Ausflugstipp, zAufi
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Die Glaskünstler von Haida

Im Stil der Art Deco der 1920er Jahre ist diese Vase aus Haida gestaltet.

Oigers Wochenendtipp: Ins Böhmische zur Felsenburg

Novy Bor, 23. Juni 2017. Ausflüge ins benachbarte Böhmen brachten uns stets bemerkenswerte Entdeckungen: Im Vorjahr lernten wir die idyllisch gelegenen Balzhütten (na Tokani) kennen, im Frühjahr 2017 entdeckten wir im Rabstein eine im Dritten Reich angelegte unterirdische Flugzeugfabrik. Unsere dritte Entdeckungsfahrt führt uns etwas weiter ins Böhmische hinein, nach Novy Bor – geografisch gesehen bis zum Übergang vom Lausitzer Gebirge ins Böhmische Mittelgebirge.

Die Suche nach dem ausbleibenden Postboten beschäftigt diese Replik eines Eremiten.

Kaum einnehmbare Feste

Schon die Fahrt von Hrensko über Cesky Kamenice (Böhmisch Kamnitz) nach Novy Bor erweist sich als außerordentlich reizvoll. Wir machen in der Glasmacherstadt Novy Bor nicht Halt, sondern fahren durch bis nach Sloup v Cechach. Unser Ziel ist die Einsiedlerburg Sloup. (deutsch: Bürgstein oder auch Einsiedlerstein). Es ist die bedeutendste Felsenburg in Nordböhmen. Sie wurde vermutlich im 13. Jahrhundert auf einem alleinstehenden Sandsteinfelsen gebaut, welcher sich etwa 40 Meter über den Talboden erhebt.

Von den Rundwegen ergeben sich schöne Ausblicke auf das Böhmische Mittelgebirge

Sie gelangte ab dem 14. Jahrhundert in den Besitz der Herren Berka von Duba. Diese Herren sind uns heimatgeschichtlich schon als Besitzer der Herrschaft Hohnstein mit der gesamten Sächsischen Schweiz keine Unbekannten. Wie einfach die Burg sich mit wenigen Leuten verteidigen ließ, wird uns klar, wenn wir sie über deren einzigen Zugang, die durch den Felsen gehauene Rittertreppe, besteigen. Andererseits besaß die Burg einen Brunnen und auch Zisternen, so dass eine Fehde sich hier gut aussitzen ließ.

Auf dem Gipfelplateau wurde auch eine Kapelle errichtet.

Von den Schweden in Brand geschossen

Seit 1596 war die Burg unbewohnt, im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden 1639 in Brand geschossen. Ab 1690 zogen die ersten Eremiten ein, und sie blieben, es war ein angenehmes Plätzchen. Sie höhlten den Felsen wie einen Schweizer Käse fleißig aus, schufen sich Alles, was ein Eremit so braucht. Dazu gehörten auch eine Kapelle sowie eine Felsenkirche, in der heute Trauungen und Hochzeiten stattfinden. Da wir uns an der Kasse für 10 Kronen mit einem deutsprachigen Informationsdoppelblatt versorgt haben, können wir uns ordentlich über den einstigen Sinn und Zweck der vielen Höhlen und Gänge ins Bild setzen. Von der Aussichtsterrasse haben wir schöne Ausblicke in die Umgebung, die lebensgroße Replik eines Eremiten mit Fernrohr macht uns klar, da lauerten einst auch Gefahren gleich hinterm nächsten Busch. Die Felsenhöhlen wurden bis etwa 1785 deutlich erweitert, dann hob Kaiser Josef II. die Einsiedelei auf. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts ist sie öffentlich.

Ausschließlich über diese leicht zu verteidigende, durch den sandstein gehauene Rittertreppe war diie Felsenburg erreichbar.

Spitzenerzeugnisse der Glasmacherkunst kamen aus Haida

Wir haben noch reichlich Zeit zur Verfügung, die wollen wir zum Besuch des Glasmuseums in Novy Bor nutzen – das lohnt unbedingt! Novy Bor – bis 1945 als Haida durch seine Spitzenerzeugnisse der Glasmacherkunst in einer Liga mit der Firma Moser in Karlsbad weltweit agierend – ist (wieder) ein bekanntes Zentrum dieses Industrie- und Kunstzweiges. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der Eröffnung des großen Glaskombinates Crystalex, das inzwischen einen Namen hat, gibt es im sehr schön gestalteten Museumskeller eine Sonderausstellung mit den aktuellen Erzeugnissen von Crystalex.

Unser Interesse gilt allerdings eher den Fragen, wie es zu Spitzenerzeugnissen der Glaskunst kommt, was im alten Haida geschaffen wurde und was davon in unsere Zeit gerettet werden konnte. Da werden wir angenehm überrascht. Da fehlt tatsächlich nichts! Wir bewundern graviertes Glas und Beizglas im Stil des Biedermeiers (1815-1845), erfahren auch, welche Technologien dazu auf der Glasfachschule Haida seit 1869 den Lehrlingen vermittelt wurden. Bewundernswert: gemaltes und geätztes Glas aus der kurzen aber außerordentlich intensiven Epoche des Jugendstils (1890-1910). Selbst aus dem Barock und dem Rokoko (1700- 1845) sehen wir Gläser und Pokale.

Haida war der Wirkungsort des deutsch-böhmischen Glasmalers, Glastechnologen und Unternehmers Friedrich Egermann (1777-1864). Er erfand unter anderen das Achatglas, Perlmut- und Biskuit-Emaille, die gelbe und die rote Glasur, die Haida zur Weltgeltung verhalfen.

Jugendstil-Vasen Stil der Kollejktion „Phänomen“ aus dem Jahr 1910 sind begehrte antike Objekte des Kunsthandels. Foto: Peter Weckbrodt

Benesch machte Glasindustrie den Garaus

Außerordentlich tragisch wirkten sich die nach 1945 erlassenen Benesch-Dekrete auf die Glasindustrie Nordböhmens, also auch in Haida, aus. Sie wurde praktisch ihrer Köpfe beraubt, quasi enthauptet. Die Sonderausstellung verschweigt diesen Aspekt nicht.

An der Kasse haben wir Gelegenheit, recht preisgünstig richtig schöne Haidaer Glaskunst-Erzeugnisse zu erwerben.

Wer noch Zeit und Lust hat, besuche die den Marktplatz dominierende, in Sichtweite vom Glasmuseum befindliche Kirche Maria Himmelfahrt. In der Kirche gefallen besonders die sechs Glas- und Kristallleuchter aus der heimischen Glasindustrie sowie die farbigen Glasfenster mit figuralen Motiven.

Autor: Peter Weckbrodt

Besucherinformationen

Felsenburg Sloup, 41152 Sloup v Cechach, Öffnungszeit: Juni-August tgl. 9- 17 Uhr; Mai und September Di-So. montags geschlossen; Eintritt: Normal 70 Kronen, Erm. 40 Kronen, Familien 175 Kronen. http://www.hradsloup.cz/

Glasgewerbemuseum Novy Bor, Namesti Miru, 47301 Novy Bor; Öffnungszeiten: Di bis So 9-17 Uhr; Eintritt: Normal 70 Kronen, Erm. 20 Kronen, Familien 100 Kronen.

http://www.severnicechy.info/dr-de/1052-glasgewerbemuseum-novy-bor.html

Glasshop: http://www.crystalex.cz/

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Ausflugstipp, zAufi

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[caption id="attachment_67607" align="alignleft" width="117"]Peter Weckbrodt. Foto: IW Peter Weckbrodt. Foto: IW[/caption] Peter Weckbrodt hat ursprünglich Verkehrswissenschaften studiert, wohnt in Dresden und ist seit dem Rentenantritt journalistisch als freier Mitarbeiter für den Oiger und die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig.

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