Mediengestalter der TU Dresden zeigen in der Veronese-Sonderschau, wie das Museum der Zukunft Zeitreisen organisiert
Dresden, 23. März 2018. Wenn Professor Rainer Groh von der Informatik-Fakultät der TU Dresden über den Ausstellungsbetrieb der nahen Zukunft spricht, hat er recht klare Vorstellungen, wie der funktionieren könnte: „So wie man heute im Museum einen Audio-Guide am Einlass ausleiht, wird es in drei, vier Jahren ganz selbstverständlich sein, sich eine Datenbrille zu holen“, skizziert Rainer Groh seine Vision. „Dann geht man damit durch die Ausstellung. Wenn die Sensoren in der Brille erkennen, dass man schon minutenlang auf ein Exponat schaut, kann die Brille Hindergrundinformationen einblenden oder dazu raten, auch mal um die Statue herumzugehen oder etwas näher an das Gemälde heranzutreten. Das wird noch viel immersiver als heute sein: Wir werden uns gar nicht mehr dessen bewusst sein, dass uns die Technik die ganze Zeit begleitet.“
Video über die Veronese-Ausstellung (SKD):
Augmented Reality macht Malprozess und Restauration sichtbar
Einen Vorgeschmack darauf kann man schon heute in der Galerie „Alte Meister“ erlangen: Die Mediengestalter der TU Dresden haben gemeinsam mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) einen digitalen Weg gefunden, Museumsbesuchern die Geschichten hinter den Bildern zu erzählen, sie sicht- und ertastbar zu machen. Das Experimentierfeld dafür ist die Ausstellung „Veronese: Der Cuccina-Zyklus“. Zu sehen sind dort bis zum 2. Juni 2018 vier Gemälde, die der Renaissance-Künstler Paolo Veronese (1528-1588) um das Jahr 1571 herum für die venezianische Tuchhändler-Familie Cuccina malte: „Die Anbetung der Könige“, „Die Hochzeit zu Kana“, „Die Kreuztragung“ und „Die Madonna der Familie Cuccina“. Sie wurden aufwendig restauriert, um ihre ursprüngliche Farbigkeit wieder freizulegen.
Um aber auch frühere Fassungen dieser Bilder, den Malprozess Veroneses, die Familiengeschichte der Cuccinas, vor allem aber den Restaurationsprozess erfahrbar zu machen, haben Studenten und Forscher um Prof. Groh von der Informatikfakultät sieben Multimedia-Stationen entworfen, die nun im Laboratorium der Ausstellung aufgestellt sind. Einige dieser Stationen erweitern mit Computerhilfe gewissermaßen das, was der Mensch mit seinem Auge sieht – „Augmented Reality“ („AR“) sagt man auch dazu.
Einschweben über Venedig – und ab in den Palazzo
„Wir haben zum Beispiel einen Multitouch-Tisch aufgestellt, der sich mit sogenannten Tangible-Spielsteinen bedienen lässt. Je nachdem, welchen Stein der Nutzer setzt, kann er über Venedig einschweben und dann tiefer und tiefer in den Palazzo der Cuccinas gelangen“, erzählt Mathias Müller, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Groh viele der Hardware-Lösungen für das Projekt mitentworfen hat.
Die Gewänder des 16. Jahrhunderts erfühlen
Eine andere Station ist eher taktil: Drückt der Besucher einen textilen Taster, kann er oder sie erfühlen, wie sich die Gewänder der Cuccina-Familie auf der Haut anfühlten. Und gleichzeitig zeigt ein Bildschirm, wo auf den Gemälden dieses, wo jenes Tuch zu sehen ist, das man da erfühlt. „Dazu lassen sich kurze Filme abspielen, in denen ein italienisches Studio mit echten Darstellern zeigt, wie aufwendig es war, sich diese Renaissance-Gewänder anzuziehen“, sagt Prof. Groh.
Mit dem Röntgenblick unter die Oberfläche schauen
Den Restaurationsprozess im Fokus haben zwei Pulte, die einerseits die überlieferten, teils verschlimmbesserten Gemälde zeigen, wie sie noch vor ein paar Jahren aussahen, und daneben die Röntgen- und Infrarot-Durchleuchtungen sowie die restaurierten Fassungen. Durch die Tiefenanalyse ist auch zu sehen, wie die Leinwand genäht wurde oder dass Veronese beispielsweise gegenüber der ersten Version des Familienbildes manchen Kopf noch durch Übermalung drehte und einen Knaben ganz aus dem Gemälde tilgte.
Virtuelles Elektronenmikroskop macht kleinste Details sichtbar
An der nächsten Station kann sich der Besucher einen Tablet-Computer schnappen. Nähert sich der Gast damit einer Gemälde-Repro an der Wand, wandelt sich das Kamera-Bild auf dem Tablet-Bildschirm: Der Nutzer kann das eben noch optisch wahrgenommene Gemälde wie durchs Elektronenmikroskop oder in der Spektralanalyse detailliert untersuchen.
Virtuelle Zwillinge der Original-Gemälde veranschaulichen Grenzen der Farb-Restaurierung
Die Grenzen der Restauration zeigt eine weitere AR-Ansicht: Die alten Farben perfekt wiederherzustellen, ist in der Praxis nahezu unmöglich. Deshalb haben die SKD digitale Rekonstruktionen der Gemälde angefertigt, die zumindest auf dem Computerbildschirm das ursprüngliche Kolorit zeigen. Indem der Museumsbesucher das Tablet auf Bildausschnitte einer Gemäldekopie richtet, wird sichtbar, wie das Bild dort vor knapp 450 Jahren ausgesehen hat, als es frisch aus Veroneses Werkstatt kam. „Auf dem Familienbild zum Beispiel trägt die Mutter ein weinrotes Kleid“, nennt Professor Groh ein Beispiel. „In der digitalen Farbrekonstruktion sieht man, dass sie ursprünglich ein leuchtendes Zinnoberrot mit orangen Einsprengseln trug – ein strahlender Anblick!“
Als Studenten-Projekt realisiert
Über ein Jahr Arbeit steckt in all diesen Stationen, erzählt der Lehrstuhl-Inhaber. Letztlich haben vier Studenten, unterstützt durch die Gestalterinnen Esther Lapczyna und Franziska Hannß sowie den Hardware-Spezialisten Müller die Stationen realisiert. Geld sei dafür nicht geflossen, erklärt Prof. Groh. Dennoch sei die Kooperation ein Gewinn für beide Seiten„Wir haben inzwischen schon ein halbes Dutzend Ausstellungen der SKD multimedial unterstützt. Wir freuen uns immer wieder über die interessanten und schönen Gestaltungsgegenstände, die sich dadurch für unsere Studenten ergeben.“ Eine AR-Station über ein Veronese-Gemälde zu gestalten sei eben doch etwas anderes als einen Bagger für die akademische Übung zu designen, der dann doch nie gebaut werde.
Autor: Heiko Weckbrodt
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