Geschichte, Wirtschaft
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Staatliche Intervention rettete Mikroelektronikkern in Sachsen

Nach der Wende siedelten sich große Halbleiterunternehmen wie Infineon (hier ein Blick in den Dresdner Reinraum) und AMD in Dresden an. Abb.: Infineon

Nach der Wende siedelten sich große Halbleiterunternehmen wie Infineon (hier ein Blick in den Dresdner Reinraum) und AMD in Dresden an. Abb.: Infineon

Nachwende-Erfolge fußten auf Humankapital und aktiver Wirtschaftspolitik

 

Mit der Währungsunion wurden in der ostdeutschen Wirtschaft die Zähler auf Null gestellt: Mit einem Schlag veränderte sich in der Kostenstruktur die Relation zwischen Personal- und Zulieferausgaben. Eigenkapital hatten die Betriebe fast keines, da auch ihre Anlagen nach marktwirtschaftlicher Veranschlagung als veraltet galten. Die Computer, Chips und Maschinen „Made in GDR“, die man eben noch im Ostblock ohne Probleme absetzen konnte, hatten plötzlich nur noch Schrottwert. Was blieb, war „Humankapital“ – ein großes Reservoir von zwar nicht auf dem modernsten Stand, aber doch sehr solide ausgebildeten Facharbeitern, Technikern und Ingenieuren. Doch die gab es damals im Überangebot, was den Betrieben zunächst eher Kosten als Freude bereitete.

Von Heiko Weckbrodt

Das Dresdner Computerkombinat Robotron (1989: 68.000 Mitarbeiter) ging Mitte 1990 den Bach runter – die entlassenen Spezialisten gründeten freilich viele Firmen, die heute zu den aufstrebenden Mittelständlern der Region Dresden gehören. Auch der VEB Elektromat, der vor der Wende „Technologische Spezialausrüstungen“ für die DDR-Mikroelektronik entwickelt hatte (ein Pendant zu Westunternehmen wie ASML, Tokyo Electron etc. gewissermaßen) musste rasch schließen. Das Erfurter Kombinat Mikroelektronik, das zuletzt über 60.000 Beschäftigte hatte, wurde ebenfalls kurz nach der Wende aufgelöst. Als bedeutendster Nachfolger gilt der Auftragsfertiger „X-Fab“ (heute rund 2400 Mitarbeiter).

Kurt Biedekopf. Abb.: Lemmerz/Bundesarchiv/Wikipedia

Kurt Biedenkopf. Abb.: Lemmerz/Bundesarchiv/Wikipedia

Für das Halbleiterwerk Frankfurt/Oder (zuletzt 8000 Mitarbeiter) hatte die brandenburgische Landesregierung zunächst große Pläne, ein Einstieg von Intel winkte gar – erst 2003 wurden diese Projekte endgültig begraben. Der ehemals größte Einzelproduzent von Mikroelektronik in der DDR hat zwar viele direkte und indirekte Nachfolger gefunden, die aber nie an die früheren Größenordnungen herankamen.

Geblieben sind von der langen Wertschöpfungskette, die in der DDR mit großem Aufwand aufgebaut worden war, vor allem die Standorte Dresden und Freiberg. So übernahm auf Intervention von Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und Wirtschaftsminister Kajo Schommer (beide CDU) de facto der Staat das Dresdner Chipzentrum ZMD, das bis nach der Jahrtausendewende nicht aus den roten Zahlen herauskam. Nach und nach spaltete das Unternehmen immer Geschäftsbereiche ab, heute ist es ein fabrikloser Schaltkreisentwerfer.

Viel wichtiger war aber ein Nebeneffekt des Fortbestandes: Die rund 3000 ZMD-Mitarbeiter wurden neben hohen Subventionen zum Hauptargument für AMD, Siemens und andere Chipfirmen, hier wiederum milliardenschwere Investitionen zu tätigen – heute gilt Dresden deshalb als größtes Mikroelektronik-Cluster Europas.

Ausbau bei laufender Produktion: Chipwerk-Baustelle in Dresden. Abb.: hw

Ausbau bei laufender Produktion: Chipwerk-Baustelle in Dresden. Abb.: hw

Auch dem VEB Spurenmetalle Freiberg (zuletzt rund 1800 Mitarbeiter) halfen letztlich aktive staatliche Eingriffe: Der damalige Bundesforschungsreferent Helmut Ennen erwirkte, dass Wacker seine Galliumarsenid-Anlagen von Burghausen nach Freiberg verlagerte. Dieser schnellere, aber teurere Alternativhalbleiter zu Silizium hatte schon zu DDR-Zeiten im Betrieb eine Rolle gespielt und wurde nun zu einem eigenständigen Unternehmen, das schließlich von einem israelischen Investor übernommen wurde.

Nach langen Hängepartien entstanden aus dem VEB-Profil schließlich zwei weitere Nachfolgeunternehmen, die heute strukturbestimmend für die Bergbaustadt sind: Die Wackertochter Siltronic zog hier nach und nach einen führenden Standort für Siliziumscheiben (Wafer) hoch und Solarworld hat hier seinen zentralen deutschen Produktionsstandort für Solarzellen aufgebaut.

Mittlerweile beschäftigen die Hightech-Betriebe im „Silicon Saxony“ genannten Dreieck Dresden-Freiberg-Chemnitz über 40.000 Mitarbeiter. Diese Erfolgsgeschichte ist wohl als Beispiel dafür zu sehen, dass die Devise „So wenig Staat wie möglich“ zwar meist, aber eben nicht immer das Beste für die Prosperität eines Landes ist. Denn im freien Spiel der Marktkräfte wärendas  ZMD in Dresden und die Siliziumproduktion in Freiberg wahrscheinlich ganz schnell untergegangen, eine aktive Wirtschaftspolitik verhinderte das in diesem Fall.

 

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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