Professor Roth von Uni Leipzig untersucht Spezifika japanischer Videospielkulturen – und hat nun 4500 Spiele geschenkt bekommen
Leipzig, 30. Juni 2015. „Crysis“, „Battlefield“, „Wolfenstein“ – Computerspiele, die in Deutschland richtig gut ankommen, sind oft Egoshooter, in denen fleißig drauflos geballert wird. Anders in Japan, dessen Hardware- und Spieleindustrie bis in die 1980er Jahre hinein noch das ganze Genre weltweit entscheidend mitgeprägt hatte, inzwischen aber eher eigene Wege geht: Spiele nämlich, die dort für den einheimischen Markt produziert werden, sind oft eher an sozialer Interaktion zwischen den Nutzern ausgerichtet, Dating-Spiele zum Beispiel. Außerdem haben im Land der aufgehenden Sonne auch Fantasie-Rollenspiele und auf die erzählerische Dimension ausgerichtete Titel eine viel größere Bedeutung als im Westen. Das hat Junior-Professor Martin Roth von der Uni Leipzig eingeschätzt. Der Japanologe hat jetzt von der „Computer Entertainment Rating Organization“ (CERO) aus Tokyo rund 4500 Videospiele japanische Herkunft geschenkt bekommen, die er in den nun gemeinsam mit seinen Studenten durchspielen und erforschen will.
Studenten sollen zocken – aber nicht bis zum Wachkoma
„Natürlich zocken wir jetzt nicht den ganzen Tag nur noch Videospiele“, betonte der Professor. „Aber in Seminaren wird das sicher auch ein Ansatz sein, diese Sammlung zu erforschen: Dass Studierende ausgewählte Titel allein oder gemeinsam spielen und ihre Beobachtungen dabei auswerten.“ Vor allem jedoch gehe es jetzt erst einmal darum, die Schenkung in die Bestände der Leipziger Unibibliothek einzuarbeiten, die Spiele auch anderen Forschern zugänglich zu machen. Da es sich vor allem um Titel der vergangenen zehn Jahre handelt und nicht um Software aus den Anfängen der Konsolen- und Spielautomatenindustrie aus dem Japan der 1970er Jahre, müsse man zwar keine exotische Uralt-Hardware besorgen, um die Spiele verwenden zu können. „Aber wenn man zum Beispiel an die Playstation 2 denkt, dann muss man inzwischen schon zu Second-Hand-Ware greifen, da diese Konsole inzwischen nicht mehr produziert wird“, betonte Martin Roth.
Erste Videospiele entstanden in Nachkriegszeit – stationierte US-Soldaten sorgten für Nachfrage in Japan
Die allerersten Computerspiele wurden zwar bereits in der Nachkriegszeit in den USA entwickelt, damals oft noch als Hobbyprojekte von Professoren und Studenten auf universitären Spezial- und Superrechnern. Doch richtig Fahrt nahm die neue digitale Spielekultur in den 1970er Jahren auf, als die ersten Heimcomputer und computergestützten Arkade-Automaten – ebenfalls vor allem in den USA – aufkamen. Amerikanische Soldaten wiederum, die in Japan stationiert waren, sorgten dort für Nachfrage und Hardware-Importe – und bald auch für eine erstarkende einheimische Spiele-Industrie. Die dominierte zeitweise – vor allem in den 1970er und 80ern, in Teilsegmenten aber auch noch bis heute – den weltweiten Markt für neue Videospiele und -konsolen.
Großer Teil der Videospielproduktion verlässt Japan gar nicht
Auch heute noch ist die Spieleproduktion in Japan immens, viele der produzierten Titel erreichen aber niemals die europäischen oder amerikanischen Spieler, sondern sind stark auf die japanischen Spieler-Gemeinden zugeschnitten. „Die besondere Entwicklung in Japan in wenigen Worten zusammenzufassen, ist kaum möglich“, meint Prof. Roth. „Aber es fällt zum Beispiel auf, dass dort bestimmte Genres eine viel größere Rolle spielen als bei uns: soziale Simulationen beispielsweise, Fantasy- und Rollenspiele, zudem hat auch das narrative Element ein größeres Gewicht. Außerdem gibt es in Japan viele experimentelle Spielekonzepte.“ Auch existiere dort eine sehr breite Indie-Szene, in der mit vergleichsweise einfachen Editoren Spiele von sehr vielen Menschen entwickelt werden, hinter denen keine großen Unternehmen stehen.
Internationale Videospielkonferenz in Leipzig geplant
Diese und weitere Unterschiede in den Videospielkulturen des Westens und des fernen Kaiserreichs im Osten genauer herauszuarbeiten, soll mit der CERO-Schenkung an die Leipziger nun ermöglicht werden. Erste Ansätze will Prof. Roth auf einer geplanten internationalen Spielekonferenz in Leipzig mit Forschern aus aller Welt diskutieren. „Aber es wird sicher Jahre dauern, bis wir 4500 Spiele gesichtet und untersucht haben.“ Autor: Heiko Weckbrodt
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