Hardware

Italienischer Physiker verheirat Gehirn und Computer

Prof. Massimiliano Di Ventra bei seinem Gastaufenthalt an der TU Dresden. Der Physiker hat eine neue Computerarchitektur entworfen, die sich an die Neuronen-Netzen im Gehirn anlehnt. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Massimiliano Di Ventra bei seinem Gastaufenthalt an der TU Dresden. Der Physiker hat eine neue Computerarchitektur entworfen, die sich an die Neuronen-Netzen im Gehirn anlehnt. Foto: Heiko Weckbrodt

Neue neuronale Architektur von Prof. Di Ventra soll Rechenaufgaben auf einen Schlag lösen, an denen normale Computer Äonen lang rätseln

Dresden, 10. Juli 2015. Mit einer neuen Rechenarchitektur, die sich an die Datenverarbeitung im menschlichen Gehirn anlehnt, will der italienische Physiker Prof. Massimiliano Di Ventra nichts weniger als die Computerwelt revolutionieren. „Diese neue Architektur ist für einige Aufgaben heutigen Rechnern nicht nur ein bisschen, sondern regelrecht exponentiell überlegen“, sagt der Professor, der mit seinem würdigen Bart ein bisschen wie Umberto Eco aussieht.

Mit Anlagen normaler Halbleiterfabriken in Chips einpflanzbar

Und anders, als viele andere, die an ähnlichen Konzepten schon herumexperimentiert haben, ist er bei seiner Memcomputing-Architektur, die Speicherzellen und Rechenwerke fusioniert, überzeugt: Sie kann recht preiswert mit klassischen Chipfertigungsmethoden in „normale Prozessoren“ eingepflanzt und immer dann bei Bedarf zugeschaltet werden, wenn es zum Beispiel um anspruchsvolle Optimierungs- oder Kryptografie-Aufgaben geht, an der herkömmliche Computer ganze Erdzeitalter lang rechnen würden. Mit Blick auf eine Serienproduktion verhandele er bereits mit Halbleiter-Unternehmen, sagt er.

Dozent auf Zeit an der TU Dresden

Prof. Gianauerlio Cuniberti von der TU Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Gianauerlio Cuniberti von der TU Dresden. Foto: hw

Doch bis dahin hat er sich erst mal Zeit genommen, um von seiner Wahlheimat in den USA, wo er an der University of California in San Diego lehrt und forscht, nach Sachsen zu düsen: Im Zuge ihres Exzellenzprogramms hat die TU Dresden den renommierten Physiker als Dozent auf Zeit (neudeutsch: „Dresden Fellow“) eingeladen, um am Lehrstuhl für Materialforschung und Nanotechnologie den Forscher-Nachwuchs zu briefen. „Als Dresden Fellows laden wir hier Forscher von großem Kaliber ein“, erklärt Lehrstuhl-Inhaber Prof. Gianaurelio Cuniberti. Dies soll die Internationalisierung des Studiums an der TU stärken und den angehenden Physikern, Werkstoffforschern und Nanotechnologen die Chance geben, von den Besten weltweit zu lernen – auch wenn die in der Regel nut etwa zwei Wochen in Dresden lehren, um dann weiterzuziehen.

Abkehr von dominierender „Von-Neumann“-Architektur heutiger Computer

Und diese Spanne nutzen beide Seiten intensiv. Nach dem Seminar in dem aufgemöbelten Flachbau „Made in GDR“ an der Hallwachsstraße nimmt sich Di Ventra die Zeit, um Fragen der Studenten, die sichtlich selbst aus aller Herren Länder kommen, ausführlich zu beantworten – in Englisch natürlich, dem „Latein der Neuzeit“, wie es sein Landsmann Umberto Eco einst formulierte: Wie man die Neuronenstruktur des menschlichen Gehirns in Silizium gießen kann, welche Materialien einsetzbar sind, wie sich seine neue Rechnerkonzeption von der klassischen „Von Neumann“-Architektur unterscheidet, der so gut wie alle heutigen Computer folgen. Die Studierenden wirken angemessen beeindruckt, stellen konzentriert ihre Nachfragen, denn sie wissen: Alle Tage haben sie nicht die Gelegenheit, eine Koryphäe wie Massimiliano Di Ventra ins Kreuzverhör zu nehmen – schon bald wird er weiterreisen.

Vorbild Neuronen-Netze: Speicher und Prozessor in einer Zelle

Auch für das Oiger-Gespräch zwackt Prof. Massimiliano Di Ventra ein bisschen seiner kurzen Dresdner Zeit ab, erklärt, warum sein Ansatz international so viel Wellen geschlagen hat: Er und seine Kollegen sind nämlich vom seit der Nachkriegszeit in der Computerbranche „Von Neumann“-Ansatz vollkommen abgewichen, als sie ihre „Memcomputing“-Architektur entwickelten: Statt Speicher und Rechenwerke zu trennen und lineare Abfolgen von binären Logikoperationen hintereinander zu schalten, sind bei ihnen die einzelnen Zellen Speicher und Rechner zugleich, können Signale benachbarter Zellen auswerten, die gerade benötigten Rechenwerke plastisch immer wieder umformen – ähnlich wie die Neuronen (Nervenzellen) und Synapsen (Nervenverbindungen) im Gehirn. Dass dieses zunächst theoretische Konzept auch in der Praxis funktioniert, haben Di Ventra und seine Kollegen inzwischen mit spezieller Hardware in ihren Laboren beweisen können.

Im Labor haben Di Ventra inzwischen beim Hardware-Einsatz nachgewiesen, dass ihr Memcomputing-Ansatz auch praktisch funktioniert. Foto: Di Ventra u.a.

Im Labor haben Di Ventra inzwischen beim Hardware-Einsatz nachgewiesen, dass ihr Memcomputing-Ansatz auch praktisch funktioniert. Foto: Di Ventra u.a.

Ultimativer Code-Knacker?

Diese Art und Weise des Rechnens ist zwar nicht universell wirklich vorteilhaft, aber zum Beispiel beim Zerlegen großer Zahlen in Primzahlen herkömmlichen Computern um Größenordnungen überlegen – eine Aufgabe, die vor allem in der Ver- und Entschlüsselung eine wichtige Rolle spielt. Ein anderes Problem, bei dem die Memcomputing-Methode ihre Vorteile ausspielen kann, ist das Schulranzen-Szenario: Ein Kind hat einen Ranzen und verschiedene Schulbücher, Flaschen, Brotdosen und andere Gegenstände und muss nun die beste Variante finden, um die Schultasche zu füllen. „Bei einer Handvoll Gegenständen ist das noch kein großes Problem“, betont Prof. Massimiliano Di Ventra. „Wenn wir aber Hunderte verschiedene Gegenstände habe, würde diese Aufgabe heutige Computer bis zum Ende des Universums beschäftigen – unsere Architektur schafft das auf einen Schlag.“ Auch in der Robotik, der Gen-Analyse und für selbstlernende Maschinen sieht der Physiker großes Potenzial.

Arbeitet anderes als Quantencomputer auch bei Zimmertemperatur

Ähnliche Fähigkeiten sagt man auch den vielzitierten Quantencomputern nach – bloß funktionieren die bisher nur in kleinem Maßstab, unter extrem kontrollierten Umweltbedingungen. „Unsere Architektur dagegen arbeitet auch bei Zimmertemperatur“, sagt der Forscher. Wann die ersten Memcomputing-Rechner auf den Markt kommen? „Das hängt jetzt von der Chipindustrie ab.“ Es bleibt eben abzuwarten, wie teuer die von Di Ventra vorgeschlagenen Modifikationen an Computerchips in der Massenproduktion nun wirklich sind – und wie einfach oder schwer sie mit dem vorhandenden Anlagenpark in Chipfabriken tatsächlich umsetzbar. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt