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Dresdner Maya-Kodex: Apokalypsen im 5-Jahres-Takt

Auch der mexikanische Feuer- und Kriegsgott Chak Xivit hat Gastauftritte im Maya-Kodex. Plichtgemäß bringt er sieben Monate Unheil. Abb.: SLUB

Auch der mexikanische Feuer- und Kriegsgott Chak Xivit hat Gastauftritte im Maya-Kodex. Plichtgemäß bringt er sieben Monate Unheil. Abb.: SLUB

Sollten wir dieses Jahr den Weihnachtseinkauf streichen und lieber unsere Ersparnisse auf den Kopf hauen? Ja, denn am 21. Dezember 2012 geht die Welt ohnehin unter, sagen Profi-Apokalyptiker und Roland Emmerichs Katastrophenfilm „2012″, die sich auf okkulte Prophezeiungen in Maya-Inschriften und -Texten stützen. Nein, meint hingegen der Bonner Altamerikanist Prof. Nikolai Grube, der den besterhaltenen Maya-Kodex – den Codex Dresdensis – ausführlich studiert hat.

Die reich illustrierte Handschrift wird in der Schatzkammer des Dresdner Buchmuseums aufbewahrt. Das darin erkennbare Kalendersystem und vor allem Seite 74 haben die Phantasie von Weltuntergangsfreunden immer wieder beflügelt: Die zeigt das Himmelskrokodil, den Unterweltgott und die alte Göttin Chak Chel, wie sie eine zerstörerische Sintflut auf die Erde gießen.

Kalender zählt weit über das Jahr 2012 hinaus

Beflügelt die Phantasien von Weltuntergang-Sehern seit jeher: Seite 78 im Codex Dresdensis zeigt eine Sintflut, die das Himmelskrokodil (l.) und die Wassergöttin Chak Chel (r.) auf die Erde gießen, während der Totengott (unten) triumphiert. Die Regentabellen auf den Seiten zuvor sagen solch eine Flut alle 5 Jahre voraus. Abb.: SLUB

Beflügelt die Phantasien von Weltuntergang-Sehern seit jeher: Seite 78 im Codex Dresdensis zeigt eine Sintflut, die das Himmelskrokodil (l.) und die Wassergöttin Chak Chel (r.) auf die Erde gießen, während der Totengott (unten) triumphiert. Die Regentabellen auf den Seiten zuvor sagen solch eine Flut alle 5 Jahre voraus. Abb.: SLUB

Nach mehrjährigem Studium und Übersetzungen der Maya-Hieroglyphen hat Grube seine Erkenntnisse nun in seinem neuen Buch „Der Dresdner Maya-Kalender“ publiziert und darin gibt er Entwarnung: Die Apokalpyse findet nicht statt. Die Anhänger dieser Theorie haben seiner Meinung nach den Maya-Kalender nicht voll durchschaut und übersehen, dass diese alte Zivilisation eine Kalenderzählung hatte, die weit über das Jahr 2012 hinausgeht. Und die legendäre Wasserszene zeige Überschwemmungen, wie sie die Maya-Priester alle fünf Jahre aufs Neue prophezeit hatten.

Eine Art Wikipedia für Maya-Priester

Der Professor räumt ein, dass auch seine Übersetzung unvollständig ist, da uns manche Hieroglyphen der Mayas immer noch nicht völlig klar sind. Doch im Kern ist klar, dass der Dresdner Kodex eine Art Wikipedia für Maya-Priester war.

Beispiel für die metapherreiche Bildsprache des Maya-Kodex: Die Mondgöttin hat sich erhängt - dies steht für eine Mondfinsternis. Abb.: SLUB

Metapherreich: Die Mondgöttin hat sich erhängt = Mondfinsternis. Abb.: SLUB

Es handelte sich um eine Almanach-Sammlung, in der die Schriftkundigen zum Beispiel die Beziehungen der Maya-Götter zueinander, angemessene Opfergaben für erzürnte Gottheiten, Einkleidevorschriften für Fetische und von der Mondgöttin beeinflusste Frauenkrankheiten nachschlagen konnten. Auch finden sich hier Tafelwerke für das 20er-Zahlensystem der Mayas, den Lauf der unter Umständen unheilbringenden Planeten Venus und Mars sowie für Mond- und Sonnenfinsternisse.

Der Duktus der eingebetteten Texte ist oft düster, den Unterhaltungswert im Detail sollte man indes nicht überschätzen. Beispiel: „Finsternis der Sonne, Finsternis des Mondes, Unglück für die Erde, Fluten aus dem Himmel…“ und so weiter und so fort.

Spanier verbrannten Maya-Bücher

Dass am Dresdner Kodex immer noch so viele Spekulationen haften, mag daran liegen, dass er jahrhundertelang als nicht entzifferbar galt. Denn religiöse Eiferer unter den spanischen Eroberern Mittelamerikas hatten 1566 einen Großteil der reich illustrierten Maya-Schriften als Götzenwerk verbrannt, das Wissen um ihre Bedeutung ging verloren. Nur ganz wenige Originale überlebten das Autodafé und gelangten als Kuriositäten nach Europa.

Trailer zu Emmerichs Katastrophenfilm "2012", der u. a. auf den Maya-Kalender rekurriert:

Als Hofkaplan Johann Christian Götze 1739 solch einen Kodex in Wien zum Spottpreis erwarb und in die Königliche Bibliothek Dresden brachte, verzeichnete er das Werk als „unschätzbares Mexicanisches Buch mit Hieroglyphischen Figuren.“ Erst 1853 erkannte man darin ein Maya-Buch. 1886 entzifferten der Dresdner Bibliotheksdirektor Ernst Wilhelm Föstemann und der Autodidakt Paul Schellhas den Kalenderteil des Kodex‘ – die Texte blieben dagegen lange unverständlich.

Im März 1945 wurde das Japanische Palais, in dem sich die Handschrift damals befand, von Bomben getroffen. Vor allem durch das Löschwasser erlitt die Prunkschrift schwere Schäden. 1995 richtete die Sächsische Landes- und Uni-Bibliothek SLUB eigens für den inzwischen restaurierten Kodex eine dicke Schatzkammer in ihrem Buchmuseum ein, digitalisierte die Handschrift und stellte sie 2010 ins Internet.

Nikolai Grube. Abb.: privat

Nikolai Grube. Abb.: privat

Zeugnis einer untergegangenen Hochkultur

Parallel dazu nutzte Prof. Grube die in den vergangenen Jahren gewachsene Kenntnis über die Bedeutung der Maya-Hieroglyphen und fertigte erstmals eine nahezu vollständige Übersetzung des gesamten Kodex‘ für eine breite Öffentlichkeit an, die nun in Buchform vorliegt. SLUB-Direktor Prof. Thomas Bürger zeigte sich angetan und schrieb: „Die Aura dieser heiligen Schrift, die Bücherverbrennungen und Weltkriege überstanden hat und Glanz und Geschichte einer untergegangen Hochkultur bewahrt hat, wird auch künftige Generationen faszinieren“, zeigte er sich überzeugt. Heiko Weckbrodt

Abb.: Herder-Verlag

Abb.: Herder

 
Nikolai Grube: „Der Dresdner Maya-Kalender„, Herder-Verlag, Freiburg 2012, 224 Seiten, ca. 100 Abbildungen, 20 Euro, ISBN 978-3-451-33332-3

 Leseprobe: hier

Der Vollständige Maya-Kodex im Internet: hier

 Zum Weiterlesen:

Warum die Apokalyptiker irren: Die Systematik des Maya-Kalenders

Der Dresdner Maya-Kodex

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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