Wirtschaft

Einstige Rüstungsschmiede in Dresden wird Zentrum für Kreative

Die frühere Goehle-Rüstungsfabrik von Zeiss Ikon an der Riesaer Straße in Dresden verfällt seit fast 20 Jahren. Foto: Heiko Weckbrodt

Die frühere Goehle-Rüstungsfabrik von Zeiss Ikon an der Riesaer Straße in Dresden verfällt seit fast 20 Jahren. Foto: Heiko Weckbrodt

Vergessene Orte: Genossenschaft „Zentralwerk“ baut alte Goehle-Fabrik in Dresden-Pieschen für 5,7 Millionen € um

Dresden, 22. April 2015: Wo einst Zwangsarbeiter für den U-Boot-Krieg des Dritten Reichs schufteten und heute Wildwuchs und Verfall herrschen, toben bald Künstler ihre kreativen Ideen und Kinder ihren Tatendrang aus: Die eigens für diesen Zweck gegründete Genossenschaft „Zentralwerk“ will die verfallene Goehle-Rüstungsfabrik an der Riesaer Straße 32 in Dresden für 5,72 Millionen Euro in den kommenden anderthalb Jahren sanieren und zu einem Kultur- und Wohnkomplex umbauen.

Ein Viertel schießen Stadt und Land zu

Stadt und Land haben dafür 1,35 Millionen Euro Fördergelder zugesagt. Heute unterzeichneten Dresdens Erster Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) im Rathaus die „Städtebauliche Vereinbarung“ dafür.

Zusammenspiel von Kreativwirtschaft und Wohnen

Nikola Basler. Foto: privat

Nikola Basler. Foto: privat

„Wir brauchen so ein Projekt, Dresden braucht so ein Projekt“, begründete Nikola Basler vom Zentralwerk-Vorstand, warum sich die Genossenschaft ein solch umfangreiches Vorhaben aufgebürdet hat. „Die Goehle-Werke sind ganz schön groß, aber das bedeutet eben auch, dass wir dort in Zukunft viele Atelierflächen anbieten können – und bezahlbare Ateliers sind in Dresden heißbegehrt.“ Die 38-jährige Konferenzdolmetscherin sieht das künftige Zentralwerk vor allem auch als „kulturelles Angebot jenseits der Hochkultur.“ Geld schaufeln werde die Genossenschaft mit all dem nicht, sondern möglichst geringe Mieten für Kreative ansetzen – „gerade soviel, dass wir unseren Kredit zurückzahlen können“.

Fotostrecke: Goehle-Fabrik und Vertragsabschluss:

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Als „besonders wichtiges Projekt für die Stadtentwicklung“ bezeichnete wiederum Ulbig – der ebenso wie Hilbert demnächst Oberbürgermeister in Dresden werden will – das Zentralwerk-Projekt. Ähnlich äußerte sich Hilbert, der besonders das geplante Zusammenspiel von Wohnen und Kreativwirtschaft in der dann umgebauten Fabrik als hervorragende Idee für Pieschen lobte.

Fabrik entstand auf Geheiß der Kriegsmarine

Das sogenannte Goehle-Werk neben der alten Mälzerei in Pieschen entstand in den Jahren 1939 bis 1941 nach Entwürfen des Architekten Emil Högg in Hochbunker-Bauweise, geht aus Angaben der Stadtverwaltung Dresden hervor. Auftraggeber für den Rüstungsbetrieb war damals das Oberkommando der Kriegsmarine (OKM). Es handelte sich aber um kein staatliches Unternehmen, sondern um eine Fabrik des Kamera-Herstellers Zeiss Ikon AG. Namensgeber für das Werk war der deutsche Konteradmiral Herbert Goehle (1878 bis 1947).

Innenminister Markus Ulbig (links) und der amtierende Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert unterzeichneten im Rathaus die Zuschuss-Vereinbarung für den Umbau der Rüstungsfabrik in ein Zentrum der Kreativwirtschaft. Foto: Heiko Weckbrodt

Innenminister Markus Ulbig (links) und der amtierende Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert unterzeichneten im Rathaus die Zuschuss-Vereinbarung für den Umbau der Rüstungsfabrik in ein Zentrum der Kreativwirtschaft. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch Zwangsarbeiter schufteten hier für den U-Boot-Krieg

Gefertigt wurden dort Feinmechanikgeräte für die Flugzeug-Industrie und den U-Boot-Bau, später auch Munition und Waffen. Neben der regulären Belegschaft waren dort auch Zwangsarbeiter und insbesondere auch Frauen aus dem Judenlager Hellerberg und aus dem KZ Flossenburg tätig.

Nebenan entstand Gewerbehof

Nach dem Krieg ließen die sowjetischen Besatzer die Fabrikausrüstungen demontieren. Danach wurde der Komplex vor allem als Druckerei genutzt. Die Druckerei „Völkerfreundschaft“ stellte ihren Betrieb aber 1996 an diesem Standort ein. Während die Stadt die Häuser A und B an der Großenhainer Straße nach der Wende zum Gewerbehof umwidmete (dort ist u. a. das Supraleit-Unternehmen „evico“ ansässig), wurden die anderen Fabrikteile jahrelang dem Verfall preisgegeben – entsprechend verwildert sieht es dort heute aus.

Karte: Hier befindet sich die alte Goehle-Fabrik 
 

Ateliers in den Hochbunkern

Die Genossenschaft „Zentralwerk“ hat nun vor, diesen Teil der alten Goehle-Werke für die örtliche Kreativwirtschaft und als Wohnort zu reanimieren. In den Hochbunkern C und D sowie im Verbindungsgebäude werden laut diesem Plan Ateliers eingerichtet. Den einstigen Tanzsaal „Karl Hermann“ an der Ecke zur Heidestraße will die Genossenschaft für genre-übergreifende Kulturveranstaltungen, die zum Beispiel Tanz, Performance und bildende Künste verbinden, nutzen, ihn außerdem an andere Künstler etwa für Theaterproben vermieten. In anderen Fabrikteilen sollen Wohnungen entstehen. Unterm Strich wird letztlich etwa die Hälfte der Flächen für Ateliers genutzt, ein Fünftel für Kulturveranstaltungen, der Rest für Wohnzwecke.

Video: Der Ballsaal neben der Fabrik (Michael Sommermeyer):

Erinnerung an dunkle Kapitel der Fabrikgeschichte

Auch ist ein Ausstellungs- und Veranstaltungsraum vorgesehen, der die Erinnerung an die Zwangsarbeiter im Goehle-Werk wach hält. Zudem wolle man Zeitzeugen einladen und internationale Künstler, die sich mit Geschichte und Gedenken auseinander setzen, kündigte Nikola Basler an. „Diesen Bogen kann man noch weiter spannen mit Blick darauf, dass diese Gebäude drei gesellschaftliche Systeme erlebt haben“, sagte sie.

Umbau bis Ende 2016

Den größten Teil der Investition finanziert die Genossenschaft durch Eigenmittel und Kredite. Weil insgesamt die kulturelle und kreativwirtschaftliche Nutzung dominiert, schießen Freistaat und Bund 900.000 Euro Fördergelder zu, weitere 450.000 Euro geben die städtischen Ämter für Kultur, Wirtschaftsförderung und Stadtplanung. Derzeit sind erste Vorarbeiten im Gange, offizieller Baubeginn soll im Sommer 2015 sein. Die Sanierung und der Umbau sollen dann Ende 2016 abgeschlossen sein. Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Aus unserer Serie „Verlorene Orte:

Die alte Malzfabrik in Niedersedlitz

Der verfallene Leipziger Bahnhof in Dresden

Einst Russenkaserne, nun neues Wohnviertel in Nickern

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt