Dresdner „B Cube“-Forscher wollen Diagnose-Chips und Parallelcomputer aus winzigen Biomaschinen konstruieren
Dresden, 27. Januar 2015: Dresdner Forscher wollen mikroskopisch kleine Zell-Motoren einsetzen, um neuartige Schnelltest-Chips beispielsweise für Leukämie und Diabetes zu bauen. Auch die Konstruktion biologischer Computer, die vielverzweigte Entscheidungs-Rätsel sehr schnell zu lösen vermögen, sei mit diesen nur wenige Nanometer großen Biomotoren denkbar, schätzte Physik-Professor Stefan Diez vom Dresdner Forschungszentrum „B Cube“ ein. Allerdings werde es noch einige Jahre bis zu einem Praxiseinsatz dieser biologischen Nanotechnologie dauern.
Schreitroboter buckeln Werkstoffe auf den Mini-Eisenbahnen der Zelle
Hoffnungsträger des Teams um Stefan Diez ist eine recht energiesparsame und effiziente „Nano-Eisenbahn“, die sich die Natur ausgedacht hat, um Materialien innerhalb einer biologischen Zelle hin und her zu transportieren. Da typische Zellen nur wenige Mikrometer (Tausendstel Millimeter) klein sind, müssen auch die „Schienen“ dieses Transportsystems, die sogenannten „Mikrotubuli“, entsprechend winzig sein: Diese Röhrchen, die die ganze Zelle durchziehen, haben Durchmesser von nur etwa 25 Nanometer (Millionstel Millimeter). Ähnlich wie Schreit-Roboter laufen auf ihnen runde Zellmotoren („Kinesine“), die zur Klasse der Enzyme gehören, auf kleinen Haftfüßlein entlang und haben dabei die Werkstoffe für Zellteilungen und andere biologische Prozesse auf dem Buckel.
Video der Harvard-Uni über die Zellmotoren:
Phosphatpakete als universelle Energieträger
Pro Schritt legen sie dabei etwa acht Nanometer zurück. Als Antriebsquelle verwenden sie sogenannte „Adenosintriphosphate“ (ATP), die die Natur als universellen Energieträger überall in Organismen gern einsetzt und die chemische Energie direkt und mit einem Wirkungsgrad von über 50 Prozent in mechanische Energie umwandeln können.
Wissenschaftler tüfteln an Steuerbefehlen
Wie genau diese Biomotoren in den Zellen ihre Befehle erhalten und zusammenarbeiten, ist noch unzureichend erforscht, wie Forschungsgruppenleiter Diez einräumt. Sein Team hat aber bereits erste erfolgversprechende Konzepte entwickelt, um die Mini-Maschinen vor den nanotechnologischen Karren zu spannen. Zum Beispiel konnten die „B Cube“-Wissenschaftler die Motoren auf strukturierten Silizium-Chips, die mit Verfahren der Mikroelektronik hergestellt wurden, in die gewünschten Bahnen zu lenken. Auch haben sie gemeinsam mit Kollegen aus der Dresdner Polymerforschung eine Art Sperrtore beziehungsweise Molekül-Schalter entwickelt, die sich durch kleine Temperaturänderungen im Bereich zwischen 27 und 35 Grad Celsius öffnen oder schließen lassen. Diese und andere experimentelle Steuerverfahren funktionieren bisher allerdings nur unter Laborbedingungen – für industriereife Produkte ist noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten, räumt Physiker Diez während eines Vortrags für die Volkshochschule Dresden ein.
Biologische Sortiermaschinen in der Nanowelt
Wenn die Forscher dies aber in den Griff bekommen, würden sich faszinierende neue Möglichkeiten eröffnen. „Zum Beispiel könnte man diese winzigen Motoren als Sortiermaschinen für Blutproben einsetzen“, sagte Diez. Auf dieser Basis ließen sich dann Diagnose-Chips bauen, die binnen Sekunden einschätzen können, ob ein Patient Blutkrebs oder die Zuckerkrankheit in sich trägt. Auch für die selbstorganisierende Konstruktion von Hochleistungs-Computerchips wären die Zellmotoren verwendbar – indem man ihnen zum Beispiel befiehlt. DNA-Moleküle nach einem vorgefertigtem Bauplan zurecht zu strecken, so dass sie im nächsten Schritt zu Rechenwerken metallisiert werden könnten.
„Rucksack-Problem“ sollte für Zellmotor-Computer kein Problem mehr sein
Auch eine ganz spezielle Art von Supercomputer ist auf dieser Basis denkbar: Indem man zum Beispiel Millionen dieser Mikroröhrchen und Zellmotoren in ein Labyrinth jagt, in der Gewissheit, dass sie ganz von allein den besten Weg zum Ausgang finden. Nutzbar wäre dies für das Parallel-Computing, bei dem viele verschiedene Verzweigungs-Entscheidungen parallel zueinander erprobt für ein Optimierungs-Problem werden müssen. Ein Szenario für diese spezielle Rechenmethode ist das „Rucksack“-Problem: „Stellen Sie sich einen Dieb vor, der in seinem Rucksack nur wenig Platz hat, aber viele verschieden große und verschieden wertvolle Beutestücke vorfindet“, skizzierte Diez das Gedankenmodell. „Zu finden wäre hier der Rucksack-Inhalt mit der wertvollsten Gesamtbeute.“ Ähnliche Konzepte verfolgen übrigens auch die Forscher des Dresdner TU-Exzellenzzentrums für fortgeschrittene Elektronik (cfaed), die zum Beispiel Verkehrsflüsse durch chemische Rechner optimieren wollen.
70 Wissenschaftler forschen interdisziplinär an Schnittstelle von Biologie, Physik und Chemie
Beide Spitzenforschungs-Einrichtungen – „cfaed“ wie auch „B Cube“ – sind zentrale Bausteine des Exzellenzkonzepts der TU Dresden. Während sich das „cfaed“ an der Nöthnitzer Straße aber darauf konzentriert, neue Pfade zur Nanoelektronik der Zukunft zu finden, hat sich das „B Cube“ das Zusammenspiel von Bio- und Nanotechnologie spezialisiert. Gegründet wurde es im Jahr 2008 mit Fördergeldern des Bundesforschungsministeriums. Derzeit forschen am „B Cube“ rund 70 Biologen, Chemiker, Physiker und anderen Wissenschaftler in vier Arbeitsgruppen und zwei Querschnittsbüros interdisziplinär zusammen.
„B Cube“ bekommt bis 2018 einen Neubau in der Johannstadt
Im Moment ist das Zentrum noch in einem Wohngebäude an der Arnoldstraße untergebracht, soll aber demnächst einen eigenen Neubau neben dem Bioinnovationzentrum „BioZ“ am Tatzberg in Dresden-Johannstadt bekommen. Früher betrieben dort die Verkehrsbetriebe Trafoanlagen. Inzwischen hat der Freistaat Sachsen das Gelände von der Stadt gekauft. Die Baugrube ist inzwischen ausgehoben, Ende 2017 oder Anfang 2018 soll der Neubau bezugsfertig sein. Autor: Heiko Weckbrodt
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