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Pieps gen Weltall

Die Zugvögel sollen Sender bekommen, die nur 5 Gramm wiegen, um damit in den Weltraum zu funken. Foto: Christian Ziegler / MPI für Ornithologie

Die Zugvögel sollen Sender bekommen, die nur 5 Gramm wiegen, um damit in den Weltraum zu funken. Foto: Christian Ziegler / MPI für Ornithologie

Ornithologen wollen Zugvögel aus dem Orbit überwachen

Dresden/Radolfzell. Zugvögel haben die Menschheit seit Urzeiten fasziniert, haben Poeten zu wehmütigen Gedichten inspiriert, Fernweh in reiselustige Zeitgenossen gepflanzt. Im Herbst, so haben wir in der Schule gelernt, zieht es Gänse und Kraniche in den Süden, ins warme Afrika. Doch welche Routen die Zugvögel eigentlich genau nehmen, ob sie zwischendurch auch mal ein wenig trödeln, zickzackfliegen oder Abstecher zu diversen „Sehenswürdigkeiten“ am Rande ihres Weges einlegen, wissen die Ornithologen, die Vogelkundler, trotz aller Beringungs-Versuche immer noch nicht so ganz genau.

Dresdner Uni-Ausgründung „Inradios“ steuert Vogelfunk bei

Mit dem Projekt „ICARUS“ („International Cooperation for Animal Research Using Space“) wollen Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie aus Radolfzell nun ändern: Sie planen, Tausende Vögel mit winzig kleinen GPS-Sendern und Beschleunigungssensoren ausrüsten und dann von der Internationalen Raumstation ISS aus genau überwachen, wo und wie die fliegenden Wanderer eigentlich langziehen. Sie erhoffen sich davon aus Erkenntnisse darüber, wie sich Krankheitserreger global ausbreiten. Dabei bekommen sie Hilfe von der russischen Raumfahrtbehörde ROSKOSMOS – und der Dresdner TU-Ausgründung „Inradios“.

Die Inradio-Ingenieure im Video-Kurzinterview (hw):

Vogelfunk drohte im All im kosmischen Rauschen unterzugehen

Denn obgleich man im Big-Brother-Zeitalter denken mag, die Überwachung von so ein paar Vögeln sei doch ein Klacks, ist dies in der Praxis komplizierter als der Laie denkt. „Eine Amsel zum Beispiel ist nicht so groß wie eine Ganz und kann bei weitem nicht so viel tragen“, erklärt Dr. Marco Krondorf, einer der beiden „Inradios“-Geschäftsführer. Die Ornithologen waren sich bald einig, dass man den kleineren Vögeln allenfalls fünf Gramm als Zusatzgewicht für Sender, Antenne, Stromversorgung und Antenne aufbürden darf – und stellten rasch fest, dass es ein ernstes Problem sei würde, die damit sendbaren Signale vom Weltraum aus noch zu empfangen. „Die Signale werden auf der ISS da oben in 360 bis 400 Kilometer Höhe mit Millionstel Watt Leistung an und sind damit dann 1000 Mal schwächer als das natürliche Hintergrundrauschen im Radio“, erläutert Marco Krondorf das Problem.

Die Internationale Raumstation ISS wird wie ein Datenstaubsauger die Signale der Vogelschwärme auffangen. Foto: NASA

Die Internationale Raumstation ISS wird wie ein Datenstaubsauger die Signale der Vogelschwärme auffangen. Foto: NASA

Rasende ISS sorgt für Doppler-Effekte

Hinzu komme, dass die Internationale Raumstation mit mehreren Hundert Kilometern je Sekunde durch den Erdorbit rast. Dadurch werden die ohnehin schwachen Funksignale von den Vögeln auch noch durch den Doppler-Effekt verzerrt, der auftritt, wenn sich zwei Wellen-Quellen rasch aufeinander zu oder voneinander wegbewegen. Dieser Effekt sorgt in unserem Alltagsleben beispielsweise dafür, dass die Sirenen von Feuerwehrautos höher klingen, wenn sie auf uns zurasen und dunkler, wenn sie vorbeigerauscht sind.

Raumstation muss binnen Minuten Daten von Tausenden Vögeln saugen

Und nicht zuletzt müssen an Bord der ISS der Spezialcomputer und die dazugehörigen Antennen binnen weniger Minuten Tausende Datenpakete von den Vögel abfassen – ähnlich wie LTE- oder UMTS-Funkmasten, die parallel die Anfragen unzähliger Handys abwickeln. „Man kann sich die Raumstation wie einen Datenstaubsauger vorstellen, der über die Erde fliegt, und dann den richtigen Moment abpassen muss, wenn der Vogelschwarm sendebereit ist“, sagt Marco Krondorf.

Die Inradios-Geschäftsführer Marco Krondorf (links) und Steffen Bittner. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Inradios-Geschäftsführer Marco Krondorf (links) und Steffen Bittner. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner Expertise gefragt

Und wegen all dieser Probleme haben die Projektpartner aus Süddeutschland auch die Dresdner eingeschaltet. „Inradios“ ist nämlich darauf spezialisiert, die Kniffe moderner Mobilfunk-Datensysteme auf die satellitengestützte Kommunikation zu übertragen. Tatsächlich gelang es den „Inradios“-Ingenieuren binnen weniger Monate, Lösungen für die Probleme der Ornithologen zu finden. Sie entwickelten zum Beispiel mathematische Modelle, um aus dem kosmischen Radiorauschen die schwachen Vogelsignale hoch oben im Orbit herauszufiltern und die Doppelereffekte auszugleichen. Sie entwarfen daraus Computerprogramme für den neuen Bordcomputer der ISS sowie Spezialdesigns für die nur fünf Gramm leichten „Rücksäcke“ („Tags“), die die Zugvögel künftig schultern sollen. Die werden dann Antenne, Batterie, Solarzellen, Sender, GPS-Modul und Beschleunigungssensor enthalten, dazu die Dresdner Funkelektronik.

1500 Vogelsensoren pro Sekunde abgreifen

Die Ingenieure optimierten die Datenübertragung beispielsweise derart, dass die Vogel-Sender immer nur wenige Bits an Daten senden müssen, in denen Tagesroute und Tempo der Tiere kodiert sind. Letztlich wird das System imstande sein, etwa 1500 Vogelsensoren pro Sekunde auszuwerten.

Bordcomputer für ISS muss „Kosmonauten-Training“ absolvieren

Noch steht der Vogel-Bordcomputer für den Feinschliff in den „Inradios“-Laboren an der Nossener Brücke in Dresden. Später folgen Belastungstests, in denen die Platine beweisen muss, dass sie den schweren Belastungen eines Raketenstarts und später an Bord der ISS aushält. Sie wird dann von Testingenieuren durchgeschüttelt, erhitzt, abgekühlt und auf viele andere Weise „gefoltert“.

Inradios-Ingenieur Kai Rücknagel prüft die Signalqualität an der Hauptplatine des Vogel-Computers, der 2016 zur ISS geschossen wird. Foto: Heiko Weckbrodt

Inradios-Ingenieur Kai Rücknagel prüft die Signalqualität an der Hauptplatine des Vogel-Computers, der 2016 zur ISS geschossen wird. Foto: Heiko Weckbrodt

Vogelüberwacher startet 2016 von Baikonur ins All

Wahrscheinlich Mitte 2016 wird das Elektronenhirn dann von ROSKOMOS vom Weltraumbahnhof Baikonur in der Orbit geschossen und auf der ISS installiert. Wenn alles klappt wie geschmiert, könnten die Ornithologen Ende 2016 anfangen, ihre Zugvögel zu überwachen. „Die zu erwartenden Forschungsergebnisse sind zweifelsfrei von unschätzbarer Bedeutung für die Menschheit und letztendlich für unser Leben auf der Erde“, schätzte Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie ein. Die Forscher erhoffen sich vom „ICARUS“-Projekt nicht nur ein besseres Verständnis für den Zug der Vögel, sondern auch über die Verbreitung von Krankheitserregern über die Kontinente hinweg.

Erfahrungen aus LTE-Entwicklung für Satelliten-Kommunikation nutzbar

Der Beitrag von „Inradios“ zu diesem Projekt beruht letztlich auf jahrelangen Erfahrungen sächsischer Nachrichtentechniker bei der Entwicklung moderner Mobilfunkstandards. Am Vodafone-Lehrstuhl von Professor Gerhard Fettweis an der TU Dresden, aus dem das Unternehmen vor fünf Jahren ausgegründet wurde, wurden und werden beispielsweise Nachfolge-Standards für Handy-Datenfunksysteme wie LTE entwickelt, die teils bereits von Vodafone und anderen Konzernen inzwischen eingesetzt werden, teilweise noch im „5G Lab Germany“ an der TU Dresden noch erforscht werden.

Bundeswehr setzt Satelliten-Links aus Dresden in Feldcamps ein

Gerhard Fettweis, Steffen Bittner und Marco Krondorf hatten „Inradios“ im März 2010 ausgegründet, um diese besondere Expertise auch für die mobile Kommunikation über Satellitennetzwerke einzusetzen. „Zu unseren ersten Kunden gehörte die Bundeswehr“, sagt Steffen Bittner: Das deutsche Militär bestellte bei den Dresdnern eine Art Satelliten-Relais. Das wird in Einsatz-Camps aufgestellt, die sich weitab jedes Handy-Signals oder Telefon-Festnetzes befinden, um auch von dort aus sichere Kommunikationsverbindungen und Internetzugänge zu ermöglichen. Auch zivile Auftraggeber wie das „Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt“ (DLR) gehören zu den Auftraggebern. Mittlerweile hat das Unternehmen zehn Mitarbeiter und eine knappe Million Euro Jahresumsatz – und Bittner und Krondorf rechnen mit weiterem Wachstum. Denn es habe sich in der Branche wohl herumgesprochen: „Die Jungs aus Dresden kennen sich mit Mobilfunk aus“, so Krondorf. Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Dresdner „5G Lab“ entwickelt Mobilfunk der Zukunft

Vodafone und TU-Lehrstuhl testen LTE Advanced

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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