er gerade auf den Spuren von Alfred Hitchchocks Thriller „Die Vögel“. Abb.: Absolut Medien

Philosoph Žižek interpretiert auf Doku-DVD Ausschnitte aus 40 Filmklassikern von „Psycho“ bis „Matrix“

Hätte Neo in der „Matrix“ eine dritte Pille von Morpheus einfordern sollen? Eine, die ihm hilft, die Realität in der Illusion zu erkennen? Hat Meisterregisseur Alfred Hitchcock das Haus von Norman Bates in „Psycho“ so konstruiert, dass jede Etage eine Ebene von Sigmunds Freuds „Ich“-Konzept repräsentiert? Diese und viele andere faszinierende Fragen exerziert Slavoj Žižek in der Dokumentation „The Pervert’s Guide to Cinema“ durch, die nun auf DVD erschienen ist. Der slowenische Philosoph fördert dabei faszinierende Details ans Tageslicht und verblüfft selbst routinierten Cineasten mit neuen Sichtweisen auf rund 40 Filmklassiker von Charlie Chaplin bis David Lynch, von Andrej Tarkowski bis Starwars.

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Psychoanalysiert: Mutter-Über-Ich sendet „Die Vögel“ aus

Slavoj Žižek setzt dabei vor allem Interpretationstechniken von Freud und anderen Psychoanalytikern ein. Nur schwer kann sich der Zuschauer der fast magischen Bestimmtheit des Philosophen entziehen, wenn der an Originalschauplätzen schon fast handgreiflich den Wesenskern aus all den scheinbar altbekannten Filmklassiker neu herauszerrt: Statt der gängigen „Die Natur wehrt sich“-Öko-Interpretation sieht der slowenische Philosoph in den angreifenden „Vögel“ in Hitchcocks gleichnamigen Thriller inzestuöse Aggressionen eines verärgerten Mutter-Über-Ichs. Die Überfremdungsangst, die wir gemeinhin in „Alien“ oder „Der Exorzist“ sehen, deutet er nahezu ins Gegenteil um: Wir sind eigentlich das Alien, das „nichtdazupassende“ fremde Element, das von unserem tierischen Körper Besitz ergriffen hat.

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Lynchs überpotente Vaterfiguren

Auf den ersten Blick mag dies wie kühne Überinterpretation klingen und weit hergeholt. Richtig interessant wird es aber, wenn sich Žižek von diesem argumentativen Fundament aus an die richtig harten Nüsse wagt: An Lynch-Klassiker wie „Blue Velvet“ und „Lost Highway“ zum Beispiel, die er als Reflex auf über- und immerpotente Vaterfiguren deutet. Oder an Tarkowskis Adaption von „Solaris“, aus der er schlussfolgert, Frauen seien in dieser Filmwelt nur Ausdruck männlicher Projektionen – ohne diese Phantasien würden Frauen gar nicht existieren. „Für die männliche Libido“, so argumentiert er da provokativ, „ist nur eine tote Frau eine gute Frau“.

Welche unterbewussten Schrecken manifestieren sich im Kino für uns? Slavoj Žižek stellt sich aber auch die Frage: Leben wir in Filmen "nur" unsere Gewaltphantasien aus - oder leben wir dort unser wahres Ich? Abb.: Absolut Medien

Welche unterbewussten Schrecken manifestieren sich im Kino für uns? Slavoj Žižek stellt sich aber auch die Frage: Leben wir in Filmen „nur“ unsere Gewaltphantasien aus – oder leben wir dort unser wahres Ich? Abb.: Absolut Medien

Wird die Realität zu unerträglich, fiktionalisieren wir sie

Letztlich ranken sich all diese Beispiele für Slavoj Žižek aber um einige wenige Kernfragen: Warum akzeptieren wir Kinofilme ähnlich wie eine Realität, obwohl uns die Fiktion sehr wohl bewusst ist? Seine Antwort: Weil umgekehrt Fiktionalisierung Teil unserer Realität ist. Die ist nämlich oft so erschütternd und unerträglich, dass wir automatisch beginnen, sie in Fiktionen zu übersetzen – ganz ähnlich wie das Kino.

Werbung: Die DVD ist u. a. hier erhältlich:
The Pervert’s Guide to Cinema (OmU)

Fazit: Ein Muss für den Filmfreund

Abb.: Absolut Medien

Abb.: Absolut Medien

Slavoj Žižek und Regisseurin Sophie Fiennes entführen uns hier auf eine absolut faszinierende Reise durch die Filmgeschichte, auf der der Philosoph und Analytiker an altbekannt Geglaubtem heftig rüttelt. Diese Doku ist ein Muss für jeden Cineasten: Wer glaubte, all die Filmklassiker schon in- und auswendig zu kennen, wird hier eines besseren belehrt.

Autor: Heiko Weckbrodt

The Pervert’s Guide to Cinema“ (Absolut Medien), Dokumentation, Regie: Sophie Fiennes, mit Slavoj Žižek, 150 Minuten, engl. Original mit dt. Untertiteln, DVD 15 Euro, FSK 16

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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