Bücherkiste, zAufi
Schreibe einen Kommentar

Roman „Die Schwärmer“: Filterblasen lassen unsere Herzen erkalten

Grafik: Dresdner Buchverlag / Jörg Hausmann

Vernetzt per Hirn-Funkimplantat: ein Schwärmer. Grafik: Dresdner Buchverlag / Jörg Hausmann

In seinem Debüt-Roman entwirft der Dresdner Autor Willi Hetze eine Zukunft, in der der Schwarm alles ist

Moorstedt/Sybaris 7. Das Buch „Die Schwärmer“ erzählt über eine nahe Zukunft, in der sich die Menschen funkende Hirnimplantate einpflanzen, um sich zu einer Schwarmintelligenz zusammenzuschließen. Doch bald kämpfen sie mit bizarren Nebeneffekten ihres kollektiven Bewusstseins. In diesem seinem ersten Roman verarbeitet der Dresdner Autor Willi Hetze drängende Fragen unsere Gegenwart in einem Science-Fiction-Gewand: Wie dicht halten die Filterblasen in vermeintlich „sozialen“ Netzwerken? Warum fürchten wir Fremde? Wie sehr sollten wir unsere Technik vertrauen? Sichtlich sind viele dieser Topoi auf seine Heimat Dresden und Sachsen gemünzt.

Die Story: Provinz-Postbote Teo geht in die Hauptstadt – und wird in die Zukunft katapultiert

Teo lebt in einem Provinzstädtchen und liebt seinen Beruf: Als Postbote kann er die Menschen verbinden. Doch plötzlich versiegen die Briefe und Pakete gen Moorstedt – und Teo wird in die Hauptstadt ausgesandt, um im Zentralpostamt nachzufragen, was da los ist. Was der Junge aus der Provinz da vorfindet, bestürzt und fasziniert ihn gleichermaßen: In Sybaris 7.0 – so heißt die Hauptstadt inzwischen – stellen Drohnen-Schwärme die Pakete zu. Autonomes Fahren und Car-Sharing sind zum Alltag geworden. Die Menschen haben sich Funknerven ins Hirn implantiert und sich zu einem großen, allwissenden Schwarm verknüpft. In diesem Schwarm bleibt nichts geheim, jede Information ist jederzeit verfügbar.

Grafik: Dresdner Buchverlag / Jörg Hausmann

Abb.: Dresdner Buchverlag / Jörg Hausmann

Bewusstsein und Ängste in den Schwarm transferiert

Doch bald bemerkt Teo auch die Schattenseiten dieser Schwarmintelligenz: Sie saugt Informationen genauso auf wie bloße Gerüchte und Mutmaßungen, verteilt sie, wälzt sie im Schwarm um und um, bis „Wahrheit“ und Trug ineinander verfließen. Und noch ganz andere Grenzen verschwimmen: Die Schwärmer beginnen, ihre persönlichen Erinnerungen im Schwarm zu speichern, schließlich gar Ängste und Bewusstsein. Mit verheerenden Folgen: Realität und Schwarmrealität verschwimmen ununterscheidbar, die Albträume des Schwarms beginnen die Realität zu verformen. Und zeitgleich bricht ein mysteriöser Krieg am Rande des Schwarmimperiums aus, nicht weit von Teos Heimatstädtchen…

Wo analoge Menschen und Schwarmängste aufeinanderprallen

Gelegentlich trägt Hetze da auch mal zu dick auf: Wenn er die Moorstedter Eingeborenen kaltherzig zusehen lässt, wie der Schmied und der Pferdezüchter einen auswärtigen Fahnenflüchtigen misshandeln, ist das kaum verbrämte Kritik am Umgang der Sachsen mit Fremden. Davon abgesehen ist dem 33-jährigen Mediensoziologen aus Dresden ein sehr rundes, durchdachtes und kritisches Werk gelungen, das Utopie und Dystopie gleichermaßen ist: Es reflektiert am Funknerv-Schwarm unseren oft sehr unkritischen Umgang mit Facebook, mit den Info-Happen, Gerüchten und Ängsten, die uns im Internet entgegenfluten.

„Der Funknerv zeichnet nicht das auf, was man sieht, sondern das, was das Gehirn zu sehen glaubt. Deshalb verursacht er Halluzinationen, wenn man Angst hat. Er gaukelt uns die Feinde vor, die wir aus den Gerüchten kennen und erwarten. Und weil viele ihre Halluzinationen in den Schwarm einspeisen, verstärken sich die Gerüchte immer mehr“,

lässt er im Schwarmkrieg seinen Teo erkennen.

Willi Hetze. Foto: privat / Facebook-Profil

Willi Hetze. Foto: privat / Facebook-Profil

Fazit: Faszinosum und Warnung zugleich

„Die Schwärmer“ sind eine faszinierende literarische Zukunftsvision, breit angelegt, allegorisch gemalt, die die Ängste der Gegenwart spiegelt. Entstanden ist dieser Roman auf der Basis einer früheren kafkaesken Kurzgeschichte von Hetze, „Das Unbegreifliche der Katzenwege“, die er allerdings deutlich weiterentwickelt hat. Bemerkenswert, da bei anderen Autoren nicht selbstverständlich: Obwohl für ihn der gesellschaftskritische Impetus im Mittelpunkt steht, sind seinem Buch auch breite technologische Recherchen anzumerken: Was er da als nahe Zukunft schildert, dürfte – außer vielleicht der Funknerv selbst – auch für uns nicht mehr weit weg sein, wenn wir beispielsweise ans autonomes Fahren, Drohnen-Zustellung oder OLED-Leuchten denken. Stilistisch bedient sich Hetze einer sehr bildhaften Sprache, mit denen er oft zu faszinierenden Assoziationen gelangt. Und, ach ja: Im Roman verrät er auch endlich das Mysterium der Katzen.

Überblick:

  • Autor: Willi Hetze, Bj. 1985
  • Titel: „Die Schwärmer“
  • Genre: Sci Fi/Gesellschaftskritik
  • Verlag: Dresdner Buchverlag/ Salomo Publishing
  • Erscheinungsort und -jahr: Dresden 2018
  • Umfang: 376 Seiten
  • Preis: 9 Euro (eBook) bzw. 15 Euro (Taschenbuch)
  • ASIN: B07B7S8KQ9
  • ISBN: 978-3-941757-84-4

Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt

Anzeige:

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

Schreibe einen Kommentar