Doku über einen Maler an der Schwelle vom Impressionismus zum Expressionismus fürs deutsche Heimkino erschienen
Kommt die Rede auf Paul Gauguin (1848-1903), denken wohl die meisten sofort an van Goghs Ohr und an Gauguins Gemälde braungebrannt-halbnackter Naturschönheiten von Tahiti. Aber wieviel davon war originär, wieviel europäisch verklärt oder gestellt? Und welcher Lebensweg führte den französischen Maler ans andere Ende der Welt? Antworten darauf versucht der faszinierende Dokumentationsfilm „Gauguin – Ich bin ein Wilder“ zu geben, der nun fürs Heimkino erschienen ist.
Ausnahmekünstler, Luftikus, Bankier
Regisseurin Marie-Christine Coutès entwirft darin das Bild eines zutiefst widersprüchlichen Menschen: Eines Bankiers, Hasardeurs und genialen Malers. Eines Mannes, der seine Familie aufgibt, um sich in bitterster Armut seiner Kunst widmen zu können. Der im nächsten Augenblick wie ein Luftikus alles Geld auf den Kopf haut, das er in die Hände bekommt. Der es genießt, von Schülern und Bewunderern umgeben zu sein, um sich dann wieder in die Einsamkeit zu flüchten.
Einflüsse aus Volkskunst Perus und der Bretagne verarbeitet
Parallel dazu schildert Coutès den künstlerischen Werdegang Gauguins: Der lernte sein malerisches Handwerk zunächst beim Impressionisten Camille Pissarro (18.30-1903), wandte sich dann aber der vereinfachenden Alltagsmalerei und dem Sakralschmuck in der Bretagne zu. Auch beeinflusste die vorkolumbianische Kultur Perus, wo er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hatte, zeitlebens sein Schaffen, ebenso wie altägyptische Grabmalereien. Die WG gemeinsam mit Vincent van Gogh in Arles blieb eine heftige, kurze Episode – zu unterschiedlich in Stil und Lebenssicht waren die beiden begnadeten Künstler. Geblieben ist für die Nachwelt vor allem die skurrile Reaktion van Goghs, der sich nach dem letzten Streit mit Gauguin ein Ohr abschnitt.
Untergegangenes Paradies nachinszeniert
Nach dem Tod des Holländers versuchte der Franzose, dessen Idee zu verwirklichen, ein Atelier in den Tropen zu etablieren, „fern aller Zivilisation“. Als Gauguin 1891 in Tahiti eintraf, erwies sich das in der romantisierenden Vorstellung „unberührte Naturparadies“ als kolonialisiert, die Franzosen hatten den Eingeboren längst ihre Kultur und Zivilisation übergestülpt. Und so inszenierte Gauguin das Paradies, das er sich erträumt hatte, in seinen Bildern. Er heiratete sogar eine 13-jährige Tahitanierin, ließ das Mädchen später aber sitzen, als es ihn zurück nach Paris zog. Doch auch in Europa hielt es ihn nicht mehr lange: Nach einer Schlägerei kehrte er – inzwischen mit der Syphilis infiziert – nach Polynesien zurück, schlug diesmal aber sein Quartier auf der Insel Hiva Oa. Dort starb er, morphium-abhängig und vereinsamt, in seiner Hütte am 8. Mai 1903.
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Fazit: Fesselnd und unterhaltend
Diese fesselnde Biografie zeichnet Coutès in Gemälden, Briefen und Archivalien von und über Gauguin nach. Dabei setzt sie faszinierende Animationstechniken ein, die die filmisch nicht überlieferte Alltagswelt und Imagination dieses genialen Künstlers an der Schwelle zwischen Impressionismus und Expressionismus wieder zum Leben erwecken. Und sie weist auch auf offene Fragen und Widersprüche in Gauguins Leben hin, statt sie auszublenden. Gelungen ist ihr damit eine faszinierende Doku, die nicht nur kunsthistorisch Interessierte in ihren Bann schlägt.
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Filmdaten
- Titel: „Gauguin – Ich bin ein Wilder“
- Regie: Marie-Christine Coutès
- Darsteller: Vincent Cassel als Gauguin
- Genre: Dokumentation
- Produktionsort und -jahr: Frankreich 2017
- DVD-Erscheinungsdatum: 23. März 2018 als „Arte Edition“ bei Absolut Medien
- Laufzeit: 52 Minuten
- Preis: zehn Euro
Autor der Rezension: Heiko Weckbrodt
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