HAP und Ortner wollen nach Fusion auch Chipfabriken in Asien und USA automatisieren
Dresden, 5. Oktober 2015. Während viele Wirtschaftspolitiker noch von „Industrie 4.0“ visionieren, hat dieser nächste große Automatisierungs- und Vernetzungs-Schub in der Halbleiter-Industrie bereits begonnen. Das hat Heinz-Martin Esser, der Präsident des sächsischen Hightech-Verbandes „Silicon Saxony“, eingeschätzt: In vielen deutschen Halbleiter-Werken werden laut seinen Angaben schon jetzt durch autonom agierende Roboter und vernetzte Transportsysteme frühere Automatisierungslücken geschlossen. Dadurch können die Zentralrechner dieser Fabriken die Materialflüsse selbstständig und kurzfristig an die aktuelle Auftragslage und Anlagen-Auslastung anpassen. Und hinter einigen dieser „Industrie 4.0“-Praxisbeispiele stehen übrigens Netzwerke mitteldeutscher Unternehmen.
-> Zum Weiterlesen: Was ist Industrie 4.0?
Esser schildert diese Entwicklung aus eigener Erfahrung: Er ist Ko-Geschäftsführer des Dresdner Automatisierungs-Unternehmens HAP-Ortner, das am 1. September 2015 durch eine Fusion zwischen HAP und der früheren Roth&Rau-Tochter Ortner in Dresden entstanden ist. Obwohl durch äußere Sachzwänge zustanden gekommen – der angeschlagene Solarausrüster Roth&Rau wollte die Tochter verkaufen – sei durch die Fusion doch ein schlagkräftigerer Verbund mit zusammen rund 170 Mitarbeitern und über 25 Millionen Euro Umsatz entstanden, erklärte Esser: Beide Partner hätten langjährige Erfahrungen mit dem Robotereinsatz und der Konstruktion hochautomatischer Transportsysteme in Halbleiterfabriken.
Nachautomatisierung auch für andere Branchen interessant
Und diese Kompetenzen wollen man nun gemeinsam nutzen, um die bei der Nachautomatisierung deutscher Chipfabriken gesammelten Erfahrungen auch in den USA und Asien zu verwerten, betonte Esser heute im Vorfeld der Halbleitermesse „Semicon Europe“ in Dresden. Möglicherweise könne man dieses Know-How später auch auf andere Branchen – zum Beispiel die Automobil- und Solarindustrie – übertragen.
Kooperation mit Basisroboter-Anbieter aus Thüringen
Denn die von mitteldeutschen Firmen-Netzwerken entwickelten „Industrie 4.0“-Linien für Chipwerke gehen über Insellösungen, wie es sie in vielen Fabriken bereits deutlich hinaus, und können daher für viele Industriezweige von Interesse sein. Um beispielsweise eine Halbleiter-Fabrik in Süddeutschland nachträglich zu automatisieren, orderten HAP und Ortner variierbare Rollroboter von MetraLabs GmbH aus Ilmenau in Thüringen. Diese Basis-Roboter statteten sie dann mit Greifarmen für Chip-Scheiben und speziellen Steuer-Programmen aus.
Roboter und Fabrik-Zentralrechner verständigen sich per WLAN-Funk
Per WLAN-Funk sind diese – zunächst drei – Roboter mit dem Zentralrechner der Chipfabrik verbunden. Und dieser Zentralcomputer weist den Robotern dann regelmäßig Arbeiten zu, die früher manuell erledigt werden mussten: Zum Beispiel Chip-Belichtungsmasken zu den richtigen Maschinen zu bringen, sie dort einzusetzen und dergleichen mehr. Diese Aufgaben erledigen die Transportroboter dann weitgehend selbstständig: Die Programmierer haben ihnen genug „Eigenintelligenz“ eingepflanzt, dass sie zum Beispiel Menschen selbstständig ausweichen, Tabuzonen in der Fabrik vermeiden, den schnellsten Weg zwischen zwei Orten finden (und zwar ohne führende Induktionsschleifen im Boden) und von sich aus Ladestationen aufsuchen, wenn ihre Akkus leer werden. Ein Dresdner Unternehmen entwickelte dazu eine Flottenmanagement-Software, die künftig auch den Einsatz einer fast unbegrenzten Anzahl von Robotern in der Fabrik zulässt.
Kritiker befürchten Job-Verluste
Durch solche autonomen Roboter wollen Fabrikbetreiber vor jene Aufgaben automatisieren, die bisher Menschen vorbehalten waren, weil Transportbänder oder starre Roboterarme dafür nicht flexibel genug waren. Kritiker weisen indes auch auf die Kehrseite solcher Hochautomatisierung hin: Zu erwarten ist nämlich, dass in dieser schönen neuen „Industrie 4.0“-Welt viele Jobs, die bisher durch Menschen erledigt wurden, wegfallen werden. „Klar ist, dass Industrie 4.0 große Chancen hat, was Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze und persönliche Freiräume von Beschäftigten angeht, aber natürlich auch große Risiken“, schätzte zum Beispiel Detlef Wetzel, der Erste Vorsitzende der IG Metall, vor einiger Zeit in einem Interview ein. „Nämlich Abbau von Beschäftigung, Entwertung von Qualifikation… Menschenleer werden die Fabriken mit Sicherheit nicht werden, denn auch eine digitale Produktion muss gesteuert werden. Viele einfache und vielleicht auch mittlere Tätigkeiten werden vielleicht wegfallen, andere neue Tätigkeiten werden dafür entstehen.“
Die Befürworter halten die „Industrie 4.0“ ohnehin für nahezu alternativlos für Deutschland, um gegen Billiglohn-Länder konkurrenzfähig zu bleiben – zudem würden dadurch die verbleibenden Arbeitsplätze gesichert und an anderer Stelle neue Jobs entstehen.
Chinesen investieren heute schon Milliarden in Smart Factories
Und Heinz-Martin Esser hat noch ein weiteres Argument für dieses Pfad parat: „China zum Beispiel investiert derzeit Milliardenbeträge in solche Smart Factories“, sagt er. „Wenn Deutschland da nicht mehr Tempo macht, werden wir angehängt.“ Autor: Heiko Weckbrodt
Zum Weiterlesen:
Semicon Europe ab morgen in Dresden
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