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Als der Striezelmarkt noch die Sowjet-Treue beschwor

Der Dresden Striezelmarkt heute. Abb.: LHD/ S. Dittrich

Der Dresden Striezelmarkt heute. Abb.: LHD/ S. Dittrich

In wenigen Tagen wird einer der ältesten und schönsten Weihnachtsmärkte Deutschlands eröffnet: der Dresdner Striezelmarkt (24.11. bis 24.12.2001, Altmarkt Dresden). Was dabei gern und oft vergessen wird: Der Aufwand, der mit diesem Traditionsmarkt betrieben wird, ist keine Erfindung der Nachwendezeit. Bereits zu DDR-Zeiten butterte der damalige Rat der Stadt Millionenbeträge dort hinein, um den Dresdner Striezelmarkt zu einer überregionalen Marke aufzubauen: Riesenpyramide, Mega-Schwibbogen, Weihnachtskalender mit täglichem Adventsprogramm, Weihnachtsmann-Post und dergleichen mehr wurden damals kreiert und dies trotz der herrschenden Mangelwirtschaft. Als „Stadtrat für Handel und Versorgung“ hat Horst Bärsch diesen Aufbauprozess jahrzehntelang begleitet – nun hat er seine Erinnerungen im Buch „Schilderungen und Betrachtungen zum Dresdner Striezelmarkt“ aufgeschrieben.

Horst Bärsch. Abb.: PR

Horst Bärsch. Abb.: PR

Die Originaldokumente, die Bärsch darin abdruckt, atmen auch den ideologischen Zeitgeist. Wie sehr sich die DDR – bei allem Propaganda-Getöse – zuletzt doch in der Praxis verbürgerlicht hatte, zeigen zum Beispiel zwei Dokumente aus den Jahren 1977 und 1988 im Vergleich, beides rats-interne Striezelmarkt-Konzeptionen: Wo 1977 unter „Zielstellungen“ noch steht, durch den Weihnachtsmarkt „sozialistische Verhaltensweisen zu fördern“ und den „Stolz auf unsere Errungenschaften und die Freundschaft zur Sowjetunion zu vertiefen“, während von Dresdner Traditionspflege erst ganz zuletzt die Rede ist, sind diese ganzen Floskeln in der Konzeption 1988 verschwunden. Hier werden unter  „Zielstellungen“ zum Beispiel die Kinderfreundlichkeit genannt, die Vertiefung „folkloristischer Traditionen unserer Heimat“ und der „Liebe der Bürger zu ihrer Stadt“. Auch die elf Jahre zuvor noch erhobene Forderung, den Weihnachtskalender auf russische Märchen auszurichten und unbedingt den russischen „Djed Moros“ samt „Snegurutschka“ einzuladen, ist verschwunden.

Ungeachtet aller ideologischer Schnörkel setzte auch die sozialistische Rathausspitze schon frühzeitig auf Traditionspflege und baute den Striezelmarkt zu einer Touristenattraktion auf. War der Neuanfang 1945 als „Weihnachtsmesse“ in der alten Goehle-Fabrik an der Riesaer Straße noch karg, zog diese Schau schon ein Jahr später in die Stadthalle am Nordplatz um, in das spätere Armeemuseum. Die Messe wurde recht rasch wieder zu einem Markt, der 1954 wieder in die Innenstadt zurückzog: Zuerst auf den Theaterplatz, dann auf den Altmarkt, sich ab 1963 dann in den ganzen Altstadtkern hineinwuchs und zeitweise das gesamte Areal zwischen Webergasse und Gewandhaus einnahm.

Kurz zuvor hatte Bärsch seine Stelle als Oberbürgermeister-Stellvertreter für Handel und Versorgung (ein Posten, der traditionell an die Blockparteien vergeben wurde) angetreten und die Leitung der „Arbeitsgruppe Striezelmarkt“ übernommen. Schon damals waren die Probleme ähnliche wie sie die Stadtverwaltung nach der Wende wieder beschäftigten: Experimente mit wechselnden Standorten, Schwierigkeiten mit Anwohnern, die sich über besinnliche Dauerbeschallung beschwerten, die Frage nach geraden oder verwinkelten Marktgassen – ja, das kommt uns bekannt vor.

Was damals freilich viel „Vitamin B“ (also Beziehungen) und Hamstermentalität erforderte, war die Mangelwirtschaft. Erzgebirgische Schnitzwerke wie Pyramiden oder Nussknacker gab es zum Beispiel auf dem Striezelmarkt zu sehen – aber so gut wie nie zu kaufen, weil die DDR-Führung die Volkskunst lieber gegen harte Devisen in den Westen exportierte. Auch an lange Streits um Import-Pflaumen für die „Pflaumentoffel“, an Vorratsproduktionen extra für den Striezelmarkt, Appelle an alte Bekannte in Puslnitz, doch bitte mit Lebkuchen zum Dresdner Markt anzumaschieren und dergleichen mehr erinnert sich Bärsch noch gut.

Je besser dieses realsozialistische Nachschubnetz funktionierte, desto fresslustiger wurden indes auch die Dresdner und ihre Gäste: Als der Striezelmarkt nach einem Intermezzo am Fucikplatz (1971-1976, heute: Straßburger Platz) zurück zum Altmarkt zog, verdoppelten sich die Marktumsätze glatt auf fast sieben Millionen DDR-Mark. Wie aus einer damaligen Statistik hervorgeht, verzehrten die Striezelmarktbesucher 1977 insgesamt rund 18 Tonnen Broiler, 50 Tonen Bock- und Bratwürste, 23 Tonnen Schaschlyk, 180.000 Pfannkuchen und kauften 32.000 Stollen – ein wesentlicher Teil davon fand dann per Auto und Bahn seinen Weg ins ganze Land.

Andererseits investierte die Kommune nicht unerheblich in die Traditionsveranstaltung, allein zwischen 1981 und 1985 investierte der Rat der Stadt etwa 1,2 Millionen Mark in diverse Aufhübschungen, seien es nun eine neue Riesenpyramide, einen Märchenwald oder große Nussknacker- und Engel-Figuren. Apropos Engel: Unvergessen wird wohl jedem DDR-Bürger die Zeit um die Mitte der 1980er Jahre bleiben, als der Ideologiehammer noch ein letztes Mal ausholte und aus den holzgeschnitzten Weihnachtsengeln dem Namen nach plötzlich atheistisch-korrekte „Jahresendflügelfiguren“ machte. „Dieser Unsinn löste damals nicht nur eine heftige und ins Lächerliche gezogene Debatte aus. Es gab auch einen richtigen Krach“, erinnert sich Bärsch. Der übereifrige Vorstoß mittlerer Chargen wurde schließlich schnell wieder unterbunden.

Fazit:

Während die mittelalterlichen Wurzeln der Striezelei bereits des Öfteren schon beleuchtet wurden, hat Bärsch in seinem Buch ein bisher wenig beschriebenes Kapitel der Dresdner Weihnachtsmarkgeschichte erschlossen. Etwas unangenehm fallen die zahlreichen Interpunktionsfehler und der stellenweise ausgeprägte DDR-Verwaltungsduktus auf. Auch ist es etwas kühn von Bärsch, sich als langjähriger „Schirmherr“ des Striezelmarktes zu titulieren – bei allen Verdiensten um die Aufwertung diesert Traditionsveranstaltung sei doch betont: Er war das, was man heute vielleicht Handelsbürgermeister nennen würde und da gehörte das Marktwesen zu seinem Job. Heiko Weckbrodt

Horst Bärsch: „Schilderungen und Betrachtungen zum Dresdner Striezelmarkt und zum Marktgeschehen in der Stadt der Jahre 1945 bis 1989“, Dresden 2010, Christoph-Hille-Verlag, 132 Seiten, ISBN 978-3939025054
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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