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Bürgernetz Dresden muss sich auf Druck vom Fiskus von seinem WLAN-Netz trennen

WLAN-Zugangspunkt des Bürgernetzes Dresden am Borsberg. Abb.: BN

WLAN-Zugangspunkt des Bürgernetzes Dresden am Borsberg. Abb.: BN

Neugegründete Genossenschaft soll Netz betreiben

Dresden, 15. November 2012: Das Bürgernetz Dresden – einer der größten Internetvereine dieser Art in Deutschland – muss sich auf Drängen des Fiskus‘ von seinem WLAN-Netzwerk trennen. Um seinen gemeinnützigen Status nicht zu verlieren, hat der Verein dieses drahtlose Zugangsnetz, das über 1000 Haushalte im Großraum Dresden mit Internet versorgt, an eine neugegründete Genossenschaft verpachtet. Die will künftig neben Internetzugängen auch andere Produkte und Leistungen bis hin zum Ölverkauf bieten. Das teilten Vereinsvorsitzender Eberhard Mittag und der Chef der neuen „Verbrauchergemeinschaft Bürgernetz Dresden eG„, Matthias Untisz, mit.

Fiskus hat uns Pistole auf die Brust gesetzt

„Wir sind Jahr für Jahr gewachsen und hatten schließlich bis zu 1700 Mitglieder, die über unser WLAN-Netz kostengünstig ins Internet kamen“, erklärt Mittag die Hintergrund. Diesem Wachstum habe das Finanzamt schließlich einen Riegel vorgeschoben nach dem Motto: Internetzugänge anzubieten ist kein gemeinnütziger Zweck. „Der Fiskus hat uns da die Pistole auf die Brust gesetzt“, meint Mittag.

Andere Bürgernetze in Deutschland setzen auf Firmen als Partner

Dabei handelt es sich übrigens um ein spezifisch Dresdnerisches Problem: Zwar gibt es bundesweit Dutzende ähnlicher Netze, die im Bürgernetzverband zusammengeschlossen sind – in dem Mittag auch Vize-Vorsitzender ist. Doch nur wenige solcher WLAN-gestützer Netzwerke, die den Bürgern Online-Bildung und einen preisgünstigen Zugang ins Internet zu bieten versuchen, sind auf derartige Größen wie in Dresden angewachsen. „Nur die Bürgernetze im Allgäu, in Ingolstadt und Eichstätt haben ähnliche Größenordnungen“, sagt Mittag. Diese Kollegen setzten aber gleich auf Firmenpartner, die ihre technische Netze betreiben.

Verein steckte über eine Million Euro in sein WLAN-Netz

Anders die Dresdner: Hier bauten die Vereinsmitglieder selber das Netz auf und kümmerten sich auch um den Betrieb. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir etwa eine Million Euro und viel ehrenamtliche Arbeit in dieses Projekt gesteckt, das wollen wir nun keiner Firma in den Rachen werfen“, erklärt Mittag die Genossenschaftsgründung. Fortan wird sich der Verein nur noch um Bildungsangebote rund ums Internet kümmern, die Genossenschaft um den Netzbetrieb – wobei der Verein Netz-Eigentümer bleibt.

Neben Bits und Bytes fließt künftig auch Heizöl

Mit der neuen „Verbrauchergemeinschaft Bürgernetz“ gibt es in Dresden nun einen neuen kommerziellen Internetanbieter („Provider“), der in direkter Konkurrenz zu Telekom, Kabel Deutschland & Co. steht. Um sich gegen solche Schwergewichte trotz der eigenen schwachen Kapitaldecke zu behaupten, will diese Verbrauchergemeinschaft seinen Kunden mehr als nur Bits und Bytes liefern – sondern auch Heizöl, Baumaterialien und andere Verbrauchsgüter, die ein Einzelner teuer bezahlen müsste, in Einkaufsgemeinschaften auf Zeit jedoch deutlich billiger beziehen kann.

Einkaufs-AGs sollen sich per App auf Zeit zusammenschließen

Matthias Untisz. Abb.: hw

Matthias Untisz. Abb.: hw

„Wir haben uns da ein wenig die Biolebensmittel-Einkaufsgenossenschaften zum Vorbild genommen und wollen unseren Kunden, über das Internet hinaus, Mehrwerte bieten“, erklärte Untisz. „Wenn Hausbesitzer zum Beispiel Heizöl für den Winter brauchen, können Sie sich bei uns in Zukunft über eine App zu einer temporären Einkaufsgemeinschaft mit anderen Genossenschafts-Kunden zusammenschließen und Rabatte bekommen.“

Außerdem will sich die Internet-Genossenschaft auch auf elektronisch unterversorgte städtische Randgebiete und ländliche Gebiete rund um Dresden konzentrieren – auf mikrolokale Märkte, die für große Telekommunikationskonzerne nicht lukrativ genug sind. Geboten werden zwar in der Regel nur Laderaten bis ein Megabit je Sekunde – dafür aber für einen eher bescheidenen Beitrag von rund zehn Euro im Monat.

Bürgernetze kümmern sich um unterversorgte Viertel und weiße Flecken auf dem Lande

Bereits unter Vereinsregie hatte das in Dresden gegründete „Bürgernetz“ begonnen, WLAN-Funkstationen auch außerhalb der Landeshauptstadt aufzubauen, vor allem in Gegenden, wo die Telekom keine DSL-Zugänge per Telefonkabel bot. So ist das Bürgernetz inzwischen beispielsweise in Radebeul, Freital, Coswig, in den linkselbischen Tälern bei Klipphausen und Meißen und seit einiger Zeit auch im Schönfelder Hochland aktiv.

Umrüstung eines Access Points in Rabenau. Abb.: BN

Umrüstung eines Access Points in Rabenau. Abb.: BN

Auch die Idee, letztlich ein kostenloses WLAN-Netz für Jedermann wie in Berlin auch in Dresden zu schaffen, sei noch nicht vom Tisch, betonte Untisz. Abgesehen von einer Pilotlösung im Dresdner „WTC“ sei man in diesem Punkt aber bisher nicht sehr weit gekommen.

Für viele dieser Kunden – inzwischen haben sich 1050 Kunden bei der Genossenschaft angemeldet – sind die WLAN-Zugänge des Bürgernetzes die einzige Chance, überhaupt zu vertretbaren Preisen ins Netz zu kommen. Denn anders als im Dresdner Kerngebiet selbst, wo sich der „Leidensdruck“ dank UMTS- und LTE-Ausbau, Wimax-Netz und das Glasfaser-Pilotprojekt der Telekom in Striesen inzwischen sehr verringert hat, sind am Stadtrand und im Umland viele Menschen noch immer ohne schnelle Netzverbindungen durch die großen Konzerne – umso misslicher, da das Internet immer mehr Lebensphähren durchdringt, viele Geschäftsprozesse selbst für Handwerker, Autowerkstätten und andere kleine Unternehmen kaum noch ohne schnellen Netzzugang funktionieren.´Heiko Weckbrodt

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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