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Die Kauffrau Nicole Kossack betreut im Callcenter von DV-Com Dresden die Kunden eines großen Telekommunikations-Unternehmens. Sie ist froh, dass die Firma ihre Arbeitszeiten darauf abstimmt, dass sie nicht nur Mitarbeiterin, sondern auch Mutter ist. Foto: Heiko Weckbrodt

Die Kauffrau Nicole Kossack betreut im Callcenter von DV-Com Dresden die Kunden eines großen Telekommunikations-Unternehmens. Sie ist froh, dass die Firma ihre Arbeitszeiten darauf abstimmt, dass sie nicht nur Mitarbeiterin, sondern auch Mutter ist. Foto: Heiko Weckbrodt

Der umstrittene Outsourcing-Trend in der Wirtschaft lässt Callcenter wie DV-Com Dresden zu Komplexdienstleistern wachsen

Dresden, 22. August 2016. Die Dresdner Niederlassung des Callcenters und Unternehmens-Dienstleisters „DV Com“ ist in den vergangenen 25 Jahren in die Riege der 40 größten privaten Arbeitgeber in der sächsischen Landeshauptstadt aufgestiegen: Seit die Pforzheimer Unternehmer Dieter und Edith Gretzschel ihre Dresdner Dependance im August 1991 mit zunächst zehn Mitarbeitern gründeten, ist die Belegschaft auf 420 Beschäftigte gewachsen. verantwortlich für das Wachstum ist vor allem der „Outsourcing“-Trend in der Wirtschaft.

Wachstumsbremse: Kaum noch neue Mitarbeiter zu finden

„Wir würden in Dresden gern auch weiter wachsen, auf 500 oder vielleicht sogar 700 Leute – wenn wir hier nur genug neue Mitarbeiter bekommen würden“, sagte Frank Schleicher, einer der drei Geschäftsführer der Pforzheimer Muttergesellschaft. Und eben dies hat sich zum Wachstums-Hemmnis Nummer 1 für DV-Com Dresden erwiesen. Denn Callcenter-Arbeit gilt als stressig und schlecht entlohnt, Rekruten sind rar. „Seit alle Mindestlohn bezahlen müssen, sind andere Jobs attraktiver für viele Arbeitssuchende geworden“, weiß Schleicher.

DV-Com-Geschäftsführer Frank Schleicher freut sich über die IHK-Urkunde zum 25. Betriebsjubiläum der Dresdner DV-COM-Niederlassung. Foto: Heiko Weckbrodt

DV-Com-Geschäftsführer Frank Schleicher freut sich über die IHK-Urkunde zum 25. Betriebsjubiläum der Dresdner DV-COM-Niederlassung. Foto: Heiko Weckbrodt

Doch die Klischees über Callcenter seien überholt: Die Auftragsarbeiten für die Kunden werden immer anspruchsvoller, die Gratifikationen besser. Entsprechend sucht DV-Com zunehmend Spezialisten statt nur Ungelernte und versüßt denen das Fixum mit Prämien und mit „weichen“ Gratifikationen wie Essensgeld, Job-Ticket und dergleichen mehr.

Torten zeigen die Planerfüllung

Die Arbeit in dem Callcenter an der Bertolt-Brecht-Allee in Striesen hat ein ganz eigenes Flair: Die Großraumbüros sind in orange, beige oder rote Boxen unterteilt, in denen Dutzende Frauen und Männer in die Headset-Mikros murmeln: „Ja, das ist international…“ „Sie wollen also wechseln, verstehe ich Sie da richtig?“ „Kein Problem, nehmen Sie sich Zeit…“ „Drücken Sie jetzt bitte mit dem spitzen Ende einer Büroklammer auf Reset…“ Das unaufhörliche Geraune erfüllt den ganzen Raum, während verchromte Deckenventilatoren lässig die Luft umwälzen. Ein großer Monitor zeigt in Ziffern und Tortengrafiken genau an, wie das Team im Plan liegt, ob Service-Gespräche über die mit dem Auftraggeber vereinbarte Zeit hinausgehen, wie lange die Anrufer in der Warteschleife hängen.

Täglich fast 30.000 Anrufe

Rund 29.000 Anrufe nehmen die Mitarbeiter in dem großen Neubaukomplex an der Bertolt-Brecht-Allee Tag für Tag entgegen – von Oma Müller, die mit ihren Enkeln zu skypen versucht, bis hin zum Kunden des Handy-Unternehmen, das sein Beschwerde-Management an den Dresdner Dienstleistungsbetrieb ausgegliedert (auf Neusprech: “Outsourcing“) hat.

Arbeit im Großraumbüro skeptisch gesehen

„Anfangs war ich auch sehr skeptisch und konnte mir kaum vorstellen, dass man sich in so einem Großraumbüro mit all den Stimmen konzentrieren kann. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran“, erzählt Nicole Kossack. Die Bürokauffrau hat vor zehn Jahren bei DV-Com angefangen und will gar nicht mehr weg. Was ihr besonders gefällt: Die Firma nimmt Rücksicht darauf, dass die 33-Jährige nicht nur Mitarbeiterin, sondern auch Mutter ist. „Dadurch werde ich zum Beispiel immer für die Frühschicht eingeteilt.“ Derzeit ist sie als Kundenbetreuerin im Auftrag eines großen Internet-Unternehmens tätig. „Die Arbeit ist abwechslungsreich“, findet sie. „Man hat Entwicklungs-Chancen, kann auch Leitungsaufgaben übernehmen.“

„Alles wird outgesourct, was irgendwie geht“

Und ob man nun Callcenter-Arbeit mag oder nicht: Dass die wirtschaftliche Rolle dieser Dienstleister wachsen wird, daran hat kaum ein Marktbeobachter Zweifel. Denn mehr und mehr Unternehmen gliedern Buchhaltung, Kundenservice und viele andere Betriebsteile aus. „Heutzutage wird von den Unternehmen alles outgesourct, was irgendwie geht, teilweise sogar Kernprozesse“, schätzt DV-Com-Chef Frank Schleicher ein.

Unternehmen delegieren immer mehr Prozesse nach außen

Was durch diesen Prozess woanders an Jobs verloren geht, schlägt sich in Wachstum in der Callcenter-Branche nieder. So beschäftigt die gesamte DV-Com-Gruppe mittlerweile rund 2000 Männer und Frauen, über ein Viertel davon in Dresden. Was mit Auftrags-Datenerfassung für allerlei Kundenfirmen begann, ist zu einem Komplex-Dienstleister gewachsen, der Kundenbetreuung, EDV-Service, Nothilfe-Telefondienste, Beschwerde-Management, ja selbst Facebook-Aktivitäten großer Telekommunikations-, Auto- und Handelsunternehmen abwickelt.

Robert Franke leitet das Amt für Wirtschaftsförderung Dresden. Foto: DMG, Frank Grätz

Robert Franke leitet das Amt für Wirtschaftsförderung Dresden. Foto: DMG, Frank Grätz

60.000 Jobs: Dienstleistungssektor wächst in Dresden

Und DV-Com ist da kein Einzelfall. „Die Bedeutung der Dienstleistungsbranche nimmt in Dresden zu“, schätzt Amtsleiter Robert Franke von der städtischen Wirtschaftsförderung ein. „Dieser Sektor profitiert dabei auch von der Stärke der Industrie hier am Standort.“ Umsatz und Jobs speziell in Callcentern habe seine Behörde zwar nicht erfasst. „Aber das Wachstum des gesamten Dienstleistungssektors ist deutlich. Inzwischen gehen wir von rund 60.000 Beschäftigten in etwa 7000 Unternehmen in Dresden aus.“

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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