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Wie Dresden in der Diktatur versank

Manja Preissler demonstriert am Sonderarbeitsplatz in der SLUB Dresden, wie man in der digitalisierten NS-Zeitung "Der Freiheitskampf" recherchieren kann. Foto. Heiko Weckbrodt

Manja Preissler demonstriert am Sonderarbeitsplatz in der SLUB Dresden, wie man in der digitalisierten NS-Zeitung „Der Freiheitskampf“ recherchieren kann. Foto. Heiko Weckbrodt

Hannah-Arendt-Institut und SLUB haben Dresdner Nazi-Zeitung „Freiheitskampf“ für Forschung digitalisiert

Dresden, 30. Januar 2017. Wie Dresden Schritt für Schritt, Tag für Tag in der Diktatur versank, wie aus Mitmenschen Untermenschen und aus Demokraten Volksverräter wurden, das verdeutlichen die Tagebücher von Victor Klemperer – und nun auch ein jüngst digitalisiertes Zeugnis sächsischer Geschichte: In achtjähriger Arbeit haben Dresdner Forscher und Bibliothekare die Nazi-Zeitung „Der Freiheitskampf“, die vom August 1930 bis zum letzten Kriegstag in Dresden erschien, erschlossen und digitalisiert. Nun können Historiker wie Laien den 67.506 Zeitungsseiten umfassenden Bestand elektronisch in der Sächsischen Landes- und Uni-Bibliothek SLUB am Zelleschen Weg durchsuchen – und beispielsweise die Täter- und die Opferperspektive auf den NS-Alltag in der Stadt vergleichen.

Die NS-Zeitung "Der Freiheitszeitung" wurde vom August 1930 bis zum 8. Mai 1945 von verschiedenen NSDAP-Vertretern in Dresden herausgegeben. Repro: hw

Die NS-Zeitung „Der Freiheitszeitung“ wurde vom August 1930 bis zum 8. Mai 1945 von verschiedenen NSDAP-Vertretern in Dresden herausgegeben. Repro: hw

Dies könne ganz neue, lokale Sichtweisen auf die nationalsozialistische Terrorherrschaft im konkreten Detail eröffnen, betonte Dr. Thomas Widera vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) an der TU Dresden. Initiiert hatte er das Projekt im Jahr 2009, weil „Der Freiheitskampf“ Informationen über den NS-Alltag enthält, die durch andere Quellen kaum beleuchtet werden. Interessant ist es beispielsweise, die analytische Tagebuch-Perspektive des jüdischen Romanisten Victor Klemperers mit der zeitgleichen Berichterstattung in der Nazi-Zeitung – auf die Klemperer in seinem Tagebuch teils Bezug nahm – in Beziehung zu setzen. Und angesichts der Fülle an familiären und beruflichen Daten, die über Nazi-Größen im „Freiheitskampf“ abgedruckt wurden, sind auch neue biografische Untersuchungen denkbar.

Dr. Thomas Widera vom HAIT mit einer Originalausgabe vom "Freiheitskampf". Foto. Heiko Weckbrodt

Dr. Thomas Widera vom HAIT mit einer Originalausgabe vom „Freiheitskampf“. Foto. Heiko Weckbrodt

Indes ist die Zeitung nicht nur für Wissenschaftler hochinteressant: „Auch als Anschauungsmaterial für den Schulunterricht kann ich mir das sehr gut vorstellen“, meint SLUB-Experte Martin Munke: Für junge Menschen sei es gewiss besonders faszinierend zu sehen, wie sich eine ganze Gesellschaft in eine Diktatur verwandelt habe – und dies nicht irgendwo, sondern hier, in Dresden.

Nazi-Zeitung nicht frei im Internet zugänglich

Anders als viele andere Digitalisate wird „Der Freiheitskampf“ jedoch nicht frei im Internet stehen: Zu groß ist die Furcht, dass Neonazis die alte NS-Propaganda breit streuen könnten. Daher wird nur das Findbuch auf der SLUB-Netzseite stehen. Die eingescannten Zeitungsseiten selbst sind nur an einem passwort-geschützten Sonderarbeitsplatz innerhalb der Bibliothek einsehbar. Zudem haben die Bibliothekare noch keinen Weg gefunden, die alte Frakturschrift zuverlässig automatisiert in computerlesbare Texte zu verwandeln. Sprich: Eine Volltextsuche durch alle Zeitungsausgaben ist bisher nicht möglich. Die Such-Schlagworte nach Personen und Themen wurden daher mühsam und „von Hand“ durch HAIT-Mitarbeiter zu den als Bilddateien abgelegten Zeitungsseiten-Scans erstellt.

Das Projekt „Der Freiheitskampf“ ist Teil eines deutschlandweiten Vorhabens: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) will historische deutsche Zeitungen massenhaft einscannen lassen und sie dadurch für Forschung und Bildung leichter zugänglich machen. Daran beteiligen sich führende deutsche Digitalisierungszentren, darunter auch die SLUB. Die hat inzwischen bereits einige Dresdner und Leipziger Zeitungen gescannt und ins Internet gestellt. Weitere alte Regionalzeitungen sollen demnächst folgen.

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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