Pilotprojekt unter Führung der Dresdner Bibliothek SLUB von DFG finanziert
Dresden, 4. Februar 2013: Um wichtige deutsche Zeitungen für die Nachwelt zu erhalten und im Internet im Volltext Laien wie Forschern frei zugänglich zu machen, haben fünf Staatsbibliotheken unter Dresdner Führung nun damit begonnen, ausgewählte historische Tageszeitungen zu digitalisieren. In der Pilotphase will die Sächsische Staats- und Uni-Bibliothek SLUB bis Ende 2014 zunächst sieben rare historische Zeitungen aus Dresden und Leipzig einscannen und ins Netz zu stellen. Das kündigte SLUB-Generaldirektor Prof. Thomas Bürger an. „Wir sehen das wichtigen Beitrag zu politischen Bildung und eröffnen Historikern damit bessere Recherche-Quellen“, betonte Bürger. „Und aus bibliothekarischer Sicht reaktivieren wir damit wichtiges Schriftgut, das wegen seines oft recht schlechten Erhaltungszustandes von der Forschung kaum noch genutzt werden konnte.“
Auch Kuriositäten wie „The Dresden Daily“ ausgewählt
In der Startphase sollen zum Beispiel sämtliche Jahrgänge der Dresdner „Abendzeitung“ (1817-1857), der Leipziger „Illustrierten Zeitung“ (1843-1944) und der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ aus Dresden (1890-1933) elektronisiert und mithilfe von OCR-Computerprogrammen in Texte zurückverwandelt werden, in denen man dann per Volltextsuche recherchieren kann. Auch solche Raritäten wie die „The Dresden Daily“ sind dabei – eine englischsprachige Zeitung, die 1906 bis 1910 für in Dresden lebende Amerikaner erschien, aber auch die „Leipziger Jüdische Zeitung“ und die „Leipziger Jüdische Wochenschau“. Gewissermaßen als Gegenpunkt ist auch die Dresdner Nazi-Zeitung „Der Freiheitskampf“ (1930-1945) in der Auswahl, da viele Historiker Interesse an dieser Quelle haben. Da ein Teil dieser Zeitungen früher auf Mikrofiche verfilmt wurde, hat die SLUB dafür nun auch einen Mikrofilm-Digitalisierer angeschafft.
Nach Pilotphase sollen bis zu 400 Zeitungen mit allen Jahrgängen digitalisiert werden
Die Elektronisierung dieser sächsischer Zeitungen ist freilich nur ein Teil und Auftakt für ein viel größeres Projekt, an dem sich unter Dresdner Federführung zunächst neben der SLUB die Staatsbibliotheken Berlin München, Bremen und Halle beteiligen und das von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) in der zweijährigen Pilotphase mit rund einer Million Euro gefördert wird. Sollte sich das Pilotprojekt als erfolgreich, finanzierbar und qualitativ akzeptabel erweisen, wollen die Digitalisierungszentren dann beginnen, einen repräsentativen Querschnitt aller deutschen Tageszeitungen vom 17. bis ins 20. Jahrhundert hinein digitalisieren und ins Netz stellen. Digitalisiert werden freilich vorerst nur „gemeinfreie“ Zeitungen, deren Urheber- und Verwertungsrechte abgelaufen sind.
Bis 1945 rund 16.000 Zeitungen in Deutschland erschienen
„Laut unseren Recherchen gab es seit Anfang des 17. Jahrhunderts bis 1945 insgesamt rund 16.000 verschiedene Zeitungsunternehmungen in Deutschland“, sagte Bürger. „Sie alle einzuscannen, wäre wohl kaum machbar. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Projektpartner nach der Pilotphase vielleicht 300 bis 400 Zeitungen vollständig digitalisieren könnten.“ Die DFG wäre prinzipiell bereit, die Elektronisierung der auch international bedeutsamen deutschen Zeitungen mitzufinanzieren, ist der SLUB-Chef überzeugt. Darüber hinaus seien angedockte Finanzierungsprogramme von Sachsen und anderen Bundesländern wünschenswert, um auch die regional wichtigen Tageszeitungen ins Internet zu stellen. Zudem sei das DFG-Projekt für Stadtarchive und andere Bibliotheken interessant, da es erstmals nachahmbare Verfahren entwickle, um massenhaft Tageszeitungen zu elektronisieren und im Netz zugänglich zu machen.
Historische Tageszeitungen sind Goldgruben für Historiker
Blättert man durch die Dresdner und Leipziger Zeitungen, die für die Pilot-Digitalisierung ausgewählt wurden, drängt sich auch sofort Sinn und Nutzen dieses Projektes auf: Einige dieser einstigen Massenblätter zerfallen wegen des Säurefraßes unter den Fingern des Lesers, elektronische Kopien könnten sie für die Nachwelt erhalten. Auch würde der neue und rasche Zugang per Internet-Volltextsuche ganz neue Recherche-Ansätze für Historiker und selbst Schüler eröffnen, die bisher am Aufwand scheiterten. Gymnasiasten könnten beispielsweise der Mikrogeschichte ihrer Stadt nachspüren, die sich in keinem Geschichtsbuch findet, Kulturwissenschaftler den Zeitgeist vergangener Epochen extrahieren, Wirtschaftshistoriker aus den Kleinanzeigen-Teilen Kaufkraftanalysen anstellen und lokale Arbeitsmarkt-Historie nachzeichnen, Demografen den Bevölkerungswandel untersuchen und dergleichen mehr. „Historische Tageszeitungen sind eine Goldgrube“, ist Bürger überzeugt. Heiko Weckbrodt
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