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Rasen rollende Solarien bald durch die Stadt?

Johann Jungwirth ist im Volkswagen-Kontern der Chefstratege für Digitalisierung. Foto. Heiko Weckbrodt

Johann Jungwirth ist im Volkswagen-Kontern der Chefstratege für Digitalisierung. Foto: Heiko Weckbrodt

VW-Digitalstratege Jungwirth: Roboterautos geben uns Lebenszeit und urbanen Raum zurück

Dresden, 26. August 2016. In etwa drei bis fünf Jahren werden die ersten selbstfahrenden Autos auf den Straßen unterwegs sein. Und sie werden eine technologische und wirtschaftliche Revolution auslösen. Diese Prognose hat der Volkswagen-Chefstratege für Digitalisierung, Johann Jungwirth, bei einem Besuch in Dresden abgegeben. Der ehemalige Apple-Entwickler leitet im Volkswagen-Konzern den im vergangenen Jahr neugeschaffenen Fachbereich „Digitalisierungsstrategie“. Der Besuch in Sachsen dürfte nicht ganz zufällig sein: Hiesige Forscher und Wirtschaftsförderer feilen derzeit daran, Dresden zu einem der Pionier-Standorte für autonomes Fahren zu machen.

Googles "Self-Driving Car" (auch Roboterauto genannt). Foto: Google

Googles „Self-Driving Car“ (auch Roboterauto genannt) ist ein Beispiel für ganz neue Fahrzeugkonzepte bis hin zum automatisch fahrenden Ein-Mann-Pod. Foto: Google

Ganz neue Fahrzeug-Konzepte möglich

„Diese selbstfahrenden Systeme werden sich als eine der ganz großen Kernerfindungen der Menschheitsgeschichte erweisen, ähnlich wie die Dampfmaschine oder der Computer“, prophezeite der 43-jährige Technologie-Guru, der sich selbst gern als „JJ“ vorstellt. Denn „Self Driving Systems“ (SDS), wie diese Roboterauto-Technologie auch genannt wird, sollen das Fahren nicht nur bequemer machen. Sie werden auch völlig neue Arten von Fahrzeugen auf die Straße zaubern, ist VW-JJ überzeugt: Ein-Mann-Miniautos ebenso wie auch Solarien auf Rädern oder vollelektrisch durch die Städte düsende Büros, in denen die Passagiere die Fahrzeit für Konferenzen, Arbeit oder Erholung nutzen. „Der heutige Mensch verbringt in seinem Leben im Schnitt 38.000 Stunden fahrend im Auto“, sagte Jungwirth. Diese Lebenszeit könne jeder besser nutzen, wenn erst der Computer das Steuer übernommen habe. Auch sollen SDS-Autos die Mobilität von Behinderten und Senioren erhöhen, da sie automatisch zu jedem beliebigen Ort per Smartphone bestellbar sein sollen.

Auch Blinde, Senioren und andere Menschen, die bisher auf fremde Hilfe angewiesen waren, um von A nach B zu kommen, könnten durch Roboterautos wieder mobil werden, ist JJ überzeugt. Foto: Heiko Weckbrodt

Auch Blinde, Senioren und andere Menschen, die bisher auf fremde Hilfe angewiesen waren, um von A nach B zu kommen, könnten durch Roboterautos wieder mobil werden, ist JJ überzeugt. Foto: Heiko Weckbrodt

Extremes Car-Sharing möglich – kaum noch Bedarf für Parkhäuser

Zudem dürfte die neue Technologie für mehr Platz und für deutlich weniger Autos in den Städten sorgen, meint der VW-Stratege: Heutige Autos stehen nämlich 96 Prozent ihrer „Lebenszeit“ irgendwo geparkt und der Flächenbedarf für all die dafür benötigten Parkplätze und Parkhäuser ist enorm. Wenn sich künftige Roboterautos aber auf Befehl selbstständig zu jedem beliebigen Ziel bewegen können, eröffnet dies auch neue Möglichkeiten, Autos zu teilen: Nutzer A beispielsweise fährt damit von daheim zum Büro. Von dort aus navigiert das Roboterauto dann zu Nutzer B, der in eine Einkaufsfahrt zu erledigen hat. Hat B das Auto wieder abgestellt, fährt es selbstständig wieder zurück vom Büro von A, damit der rechtzeitig wieder zum Dienstschluss einsteigen kann. Durch solche erweiterten „Car Sharing“-Konzepte würden Autos weit besser ausgenutzt als heute, unterm Strich brauchen diese „geteilten“ Flotten dann auch weit weniger Parkplätze, so die Vision.

Simulation: Verkehrsbelastung in Städten würde auf 1/7  schrumpfen

Da dies im Umkehrschluss auch die Auto-Nachfrage dämpfen könnte, hat VW vorsichtshalber am Beispiel Berlins schon mal simulieren lassen, welche Auswirkungen es hätte, wenn eine ganze Innenstadt auf SDS-Autos umgestellt werden würde, erzählt Digitalstratege Jungwirth. Ergebnis: Innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings wäre dann nur noch ein Siebtel der Verkehrsströme von heute unterwegs. Aber: Weil diese Fahrzeuge dann viel intensiver genutzt würden als heutige Autos, wären sie bereits nach ein bis zwei Jahren so abgenutzt, dass sie ersetzt werden müssen. „Unterm Strich wäre das für die Automobil-Industrie also kein Problem“, betont JJ.. Der Nutzen für Mensch und Umwelt wäre aber enorm.

Bis dahin sind allerdings noch zahlreiche Probleme zu lösen – verkehrsrechtliche, vor allem aber auch technologische. Heutige Fahrerassistenz-Systeme sind bereits durchaus im Stande, auf Autobahnen Spuren zu wechseln, zu überholen oder auch automatisch einzuparken. Aber die Komplexität des Stadtverkehrs bekommen bisher nur menschliche Fahrer in den Griff – und dies auch nur unvollkommen, wie die Unfallstatistiken zeigen.

VW hat die Phaeton-Produktion in der Gläsernen Manufaktur Dresden gestoppt. Derzeit stellt das Unternehmen dort Visionen für eine elektromobile Zukunft aus. Ab 2017 will der Konzern wieder produzieren. Doch die Frage ist: Was?. Foto: Heiko Weckbrodt

VW hat die Phaeton-Produktion in der Gläsernen Manufaktur Dresden gestoppt. Derzeit stellt das Unternehmen dort Visionen für eine elektromobile Zukunft aus. Ab 2017 will der Konzern wieder produzieren. Doch die Frage ist: Was?. Foto: Heiko Weckbrodt

Superschneller Datenfunk und mobile Supercomputer benötigt

Daher werden die Konstrukteure echter SDS-Autos zum Beispiel superschnelle Datenfunk-Verbindungen benötigen, damit sich solche Roboterfahrzeuge untereinander abstimmen können, um Unfälle zu vermeiden. Auch werden diese Autos der Zukunft enorm viel „Künstliche Intelligenz“ (KI) auf kleinstem Raum an Bord brauchen, um Kameras, Laser-Sensoren und Radar-Augen auszuwerten, richtige Fahr-Entscheidungen zu treffen und Gefahren binnen Mikrosekunden zu erkennen. Etwa 20 bis 30 Mal soviel Rechenkraft wie heutige Oberklasse-Wagen werde solch ein Auto benötigen, schätzt Jungwirth. Sein Kollege, der Volkswagen-Forschungsleiter Jürgen Leohold, geht davon aus, dass jedes Roboterauto einen Computer der Teraflop-Klasse brauchen wird. Ein Problem dabei: Diese Rechner sind derzeit noch zu groß und zu stromhungrig, um in Autos verbaut zu werden.

Keine Hand mehr am Steuer: Mit der neuen Autopilot-Funktion soll der Elektro-Sportwagen die meisten Manöver ohne Zutun des Fahrers erledigen können. Abb.: Tesla

Keine Hand mehr am Steuer: Mit der neuen Autopilot-Funktion soll der Elektro-Sportwagen die meisten Manöver ohne Zutun des Fahrers erledigen können.
Abb.: Tesla

Dresdner Forscher wollen Teststrecke für autonomes Fahren

Und hier kommen die Dresdner ins Spiel: Zwar erwarten Branchenkenner, dass sich SDS-Autos wohl zuerst in Kalifornien durchsetzen werden, wo Pioniere wie Google und Tesla zu Hause sind. Aber auch die Dresdner rechnen sich gute Chancen aus, ein Vorreiter-Standort für autonomes Fahren in Europa zu werden. „Für die SDS-Technologie hat Dresden gute Voraussetzungen“, ist der städtische Wirtschaftsförderungs-Chef Robert Franke überzeugt: „Sensorik, Software, Elektronik und Mobilfunktechnik sind hier stark vertreten.“ So gibt es in Dresden mit dem „5G Lab Germany“ an der TU eine international führende Forschungs-Einrichtung für den sehr reaktionsschnellen Mobilfunk der 5. Generation. Außerdem zählen Verkehrstechnologien traditionell zu den Stärken der Dresdner Hochschulen.

Video: Verkehrssteuerung per 5G im Modell:
 

Daher hat sich die sächsische Landeshauptstadt inzwischen um Fördergeld aus einem Programm des Bundesverkehrsministeriums beworben, das Pilotstrecken für hochautomatisiertes Fahren in Deutschland etablieren soll. Erst im Oktober möchte Franke mehr dazu sagen. Welch Zufall: Etwa zur gleichen Zeit will Volkswagen endlich verraten, wie es mit der Gläsernen VW-Manufaktur am Straßburger Platz weitergeht, die seit dem Phaeton-Aus nicht mehr produziert. Autor: Heiko Weckbrodt

Auch das Fraunhofer-Institut IVI Dresden
arbeitet an Konzepten für autonomes Fahren:
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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