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Genauigkeit gibt’s bei der Bundesprüfanstalt – und bei Spektra Dresden

Prüfingenieur Eugen Muhl richtet den Primärkalibrierer im Spektra-Labor in Dresden ein, wo zum Beispiel Schwingungssensoren mit Lasern hochpräzise ausgemessen werden. Das Unternehmen ist in seiner Nische Weltmarktführer. Abb.: hw

Prüfingenieur Eugen Muhl richtet den Primärkalibrierer im Spektra-Labor in Dresden ein, wo zum Beispiel Schwingungssensoren mit Lasern hochpräzise ausgemessen werden. Das Unternehmen ist in seiner Nische Weltmarktführer. Abb.: hw

Dresden, 2.8.2012: Woher weiß ein Auto eigentlich so genau, ob sein Fahrer nur mal auf die kurz Bremse latscht, oder ob ein schwerer Unfall naht, den der Mann am Steuer nur überlebt, wenn der Airbag ausgelöst wird? Wodurch wird dem iPhone klar, dass sein Besitzer nicht nur ein bisschen rumzappelt, sondern sein Telefon wirklich gedreht hat, damit der Bildschirm automatisch ins Querformat wechselt?

Verantwortlich dafür sind Beschleunigungssensoren und Kreiselkompasse, die so winzig sind, dass man sie zu den „Mikro-elektromechanischen Systemen“ (MEMS) zählt. Die können unter Umständen – wie eben beim Autounfall – über Leben und Tod entscheiden und müssen deshalb oft hochpräzise justiert sein. Dafür sorgt unter anderem einer jener „Hidden Champions“ (verborgenen Siegern), von denen man so oft in Erzählungen hört, die aber außerhalb der Branche kaum ein Laie kennt: Die Dresdner „Spektra Schwingungstechnik und Akustik GmbH“, deren Kalibrierungs- und Messgeräte so hochgenau arbeiten, dass sie bei nationalen Prüfinstituten, Autozulieferern, Elektronikfirmen und Unis weltweit heiß begehrt sind.

Boeing, Bosch und Bundesanstalten gehören zum Kundenkreis

„Wir hatten unseren ersten Primärkalibrierer für Schwingungen noch nicht mal ganz zu Ende entwickelt, da kam schon der erste Auftrag des nationalen Norminstituts in Polen“, erinnert sich Martin Nicklich, kaufmännischer Leiter der „Spektra“. Inzwischen sei das Unternehmen weltweiter Marktführer für solche Eichsysteme. Auch die Schwingungsgeber und Messgeräte von Spektra seien technologisch derart ausgefuchst, dass Konzerne wie Boeing, BMW, Audi, Bosch, Goodyear, Siemens und andere auf die Dresdner Technik zurückgreifen.

Video "100-fache Erdbeschleunigung":

Schwingungsgeber, Analysatoren und Kalibrierer – all das mag für Laien zunächst sehr speziell klingen, sie entscheiden in der Industrie aber oft über Erfolg oder Versagen eines neuen Hightech-Produkts.

100-fache Erdbeschleunigung wird simuliert

Im Prüflabor in Dresden-Gittersee klopft Philip Begoff zum Beispiel gerade den neuen Beschleunigungs-Sensor eines Kunden auf Herz und Nieren ab: Mit genau dosierten Impulsen aus den Spektra-Geräten kann er hier zum Beispiel den Frontalaufprall eines fahrenden Autos simulieren. „Ping“, saust ein Hammerschlag nieder, der Bildschirm zeigt „100,2993 g“ an – eben hat 100-fache Erdbeschleunigung auf den Testsensor gewirkt. „Nur wenn wir hier genau ausmessen, wie der Sensor bei welcher Einwirkung reagiert, kann zum Beispiel der Hersteller eines Airbag-Systems richtig einstellen, wann der Airbag ausgelöst wird“, erklärt der Laborleiter.

Im Nachbarraum richtet Prüfingenieur Eugen Muhl gerade den ganzen Stolz der „Spektra“ ein, einen Primär-Kalibrierer für Schwingungen. Das Besondere: Anders als Konkurrenzanbieter vergleicht dieses Gerät Sensoren nicht einfach miteinander (sogenannte Sekundär-Kalibrierer), sondern arbeitet auf der Basis von Naturkonstanten, ist in seiner Präzision also mit den Selbstbauten der Bundesprüfanstalt vergleichbar – dabei aber schneller und billiger für die Kunden aus der Industrie.

Messen mit Naturkonstanten – Hightech-Kermik von Fraunhofer

„Das herzustellen, das ging nur am Standort Dresden“, betont Spektra-Entwicklungs-Chef Dr. Martin Brucke stolz. „Dabei haben wir das spezielle Keramik-Know How des Fraunhofer-Instituts für Keramische Systeme genutzt.“ Denn der Prüfling wird in dem Spektra-Kalibrierer auf eine genau ebene keramische Platte geschraubt, die – ähnlich wie dem Membran in einem Lautsprecher – elektrodynamisch zum Schwingen gebracht wird.

Ein Laser misst dann ganz genau Schwingungsfrequenz und –amplitude. Dabei wird der Dopplereffekt genutzt, der dazu führt, dass sich Lichtwellen in den Rotbereich verschieben, wenn sich die Lichtquelle vom Beobachter wegbewegt. Dieses Phänomen wird auch von Astrophysikern genutzt, um zu errechnen, wie sich das Universum ausdehnt und wie weit Sterne von uns entfernt sind. Aus dem Alltag kennt man den Doppler-Effekt bei Tönen, wenn sich beispielsweise ein Polizeiauto wegbewegt: Die Schallwellen ziehen sich in die Länge, die Sirene klingt dann tiefer.

Netzwerk von Ex-Robotronern

Im Übrigen nutzt „Spektra“ nicht nur in der Kooperation mit Fraunhofer das technologische Netzwerk, dass sich inzwischen gerade auch in vielen kleinen und mittleren Spezialfirmen über den Raum Dresden spannt: Statt größere Geräte-Aufträge selbst zu produzieren, konzentrieren sich die Spektra-Ingenieure auf das, was sie am besten können: Tüfteln und Entwickeln. Gebaut und auf Leiterplatten bestückt werden die Elemente hingegen bei Auftragsfertigern wie A.S.T. Dresden und anderen Partnern.

1994 im Modekeller gegründet

Im Spektra-Foyer ist eine kleine Ausstellung mit Messtechnik seit Robotron.Zeiten an zu sehen. Abb.: hw

Im Spektra-Foyer ist eine kleine Ausstellung mit Messtechnik seit Robotron-Zeiten an zu sehen. Abb.: hw

Das hat auch mit der Historie des Unternehmens zu tun: 1994 wurde es von vier früheren Mitarbeitern des Robotron-Betriebes „Messelektronik“ – aus dem viele andere Firmen in Dresden wie eben A.S.T. auch hervorgingen – gegründet, zunächst im winzigen Keller eines Modegeschäfts in Dresden-Plauen. Als die ersten Großaufträge von Bosch und anderen eintrudelten, zog die Firma in ein Hinterhaus an der Karlsruher Straße um, 2011 schließlich in den heutigen Stammsitz an der Heidelberger Straße in Coschütz-Gittersee.

Inzwischen ist das Unternehmen auf 34 Männer und Frauen gewachsen. Im vergangenen Jahr machte „Spektra“ 3,7 Millionen Euro Umsatz, für dieses Jahr rechnet Nicklich Junior (sein Vater Holger Nicklich ist Geschäftsführer und Mitgründer der Firma) mit über vier Millionen Euro. 40 Prozent des Umsatzes werden im Export realisiert, auch in den USA hat Spektra inzwischen eine Tochtergesellschaft, um den internationalen Vertrieb weiter anzukurbeln.

Spektra sei und bleibe wohl auch ein eher kleines Unternehmen, räumt Nicklich junior ein. „Aber auf unserem Gebiet sind wir Technologie- und Marktführer“ – ein „Hidden Champion“ eben. Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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