Medizin & Biotech

AIDS im Spiegel der Plakate

AIDS als Menschenfresser - Holzskulptur der afrikanischen Künstlerin Zephania Tshuma von Anfang der 1990er Jahre. Foto: Heiko Weckbrodt

AIDS als Menschenfresser und Hoffnungsräuber – Holzskulptur der afrikanischen Künstlerin Zephania Tshuma von Anfang der 1990er Jahre im Hygienemuseum Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Sonderschau im Hygiene-Museum reflektiert gewandelten Blick auf die Seuche seit den 80ern

Dresden, 4. September 2015. Das Hygiene-Museum in Dresden zeigt ab heute in einer Sonderausstellung „AIDS – Nach einer wahren Begebenheit“ rund 240 Plakate sowie Skulpturen, Aufklärungsvideos und andere Werke, die sich in den vergangenen 34 Jahren mit dem HI-Virus und der durch ihn ausgelösten Immunschwäche-Krankheit AIDS auseinandergesetzt haben. Die Exponate sollen dem Besucher nicht nur eine medizinische Perspektive auf die große Seuchen des ausgehenden 20. Jahrhunderts bieten, sondern vor allem den Wandel veranschaulichen, den AIDS und HIV gesellschaftlich ausgelöst haben: „Die Plakate zeigen die verschiedenen Sichtweisen auf Moral und Unmoral, auf vermeintlich ,richtige‘ und ,falsche‘ Lebensweisen und Sexualpraktiken“, erklärt Museums-Direktor Klaus Vogel. Die Seuche wirkte insofern seit ihrem Ausbruch in den 1980er Jahren gewissermaßen wie ein gesellschaftlicher Katalysator für die Sicht auf Homosexualität, die Stigmatisierung von Randgruppen und ungeschützten Sex.

Museumsdirektor Klaus Vogel. Foto: Heiko Weckbrodt

Museumsdirektor Klaus Vogel. Foto: Heiko Weckbrodt

Weltweit einzigartige Plakat-Sammlung

Kurator Vladimir Cajkovac konnte dabei auf einen einzigartigen Fundus zugreifen: Das Deutsche Hygiene-Museum verfügt über eine Kollektion von rund 10.000 Aufklärungs-, Werbe- und anderen Plakaten rund um die Themen AIDS und HIV – die weltweit größte Sammlung dieser Art, wie Cajkovac einschätzt.

Kurator Vladimir Cajkovac. Foto: Heiko Weckbrodt

Kurator Vladimir Cajkovac. Foto: Heiko Weckbrodt

Anfangs als „Schwulenseuche“ gegeißelt

Und auf diesen Plakaten und anderen Werken zeigt sich sehr deutlich, wie sehr sich eben gerade der politische, moralische und gesellschaftliche Blick auf HIV-Infizierte verändert hat, seitdem die US-Seuchenschutzbehörde am 5. Juni 1981 erstmals über eine seltsame neue Krankheit berichtet hatte, die scheinbar nur junge homosexuelle Männer befiel: Wie einige in AIDS eine „Schwulenseuche“ oder eine strafende Geißel Gottes für Huren sahen, wie sich zunächst nur Homosexuellen-Verbände und christliche Orden um Aufklärung mühten, sich AIDS dann aber als Pandemie weltweit ausbreitete und Millionen tötete – und zwar längst nicht mehr nur Schwule traf, sondern fast alle Bevölkerungsgruppen.

Blick in die AIDS-Ausstellung. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in die AIDS-Ausstellung. Foto: Heiko Weckbrodt

Schockwerbung und der kecke Umgang mit dem Tod

Und umso breiter HIV und AIDS um sich griffen, umso offensiver, kecker, schockierender schlug sich die Krankheit auch in Medien, Kunst und Plakatkultur nieder. So können sich die Besucher der Ausstellung beispielsweise die legendären Aufklärungs-Fernsehspots der „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ aus den 1990ern ansehen – unvergessen der Clip beispielsweise, in der die Spaßnudel Hella von Sinnen als Kassiererin quer durch den Supermarkt ruft: „Wieviel kosten die Kondome?“. Daneben die Titel-Storys über den Hollywood-Frauenschwarm Rock Hudson, der 1985 an AIDS starb, das Plakat mit dem kondomtragenden Batman oder die Holzskulpturen der afrikanischen Künstlerin Zephania Tshuma, die HIV als menschenfressendes Ungeheuer festhalten.

Batman im Dienste der AIDS-Aufklärung. Foto: Heiko Weckbrodt

Batman im Dienste der AIDS-Aufklärung. Foto: Heiko Weckbrodt

Können Krankheit nicht heilen, aber unterdrücken

Der gewandelte Blick auf AIDS über die Jahrzehnte hinweg hat auch mit der medizinischen Entwicklung im Hintergrund zu tun: Seit der ersten Beobachtung 1981 raffte die Immunschwäche-Krankheit AIDS schätzungsweise 36 Millionen Menschen weltweit dahin. Dennoch ist es still um sie geworden: Nachdem ab 1996 die Anti-Retroviral-Therapie immer mehr Infizierte rettete, ist der Leidensdruck in Europa und Amerika – anders als in Afrika – spürbar gesunken. „Wir können die Krankheit zwar nicht heilen, aber wirksam unterdrücken“, betont der Dresdner HIV-Spezialist Dr. Andreas Jenke. „Entsprechend behandelt, können die Betroffenen heute ein fast normales Leben führen. Dies habe aber wohl dazu geführt, dass das „Thema etwas in Vergessenheit geraten ist.“

Neuer Anlauf der Seuche zeichnet sich ab

Zu unrecht allerdings, wie Jenke betont: Seit der Jahrtausendwende gebe es wieder einen stetigen Anstieg der Neu-Infektionen. Stellten die Ärzte in Deutschland im Jahr 2011 rund 1500 Neudiagnosen, waren es im Jahr 2014 bereits über 3500. Derzeit leben in der Bundesrepublik insgesamt zirka 80.000 HIV-Infizierte, doppelt soviel wie in den 1990er Jahren – was freilich auch mit der durch neue Therapien gestiegenen Lebenserwartung der Betroffenen zu tun hat.

180 Neu-Diagnosen in Sachsen

Besonders in Ostdeutschland und Bayern greift AIDS jetzt besonders stark um sich. In Sachsen beispielsweise registrierte das Robert-Koch-Institut im vergangenen Jahr etwa 180 Neudiagnosen, 40 mehr als im Vorjahr. Insgesamt gelten Schätzungen zufolge etwa 2100 Menschen im Freistaat als HIV-infiziert.

AIDS-Aufklärung in der DDR: Werbung für Mondo-Kondome. Foto: Heiko Weckbrodt

AIDS-Aufklärung in der DDR: Werbung für Mondo-Kondome. Foto: Heiko Weckbrodt

Beim AIDS hielt die DDR-Führung den Ball flach

Zu DDR-Zeiten spielte AIDS sowohl in den Patientenzahlen wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung nur eine eher geringe Rolle. Nur zögerlich kam es zu Aufklärungskampagnen, die beispielsweise für den Einsatz des DDR-Standardkondoms Mondo warben. Erst 1988 kam die erste Ausstellung „Gib AIDS keine Chance“ in der DDR, im Hygienemuseum in Dresden, zu Stande – gegen den Widerstand vieler staatlicher Stellen, wie Direktor Vogel von älteren Kollegen und aus den Museums-Archiven erfahren hat. Mancher Funktionär mag die Krankheit wohl für ein kapitalistisches Übel gehalten haben, das in die sozialistischen Länder von außen eingeschleppt wurde, andere stießen sich anscheinend am damaligen Ausstellungstitel, der eins zu eins von einem westdeutschen Kampagnen-Slogan übernommen worden war.

Autor: Heiko Weckbrodt

„AIDS – Nach einer wahren Begebenheit„, Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Lingnerplatz 1, bis 21. Februar 2016, jweils Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Eintritt: 7 Euro, ermäßigt 3 Euro

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt