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Die Ernestiner – Politik zielte auf Mitteleuropa

Eine Kunstkanmmer gehörte im Barock zur Pflicht jedes Herrscherhauses. Hier der Sündenfall, eine süddeutsche Arbeit von 1685 zu sehen. Foto: Peter Weckbrodt

Eine Kunstkanmmer gehörte im Barock zur Pflicht jedes Herrscherhauses. Hier der Sündenfall, eine süddeutsche Arbeit von 1685. Foto: Peter Weckbrodt

Teil 2: Dynastie und Glaube

Wittenberg/Torgau, 19. August 2016. Warum eigentlich war die sächsische Fürsten-Dynastie der Ernestiner so besonders? Eine Antwort finden wir bei einem Blick auf das typische Erscheinungsbild europäischer Dynastien: Für sie ist eine über Generationen reichende gemeinsame Identität und das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit charakteristisch. Durch die Übernahme von Regierungsbefugnissen sichert sich das Geschlecht einen hohen sozialen Status. Die Reglementierung von Heirat und Vererbung wird der gemeinsame Besitz kontrolliert an die Nachkommen weitergereicht. Es besteht eine Bindung an die Region. Der Machterhalt wird langfristig auch durch den Abschluss von Hausverträgen gesichert. Das Handeln der Dynastien ist generationsübergreifend angelegt und stellt individuelle Ansprüche zurück.

Erst spät auf Primogenitur-Recht gesetzt

Das war bei den Ernestinern ziemlich komplett anders und führte prompt in die Katastrophe: Im Erbgang aufgeteilte Gebiete fielen beim Ausbleiben männlicher Nachkommen an die bestehende Linie zurück und wurden auf diese umverteilt. Erst spät, erst Mitte des 18. Jahrhunderts, wurde die Primogenitur, das Erstgeborenenrecht, eingeführt. Sie beendete die zeitweilige Aufgliederung des Territoriums auf bis zu zehn Herrschaften.

Die Reichskrone (Nachbildung); Kurfürst Friedrich der Weise verzichtete auf eine Kandidatur auf den Kaisertitel. Foto: Peter Weckbrodt

Die Reichskrone (Nachbildung); Kurfürst Friedrich der Weise verzichtete auf eine Kandidatur auf den Kaisertitel. Foto: Peter Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Das Oiger-Special: Die Ernestiner wiederentdeckt

Hochzeitspolitik konzentrierte sich auf Mittel- und Nordeuropa

Die konfessionelle Spaltung im 16.Jahrhundert führte dazu, dass sich bei den Ernestinern die Wahl der Heirat lange Zeit auf die lutherischen Fürstentümer in Mittel- und Nordeuropa konzentrierte. Mit der Öffnung Russlands zum Westen kam im 18. Jahrhundert das Zarenreich hinzu.

Sonderausstellungen reflektieren dynastische Winkelzüge

Die im 19. Jahrhundert erfolgte europaweite Ausrichtung der Heiratspolitik der Ernestiner zur Sicherung der Dynastie im Gefüge der großen Mächte, beispielsweise England, ist daher ein besonderer Schwerpunkt der aktuellen Ernestiner-Sonderausstellungen in Gotha und Weimar. Ein weiterer Schwerpunkt sind die poltisch-konfessionellen Auseinandersetzungen in der Reformationszeit, ein Dritter die hohe kulturelle Dichte auf engstem Raum, die in der Zeit der Weimarer Klassik um 1800 ihren Höhepunkt erreicht.

Das 1641 erstmals erschienene "Ernestinische Bibelbuch" in einer Nürnberger Ausgabe von 1670. Foto: Peter Weckbrodt

Das 1641 erstmals erschienene „Ernestinische Bibelbuch“ in einer Nürnberger Ausgabe von 1670. Foto: Peter Weckbrodt

Ernestiner aus öffentlichem Bewusstsein verschwunden

Die Dynastie der Ernestiner prägte Thüringen, Deutschland und Europa. Heute ist das Fürstengeschlecht nahezu vergessen, es ist aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Die Prinzen von Sachsen-Weimar-Eisenach, die von Sachsen-Coburg und Gotha sowie die von Sachsen-Meiningen nehmen für sich in Anspruch, allein für das Haus Wettin zu sprechen, also die „Vaterlinie“ der Ernestiner und Albertiner.

Prachtentfaltung, wie hier beim Vorzimmer der der Herzogin in Schloß Friedensstein zu Gotha ersichtlich, war bei den Ernestinrern hoch angesetzt. Foto: Peter Weckbrodt

Prachtentfaltung, wie hier beim Vorzimmer der der Herzogin in Schloß Friedensstein zu Gotha ersichtlich, war bei den Ernestinrern hoch angesetzt. Foto: Peter Weckbrodt

Einst Brüder, dann Feinde

Das Fürstenhaus der Wettiner blickt auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurück. Während des hohen und späten Mittelalters stieg das Haus auf durch den Erwerb der Markgrafschaft Meißen, der Landgrafschaft Thüringen und des Herzogtums Sachsen-Wittenberg. So stiegen die Wettiner zu einem der führenden Geschlechter innerhalb des Reiches auf. Ganz entscheidend geschwächt wurde das Haus durch dessen Leipziger Teilung von 1485. Während Albrecht die Markgrafschaft Meißen mit dem Titel „Herzog von Sachsen“erhielt, bekam sein älterer Bruder Ernst die Landgrafschaft Thüringen und das wegen der Kurwürde so wichtige Herzogtum Sachsen-Wittenberg.

So entstanden die albertinische und die ernestinische Linie des Hauses Wettin. Sie gingen fortan getrennte Wege, standen sich beispielsweise im 30-jährigen Krieg als Feinde gegenüber.

Sozialfürsorge nach der Einführungder reformation in Weimar: In diesem Kasten wurden Almosen für die Bedürftigen aufgenommen. Foto: Peter Weckbrodt

Sozialfürsorge nach der Einführungder reformation in Weimar: In diesem Kasten wurden Almosen für die Bedürftigen aufgenommen. Foto: Peter Weckbrodt

Cranach war Hofmaler

Unter den Ernestinern wurden Wittenberg und Torgau zu glanzvollen Residenzen ausgebaut. Lucas Cranach der Ältere hielt als kursächsischer Hofmaler die Familie, die Festlichkeiten und Residenzen im Bild fest. Zeugnis von der Prachtentfaltung legte die im Vorjahr auf Schloss Hartenfels bei Torgau gezeigte Sonderausstellung „Luther und die Fürsten“.

Nur knapp dem Todesurteil entgangen

Der neue Glaube beziehungsweise die dadurch ausgelösten konfessionellen und politischen Auseinandersetzungen waren es, die schon bald dem ernestinischen Glanz ein Ende setzten. Der Schmalkaldische Bund der Protestanten wurde in der Schacht bei Mühlberg durch die katholische Liga unter Führung Karl V. vernichtend geschlagen. Kurfürst Johann Friedrich entging nur durch den Einspruch der Reichsfürsten der Vollstreckung eines über ihn verhängten Todesurteil. Geschlagen zog er sich in seine neue Residenz Weimar zurück. Die Albertiner nahmen mit der Kurwürde den Anspruch auf die alleinige Vertretung des Hauses Wettin.

Ernestiner suchten Fall in Sieg umzudeuten

Die Niederlage on Mühlberg war ein traumatisches Ereignis für die Ernestiner. In der Ausstellung wird an vielen Beispielen dargestellt, wie die Ernestiner verzweifelt versuchten, den politischen Absturz in einen moralischen Sieg umzudeuten. Schon zu seinen Lebzeiten wurde der unterlegene Johann Friedrich durch die Bildpropaganda zum Märtyrer des „wahren Luthertums“ stilisiert. Alle seine Nachfolger entwickelten ein spezifisches Phänomen der Selbstidentifikation, schon immer für den Protestantismus eingetreten zu sein. Der Verlust der Kurwürde wäre quasi billigend in Kauf genommen wurden um den Preis des gerechten Glaubens. Dies wurde über die Zeitläufe hinweg gleichsam zum Gründungmythos der Dynastie entwickelt!

Die erlittene Degradierung wurde durch entschiedenes Handeln auf politischem Gebiet, durch standesübliche Formen der Repräsentation, fürstliches Mäzenatentum kompensiert. Das Alles lief letztlich auf eine Strategie der Selbsterhaltung hinaus. Setzte das Haus geradezu selbstmörderisch auch auf den Einsatz militärischer Mittel, kamen binnen einer Zeit von 100 Jahren nach Johann Friedrich dem Großmütigen auch Herzog Johann Friedrich dem Mittleren und Herzog Wilhelm IV. in demütigende kaiserliche Gefangenschaft.

Historiker fokussierten sich lange fast nur auf Albertiner

Auch im umfangreichen Katalog zur Ausstellung wird festgestellt, dass sich die Forschung in den vergangenen Jahren kaum mit den Ernestinern, ungleich mehr mit der Geschichte der Albertiner befasst habe. Die Ausstellung ist daher auch als Versuch zu deuten, spürbare Anstöße für die öffentliche Wahrnehmung dieses Herrschergeschlechtes zu geben.

Autor: Peter Weckbrodt

Besucherinformationen:

Was?

Landesausstellung „Die Ernestiner – Eine Dynastie prägt Europa“

Wann?

bis 28. August

Wo?

Neues Museum Weimar
Weimarplatz 5 | 99423 Weimar
Eintritt: Erw. 5,50 € | erm. 3,50 € | Schüler* (16-20 J.) 1,50 €

Stadtschloss Weimar
Burgplatz 4 | 99423 Weimar
Eintritt: Erw. 7,50 € | erm. 6 € | Schüler* (16-20 J.) 2,50 €
(incl. Rundgang durch die hstorischen Räume des Stadtschlosses)

Schloss Friedenstein Gotha
Parkallee 15 | 99867 Gotha
Eintritt: Erw. 10 € | erm.* 4 €

Herzogliches Museum Gotha
Parkallee 15 | 99867 Gotha
Eintritt: Erw. 5 € | erm.* 2,50 €

Kombiticket für alle Ausstellungsorte in Weimar und Gotha
Erw. 16 € | erm. 12 € | Schüler* (16-20 J.) 5 €

-> Weitere Infos gibt es hier im Internet

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt
Kategorie: Geschichte, zAufi

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[caption id="attachment_67607" align="alignleft" width="117"]Peter Weckbrodt. Foto: IW Peter Weckbrodt. Foto: IW[/caption] Peter Weckbrodt hat ursprünglich Verkehrswissenschaften studiert, wohnt in Dresden und ist seit dem Rentenantritt journalistisch als freier Mitarbeiter für den Oiger und die Dresdner Neuesten Nachrichten tätig.

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