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Verleger Saur im Interview: „Harry Potter war das beste Leseförderprojekt, das es je gab“

Freund der Bücher: Klaus G Saur. Abb.: Bettina Flitner/ SBB-PK

Ein Freund der Bücher: Klaus G Saur. Abb.: Bettina Flitner/ SBB-PK

Dresden, 1.11.2011: Klaus Gerhard Saur war und ist Verleger aus Leidenschaft: Als 22-Jähriger stieg er in das Ingenieurbüro des Vaters ein und machte daraus einen international viel beachteten Wissenschaftsverlag. Der „K. G. Saur“-Verlag setzte als einer der ersten auf elektronische Publikationen, stand 1980 kurz vor der Pleite, rappelte sich auf, wurde von Saur verkauft und zurückgekauft. Heute, 19 Uhr, stellt der 70-Jährige Saur in der Sächsischen Landes- und Uni-Bibliothek (SLUB) sein Buch „Traumberuf Verleger“ zu dieser Geschichte vor. Heiko Weckbrodt plauderte vorab mit ihm darüber, wie man Verleger wird und bleibt, wie eBücher die Branche verändern und wie es um die Lesefreudigkeit der Deutschen bestellt ist.

Dynastien, in denen das Geschäft von Generation zu Generation weitergegeben wird

Wie würden Sie es einem jungen Literaturfreund in kurzen Worten erklären: Wie wird man eigentlich Verleger?

Klaus G. Saur: Früher fast nur als Sohn eines Verlegers – da gab und gibt es ganze Dynastien, in denen das Geschäft von Generation zu Generation weitergegeben wird. Manchmal stieg auch ein führender Mitarbeiter ein oder es ergab sich per Zufall: Ich kenne einige Wissenschaftler, die autodidaktisch Verleger wurden. Andere kamen über ein Studium des Buchwesens oder ein Volontariat ins Geschäft.

Bei Ihnen war es wohl eine Vater-Sohn-Geschichte…

Mein Vater hatte ein Ingenieurbüro, das durch einen Einzelauftrag begann, auch Dokumentationen zu verlegen. Ich habe schon als Schüler in Vaters Firma mitgearbeitet und bin 1963 dort eingestiegen – und habe dann einen richtigen Verlag daraus gemacht.

Wie kam das?

1964 haben wir ein nationales Verlagsadressverzeichnis verlegt, das so einschlug, dass wir gleich ein internationales Bibliotheksverzeichnis in Englisch nachlegten. So waren wir plötzlich auf dem Weltmarkt aktiv. Dann folgten große Projekte wie das ,Verzeichnis lieferbarer Bücher’ und ab 1975 das Gesamtverzeichnis deutschen Schrifttums seit 1700 in über 400 Bänden.

Wie stark greift man als Verleger persönlich in die Ausrichtung des Hauses und in einzelne Buch-Projekte ein?

Buchverleger mischen sich nur selten in konkrete Buchausgaben ein, soweit sie die Autoren nicht selbst betreuen. Ich selbst habe das ähnlich gehandhabt. Einmal habe ich zum Beispiel ein Buch zurückgezogen, in dem behauptet wurde, die Nazis hätten den Reichstag angezündet. Es ist inzwischen recht klar bewiesen, dass die Nazis den Brand weidlich ausnutzten, aber ihn nicht selbst gelegt haben.

Muss man sich öfter mal mit Autoren streiten?

Es gibt wie überall schweirige Autoren und andere, die sind total liebenswürdig. Als ich De-Gruting-Geschäftsführer war, hatten wir allerdings zirka 500 bis 800 Titel im Jahr – da kann man nicht jeden Autor einzeln kennen.

Der Saur-Verlag hat recht früh auf die sogenannten ,Neuen Medien’ gesetzt…

Ja, das begann mit der Publikation von 1,5 Millionen Fotografien auf Mikrofilmen, dann folgten die CD-ROMs, die DVDs, die Online-Datenbanken…

Abb.: Peer Koop, H & C

„Ein Verleger handelt handelt nicht mit Papier, sondern mit Inhalten – und die können auch elektronisch publiziert werden“

 

 

 

 

 

Keine Chance gegen Prinzip „Kostenlos“: Wikipedia hat Brockhaus kaputt gemacht

Ist Ihnen nicht bange um das Verlagswesen im Digitalzeitalter? Apple und Amazon bieten Autoren inzwischen an, ihre Bücher in elektronischer Form direkt auf ihren Internetplattformen zu publizieren. Das mag man auch als basisdemokratischen Beitrag sehen, um mehr Büchern eine Chance zu geben, doch dies hebelt doch das Lektorat und das ganze Verlagswesen aus, oder?

Es hat durch das Internet bereits starke Verschiebungen gegeben und es wird noch weitere Veränderungen geben. Die Brockhaus-Enzyklopädie zum Beispiel ist ganz klar durch die Wikipedia pleite gegangen: Der Brockhaus war zwar besser als die Wikipedia, gegen das Kostenlos-Prinzip kommt man aber nicht an.

Aber ich habe schon immer gesagt: Der Verleger handelt nicht mit Papier, sondern mit Inhalten – und die können eben auch elektronisch publiziert werden. Ich sehe da noch viel Potenzial gerade auch für die vielen großartigen kleinen und mittleren Fach- und Spezialverlage in Deutschland: Wer exklusive Inhalte hat, kann die auch verkaufen und sei es digital.

Was nun Amazon und Apple betrifft: Wenn Autoren ihre eBooks ohne Lektor, ohne Verleger publizieren, dann erscheinen sie in keiner Buchhandlung, in keinen Kritiken, bei keinen Buchpreisen. Das haben viele schon gemerkt und sind wieder vom Direktvertrieb zu den Verlagen zurückgekehrt.

eBooks machen in Deutschland kaum ein Prozent vom Verlagsumsatz aus

Richtige Begeisterung merkt man den deutschen Verlagen beim Thema eBuch aber nicht gerade an…

98 Prozent der wissenschaftlichen Bücher erscheinen heute auch als eBücher, in der Belletristik sind es 60 Prozent. Am Umsatz machen die eBooks aber nur etwa ein Prozent aus – eigentlich machen die Verlage das nur, weil die Autoren und andere unbedingt eBooks wollen. Für Sachbücher ist das auch in Ordnung, aber ich kenne keinen, der sich auf einen Roman länger als fünf Minuten konzentrieren kann, wenn er ihn auf einem Bildschirm liest.

„Tod des Buches wird schon seit 50 Jahren prophezeit“

Ist Deutschland überhaupt noch ein Land der Leser?

Das geht schon seit über 50 Jahren so, dass der Tod des Buches und das Ende des Lesens prophezeit wird. Marshall McLuhan, der das damals so vorhergesagt hat, ist längst tot, aber seine Vorhersage ist nicht eingetroffen. Denken Sie an ,Harry Potter’ – diese Bücher haben für eine beispiellose Lesewelle gesorgt. Sie sind weltweit in 500 Millionen Exemplaren erschienen und etwa jedes zweite Kind, das die gelesen hat, hatte vorher noch nie ein Buch in der Hand. Und davon haben wiederum 40 Prozent danach andere Bücher gelesen. Insoweit war ,Harry Potter’ das größte und erfolgreichste Leseförderprojekt, das es je gab.

Im Titel ihres Berufes wird ,Verleger’ ein ,Traumberuf“ genannt. Ist das so?

Verleger zu sein, ist ein absoluter Traumberuf. Ich habe unzählige Universitäten, Wissenschaftler, Nationalbibliotheken und Autoren kennengelernt und in all den Jahren über 9000 Titel verlegt, darauf schaut man gern zurück. Es gab aber auch mal sechs Wochen im Jahr 1980, als wir kurz vor der Pleite standen, da war der Beruf ein Albtraum. Doch wir haben es geschafft. Ich habe den Verlag zwar 1987 verkauft, ihn aber später, als ich Geschäftsführer bei De Gruyter wurde, wieder zurückgekauft, das empfand ich als tollen Erfolg.

Sie sind seit 2008 im Ruhestand. Was machen Sie heute?

Ich bin in verschiedenen Beiräten tätig und arbeitete gerade an einem Lexikon der verfolgten Musiker in der Nazi-Zeit.

Abb.: H & C.

Buchgespräch „Traumberuf Verleger“ mit Klaus G. Saur und SLUB-Direktor Thomas Bürger, SLUB Dresden, Zellescher Weg 18, Vortragssaal, 19 Uhr
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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