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3D-Fabriken vom Meeresgrund

Perlmutt-Anordnung in der Muschel „Unio pictorum“ unter dem Elektronenmikroskop. Um die Strukturen sichtbar zu machen, haben die Forscher die sogenannte Elektronenrückstreubeugung – englisch EBSD abgekürzt – verwendet, bei der Kristalle durch die Streuung von Elektronenstrahlen analysiert werden. Abb.: B-Cube, Zlotnikov

Stabil und doch so schön: Der Physiker Igor Zlotnikov und sein Team wollen im B-Cube Dresden von Muscheln und Schwämmen lernen

Dresden, 30. Januar 2018. Biologie, Mathematik und Schönheit liegen in der Natur oft nahe beieinander. Darauf hatte schon vor 100 Jahren der britische Forscher D’Arcy Wentworth Thompson in seinem Standardwerk „Über Wachstum und Form“ hingewiesen – und ist damit immer wieder zitiert worden. „Auch für unsere Gruppe war dieses Buch eine große Inspiration“, sagt Dr. Igor Zlotnikov, der im Biotechologie-Zentrum „Center for Molecular Bioengineering“ (B- Cube) der TU Dresden die Forschungsgruppe „Mehrskalige Analyse: Thermodynamische und nanomechanische Aspekte der Genese und Funktion von biomineralisiertem Gewebe“ leitet. Hinter dem langen und kompliziert klingenden Gruppennamen steht letztlich eine Idee: Die Konstruktionstechnologien von Muscheln, Schwämmen und anderen Meeresbewohnern, die selbst härtesten Umweltbedingungen in den Ozeanen standhalten, für den Menschen nutzbar zu machen.

Dr. Igor Zlotnikov leitet im B-Cube die Gruppe für "Mehrskalige Analyse: Thermodynamische und nanomechanische Aspekte der Genese und Funktion von biomineralisiertem Gewebe". Foto: B-Cube

Dr. Igor Zlotnikov leitet im B-Cube die Gruppe für „Mehrskalige Analyse: Thermodynamische und nanomechanische Aspekte der Genese und Funktion von biomineralisiertem Gewebe“. Foto: B-Cube

Unterm Mikroskop löst sich Schönheit in 3D-Strukturen auf

„Muscheln sind oft wunderschön anzusehen“, sagt Dr. Igor Zlotnikov, der als Hobby eine kleine, aber exquisite Muschelsammlung aufgebaut hat. „Unter dem Mikroskop löst sich diese Schönheit in besonderen dreidimensionalen Strukturen auf.“ Dann sehen die Forscher zum Beispiel sehr kleine Säulen, Platten oder andere Formen aus Kalziumkarbonat. Ähnlich ist es mit maritimen Schwämmen: Genauer betrachtet, sind dort winzige Glaselemente symmetrisch angeordnet. „Mit unseren derzeitigen Technologien würden wir Prozesse um die 1000 Grad brauchen, um solche Symmetrien zu erzeugen“, sagt Zlotnikov. Schwämme schaffen dies in der kühlen See.

Innere Struktur des Schneckenhauses der "Haliotis asinine".

Innere Struktur des Schneckenhauses der „Haliotis asinine“.

Die Muschel „baut“ nicht, sondern bereitet nur die Baustelle vor

Wie gelingt es aber biologischen Systemen, sehr feste, steife, zähe und oft auch einfach schöne Materialien zu erzeugen? Eine erste Antwort ist: Sie mineralisieren auf eine ganz bestimmte Art und Weise biologische Gewebe. Dabei spielen offensichtlich Grenzflächen eine große Rolle. „Wir sind mittlerweile überzeugt, dass die Organismen die ,Produktion’ dieser Bauelemente und Strukturen nicht direkt steuern“, erklärt der Forscher. „Vielmehr sorgen sie für eine Umgebung mit geeigneten chemischen und physikalischen Eigenschaften, in denen die 3D-Strukturen von selbst entstehen.“

3D-tomographische Rekonstruction einer kugelförmigen Strukturen im Schwamm "Geodia cydonium". Abb.: B-Cube, Zlotnikov

3D-tomographische Rekonstruction einer kugelförmigen Strukturen im Schwamm „Geodia cydonium“. Abb.: B-Cube, Zlotnikov

Meeresbewohner konstruieren ohne Öfen, Pressen oder Fräsen

Wenn es gelänge, diese Natur-Technologien zu verstehen, reproduzieren und zu verbessern, könnten Ingenieure in Zukunft neuartige Werkstoffe mit ganz besonderen mechanischen, optischen und elektronischen Eigenschaften designen. „Und dies noch dazu sehr billig, weil diese Prozesse selbstorganisiert ablaufen“, betont der Gruppenleiter. Anders ausgedrückt: Um etwas aus diesen Supermaterialien herzustellen, würde der Mensch dann keine Öfen, Pressen oder Fräsen mehr brauchen.

Von Kiew über Haifa und Potsdam nach Dresden

Mit der Idee, biologische Strukturen für menschliche Technologien nutzbar zu machen, beschäftigt sich Zlotnikov schon lange. 1980 in Kiew geboren, studierte er in Haifa in Israel ab 1998 Materialwissenschaft und Physik, um sich dann nach und nach immer mehr auf biologisch inspirierte Materialien zu spezialisieren. 2009 holte der österreichische Physiker Peter Fratzl den Nachwuchswissenschaftler nach Potsdam ans Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung. „Ich wurde dort zum Experten für Nanomechanik“, erzählt Zlotnikov.

Bundesmillionen lockten

Als das Bundesforschungsministerium Mitte 2016 mit fünf Millionen Euro Förderung in Sachsen lockte, wechselte er nach Dresden – und baute hier eine Junior-Forschungsgruppe auf. Eng arbeite das Team auch mit anderen Forschungsinstituten am Standort zusammen, betont Zlotnikov: „Wir haben zum Beispiel gute Kontakte zum Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik und zum Botanischen Garten der TU Dresden.“

„Ein Gruppenleiter ist nur so gut wie sein Team“

Und sehr gut sei auch die Arbeitsatmosphäre im B-Cube selbst, sagt er. Acht Frauen und Männer umfasse die Gruppe inzwischen: Physiker, Materialwissenschaftler, Mechanik-Experten, Prozess-Analytiker und andere. „Hierarchien spielen da keine Rolle, betont der Forscher. „Denn ein Gruppenleiter ist nur so gut wie sein Team.“

Autor: Heiko Weckbrodt

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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