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Staatsfeind oder Stasi-Mann

Justin Wolfram (links) als Stasi-Offizier Wolf und Mike Imre als verhafteter Bergmann im Kammerspiel "Das Verhör", das gestern Abend im Stasi-Hafthaus an der Bautzner Straße in Dresden premiere hatte. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Justin Wolfram (links) als Stasi-Offizier Wolf und Mike Imre als verhafteter Bergmann im Kammerspiel „Das Verhör“, das gestern Abend im Stasi-Hafthaus an der Bautzner Straße in Dresden premiere hatte. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Projekt „Angeeckt“: Dresdner Schüler verarbeiten ihre zeitgeschichtlichen Recherchen zu Kammerspiel, Film, Hörbüchern und Zeichnungen

Dresden, 18. Dezember 2015. In einem Theaterstück, einem Kurzfilm, Zeichnungen und Zeitzeugen-Interviews haben über 40 junge Dresdner ihre zeitgeschichtlichen Recherchen in der ehemaligen Stasi-Bezirkszentrale verarbeitet. Die Ergebnisse ihres dreimonatigen Projektes „Angeeckt“ haben die 13- bis 18-Jährigen gestern Abend in der Gedenkstätte an der Bautzner Straße in Dresden präsentiert…

Packen Sie jetzt aus!

Es ist dunkel im Hafthaus. Stockdunkel. Zwei Scheinwerfer zerren einen Verhörtisch der Marke DDR-Billigfurnier aus der Düsternis. „Staatsfeindliche Hetze“, wirft der Stasi-Offizier dem zusammengekauerten Etwas vom Mensch auf der anderen Tischseite vorwurfsvoll an den Kopf. „Das gibt Gefängnis. Mindestens 5 Jahre. Hören Sie, Bergmann: Wenn Sie jetzt nicht auspacken, kann ich nichts mehr für sie tun.“ Bergmann in seinem brauen Armee-Trainingsanzug schweigt, reißt ein Schild hoch: „Unschuldig“ ist darauf in großen Lettern gepinselt. Die ganze Nacht geht das Verhör so weiter, Woche für Woche, können wir nur vermuten.

Macht und Ohnmacht im Fokus

Doch dann der Szenenwechsel, Rollenwechsel: Jahre später, wohl kurz nach der Wende, haben sich die Positionen vertauscht: Der Angeklagte ist nun Ankläger, der Verhörer nun Verhörter. Als Bergmann dem Ex-Stasi-Mann Wolf wütend das Vergangene vorwirft, reißt auch der ein Schild – genau dasselbe wie Minuten bzw. Jahre vorher Bergmann: „Unschuldig!“ Das kleine Kammerspiel komprimiert in einer Viertelstunde Jahrzehnte ostdeutscher Biografien und Geschichte. Basierend auf Original-Verhörakten hat „Angeeckt“-Betreuerin Cilly Zimmermann gemeinsam mit den Jugendlichen die Dialoge geformt, die vor allem eines zeigen: Das „Spiel“ von Macht und Ohnmacht. Die Rolle des Stasi-Verhörers Wolf und des Inhaftierten Bergmann haben die Achtklässler Justin Wolfram und Mike Imre-Tarnoci von der 121. Oberschule aus Dresden-Prohlis übernommen.

Demütigende Aufnahme-Prozeduren in der Stasi-U-Haft

Andere junge Projektteilnehmer führten Interviews mit Zeitzeugen, die beispielsweise über die entwürdigenden Aufnahme-Prozeduren in der Stasi-U-Haft an der Bautzner Straße berichteten, und verarbeiteten sie zu Hörbüchern. Wieder andere komponierten eine Videoinstallation „Kontraste“ mit optischen Impressionen aus der Stasi-Zentrale, in die abwechselnd Perspektiven von DDR-Geheimdienstlern und Gefangenen gegengeschnitten sind.

„Peer Education“: Gleichaltrige bringen sich gegenseitig was bei

Vorbereitet auf diese und weitere Projektarbeiten hatten sich die Mädchen und Jungen in mehreren Medien-, Sprach- und Video-Kursen, in Führungen und Recherche-Tagen in der Gedenkstätte. Dabei gab es zwar Anleitung von erfahrenen erwachsenen Betreuern, aber soweit es ging, habe man auf das „Peer Education“-Prinzip gesetzt, betont Projekt-Mitbetreuer Heiko Neumann. Was heißt: Sobald sich der jungen Rechercheure und Medienkreativen genug Erfahrung gesammelt hatte, betreute er selbst Gleichaltrige in den Kursen.

Das Stasi U-Hafthaus an der Bautzner Straße soll Teil des Dresdner "Campus' der Demokratie" werden. Abb.: hw

Das Stasi U-Hafthaus an der Bautzner Straße. Abb.: hw

Angeeckt animiert Nachwende-Jugendliche, sich mit DDR zu beschäftigen

Durch das Projekt „Angeeckt“ wollen die „Gedenkstätte Bautzner Straße“, der Deutsche Museumsbund und weitere Partner erreichen, dass sich die Nachwende-Generationen mit der DDR-Vergangenheit auseinandersetzen und auf kreative Art und Weise ihre eigenen Perspektiven auf die jüngere ostdeutsche Geschichte entwickeln. Das diesjährige Projekt war bereits der dritte „Angeeckt“-Durchgang. Die Ergebnisse können sich Besucher in den nächsten Wochen in der dritten Etage der Gedenkstätte anschauen – gleich neben dem Dienstzimmer von Ex-Stasi-General Horst Böhm.

Autor: Heiko Weckbrodt

-> Mehr Informationen über das Projekt „Angeeckt“ gibt es hier im Internet. Die „Gedenkstätte Bautzner Straße“ (Bautzner Str. 112a) ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet vier Euro für Erwachsene (zwei Euro ermäßigt), Minderjährige dürfen gratis rein.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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