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Adler-Olsens Verheißung: Im Schlachthaus der Esoterikszene

Ein Schulausflug zur Wehrkirche von Østerlar auf Bornholm bringt in "Verheißung" das tödliche Geschehen ins Rollen. Foto: Darkone, Wikipedia, CC1-Lizenz

Ein Schulausflug zur Wehrkirche von Østerlar auf Bornholm bringt in „Verheißung“ das tödliche Geschehen ins Rollen. Foto: Darkone, Wikipedia, CC1-Lizenz

Eigenbrödler Carl Mørck rollt einen alten Mädchenmord in der dänischen Provinz neu auf

Wenn Jussi Adler-Olsen zur Tastatur greift, gehört das zweifellos zu den Höhepunkten im literarischen Krimi-Jahr. Nun also hat der Däne seinen eigenbrödlerischen Kommissar Carl Mørck wieder in die Spur geschickt, um einen alten Mädchenmord neu aufzurollen. Diesmal verschlägt es den knurrigen Großstadt-Kauz in die dänische Provinz: auf die Insel Bornholm, um ein nie aufgeklärtes Verbrechen neu aufzurollen, das ihn tief in skandinavische Esoterikszene hinein führt.

Jung-Schönheit verblutet qualvoll

Auf den ersten Blick erschien der Tod der jungen Alberte am 20. November 1997 wie ein klassischer Fall von Unfallflucht: Die umschwärmte Jungschönheit wurde an jenem Tag offensichtlich von einem Auto in einen Baumwipfel geschleudert, wo das Mädchen nach langen, qualvollen Stunden verblutete. Noch Jahrzehnte später verfolgt dieser ungeklärte Fall den kriminalistisch wenig begabten Bornholmer Polizisten Christian Habersaat bis in seine Träume. Doch als er kurz vor seiner Pensionierung schließlich Carl Mørck, den Star-Ermittler aus Kopenhagen, um Hilfe anfleht, wimmelte der ihn aus Bequemlichkeit ab.

Jussi Adler-Olsen. Foto: Martin Hangen, dtv

Jussi Adler-Olsen. Foto: Martin Hangen, dtv

Spuren führen tief ins Sekten- und Esoterikmilieu

Nur einen Tag später bereut Mørck seine Lustlosigkeit bitterlich: Der verzweifelte Habersaat erschießt sich, sein Freitod ein einziger Vorwurf an den Kollegen, der ihm nicht helfen wollte. Vom schlechten Gewissen und seine Assistenten Assad und Rose getrieben, wühlt sich Mørck dann doch widerwillig durch Habersaats alte Akten – und erkennt rasch: Der Tod des umschwärmten Teenie-Mädchens damals war alles andere als nur ein zufälliger Unfall. Und je tiefer das Sonderdezernat Q in der Vergangenheit wühlt, umso mehr lose Enden führen in teils schrille Esoterik-Zirkel und weisen immer wieder auf die eschatologische Sekte des Gurus Atu Abanshanash Sumuzi, der vor 17 Jahren noch schlicht „Frank“ hieß und damals offensichtlich eine geheime Affäre mit Alberte hatte…

Der knurrige Kommissar ist zurück

Mit diesem verzwickten Fall voller falscher Fährten findet Jussi Adler-Olsen sichtlich wieder zu alter kriminalistisch-erzählerischer Stärke zurück: Passé ist der pädagogisch erhobene Zeigefinger, der den eher schwachen und plakativ-anklagenden Vorgänger „Erwartung“ arg geprägt hatte. Auch in „Verheißung“ packt der Däne zwar wieder Gesellschaftskritik hinein, aber eben dezenter, überlässt es dem Leser, sich eine eigene Meinung über Geistheiler, Kräuterzauberer, Pendelmagier und allerlei exzentrische Esoteriker zu bilden, die teils aus tiefster Überzeugung Wissenschaft, Schulmedizin und gesellschaftlichem Konsens abschwören, teils ihren unbedarften, hoffnungssuchenden Anhängern auch einfach nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Adler-Olsen konzentriert sich diesmal sinnvollerweise mehr auf die Entwicklung des Falls und seiner Akteure, auf die Geschichte, die er zu erzählen hat. Carl Mørck ist wieder der knurrige und zynische Einzelgänger, den wir in den ersten Büchern der „Sonderdezernat Q“-Krimireihe so liebten, Assad wieder herrlich schräg und mysteriös – und ihr gemeinsames Recherche-Puzzle hübsch neuronenanregend und spannend.

Fazit: starke Krimikost – und ein Massaker

Abb.: dtv

Abb.: dtv

Mit „Verheißung“ besinnt sich Adler-Olsen wieder auf seine Stärken: komplex zwischen Vergangenheit und Gegenwart verwobene Handlungsebenen, markante Akteure, die eben nicht so rundgelutscht sind, und raffiniert ausgelegte Finten, die den Leser immer wieder aufs kombinatorische Glatteis führen. Wer sich nicht daran stört, dass der Autor auf reichlich 600 Seiten ein einziges Massaker in der skandinavischen Esoterikszene anrichtet, auf den wartet hier ein appetitlicher Happen skandinavischer Krimikost. Autor: Heiko Weckbrodt

Jussi Adler-Olsen: „Verheißung“, Krimi, Deutscher Taschenbuch-Verlag (dtv), München 2015, deutsche Übersetzung: Hannes Thiess, gebundene Ausgabe: 608 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-423-28048-8, eBook: 16 Euro, ISBN 978-3-423-42697-8, erhältlich ab 16. März

Aktualisierung 18.3.15: Das Buch ist nun verlost, wir gratulieren der Gewinnerin!

Verlosung:

Der Oiger verlost eine Hardcover-Ausgabe von Jussi Adlers Olsens „Verheißung“ für Selbstabholer. Wer Interesse an dem Krimi hat, schreibe bitte eine E-Mail mit dem Betreff „Verheißung“ an hweckbrodt@gmail.com und beantworte darin folgende Frage:

Was ist Bornholm?

a) Das Schloss Hamlets am Zipfel von Seeland

b) Eine dänische Insel nordöstlich von Rügen

c) Ein Eiland im äußersten Westen von Dänemark

Der Gewinner wird benachrichtigt und kann sich das Buch in der „Oiger“-Redaktion abholen. hw

Zum Weiterlesen:

Adler Olsen: „Erwartung“: Raff-Banker entfachen Zigeuerkrieg

Adler Olsens Verachtung: Spannender Politthriller um Rassenwahn in Dänemark

Erbarmen kommt ins Kino

„Washington-Dekret“: Arg konstruiertes Frühwerk von Adler-Olsen

„Das Alfabet-Haus“: Piloten in der Nazi-Klapse

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt