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„This is DL2DVL calling“

Klaus Sörgel scannt den Äther ab. Foto: Heiko Weckbrodt

Klaus Sörgel scannt den Äther ab. Foto: Heiko Weckbrodt

Seit 60 Jahren senden und horchen die Amateurfunker der TU Dresden in alle Welt

Dresden, 9. August 2016. Sie haben Nothilfe für gestrandete Wüstenexpeditionen herangefunkt, sich mit Partei-Funktionären jahrelang ein Katz-und-Maus-Spiel geliefert und in den 1990ern geholfen, die inzwischen so renommierte Hochfrequenz-Forschung an der Uni wieder aufzubauen: Seit 60 Jahren vernetzen sich die Amateur-Funker der TU Dresden mit der Welt. Was mit sieben Studenten im März 1956 begann, ist heute mit 90 Mitgliedern der größte Amateurfunk-Klub in Sachsen. Smartphones und Internet machen den Funkern allerdings den studentischen Nachwuchs abspenstig.

DL2DVL dreht die schwarzen Regler des Funkgerätes nach links, nach rechts. „CQ CQ CQ this is DL2DVL calling.“ Der Äther antwortet mit Rauschen. „This is DL2DVL calling.“ DL4DZL und DL2VML rücken ihre Stühle in der Dachkammer der TU-Klubstation DL0TUD zurecht und runzeln die Stirn. „Krrrrch“, schnarrt es in den Kopfhörern. „DL2DVL this is G9EG returning. Nice to meet you Klaus…“

Weltweit kennen uns die Leute unter unseren Rufzeichen

Solche oder so ähnliche Dialoge in einer ganz eigenen Syntax sind regelmäßig im obersten Geschoss des Barkhausen-Baus an der TU Dresden zu hören – dort, wo lange Antennen wie silberne Spargel aus dem Dach zu wachsen scheinen. „Weltweit kennen uns die Leute unter unseren Rufzeichen und mit unserem Vornamen“, erklärt DL2DVL alias Klaus Sörgel das auf Außenstehende etwas kryptisch wirkende Funkgespräch. „Im Internet gibt es heutzutage auch internationale Verzeichnisse für all die Rufzeichen der Amateurfunker.“

Die Antennen-Aufbauten auf dem Barkhausen-Bau lassen es schon erahnen: Hier wird gefunkt! Foto: Heiko Weckbrodt

Die Antennen-Aufbauten auf dem Barkhausen-Bau lassen es schon erahnen: Hier wird gefunkt! Foto: Heiko Weckbrodt

Altersschnitt im Klub bei über 56 Jahren.

Der 76-jährige Sörgel stellt gleich noch DL4DZL und DL2VML mit den Namen vor, unter denen man sie außerhalb der Funkerwelt kennt: Hinter DL4DZL verbirgt sich Manfred Wandscher (74), gleich neben ihm sitzt DL2VML alias Udo König (70). Das Trio macht keinen Hehl aus einem Problem der universitären Klub-Funkstation „DL0TUD“: Junioren sind in ihren Reihen rar geworden. Der Altersschnitt im Klub liegt bei über 56 Jahren. Nur jedes zehntes Mitglied arbeitet oder studiert noch an der TU.

Udo König (vorn) und Manfred Wandscher und inspizieren die Antennen-Anlagen auf der Barkhausen-Bau der TU. Foto: Heiko Weckbrodt

Udo König (vorn) und Manfred Wandscher und inspizieren die Antennen-Anlagen auf der Barkhausen-Bau der TU. Foto: Heiko Weckbrodt

Wer funkt noch klassisch in der Smartphone-Ära?

„Es ist schwerer geworden, Jüngere für den Amateurfunk zu begeistern“, räumt Sörgel ein. „Die sagen: Wofür gibts Internet? Ich hab doch ein Handy – da brauch ich kein Funkgerät.“ Und so wiederholt sich im Halbjahrestakt das Spiel: „Der Zulauf durch TU-Studenten ist zu Semesterbeginn recht groß. Teilweise kommen da anfangs über 20 Leute. Am Ende bleiben davon oft nur zwei oder drei übrig.“

Amateurfunk erst ab 1953 in DDR wieder erlaubt

Das war vor 60 Jahren noch ganz anders: Nach den Funkverboten der Besatzer in der Nachkriegszeit war der Amateurfunk erst seit 1953 wieder erlaubt und fand rasch viele Anhänger. Und so war es im Sommer 1956 gar nicht schwer, in der Studentenschaft der damaligen Technischen Hochschule Dresden sieben Tüftler zu finden, die aus Kriegsschrott und Elektronikbauteilen Funkgeräte basteln und in Gang bringen konnten. Mitte Oktober 56 genehmigte die Deutsche Post die neue Station unter dem Rufzeichen „DM3KML“.

Stasi, GST und Post hängten ihre Nasen rein

Zu DDR-Zeiten fochten die Amateurfunker immer wieder „Stellungskriege“ mit SED-Funktionären aus, die das Kommunikations-Tor in die freie große Welt, das die Funker zunächst im Rektoratsgebäude per Äther geöffnet hatten, mit Misstrauen beäugten. „Die Amateurfunkerei wurde über die GST, die Gesellschaft für Sport und Technik, organisiert“, erinnert sich Udo „DL2VML“ König. Bevor jemand funken durfte, musste er vor GST-Funktionären und einem Post-Vertreter eine Prüfung ablegen. Die Stasi überprüfte zudem die „politische Zuverlässigkeit“ der Anwärter.

„Ich hatte 1954 einen Beitrag über Amateurfunk in der Zeitschrift ,Magazin’ gelesen“, erinnert sich Sörgel, wie er zu seinem Hobby kam. „Ich war ganz fasziniert von der Vorstellung, mit recht einfacher Technik weltweit mit anderen Menschen kommunizieren zu können.“ Das war in der DDR keine Selbstverständlichkeit. Ähnliche Argumente bewegten daher damals auch Manfred Wandscher und Udo König, sich dem Amateurfunk zuzuwenden.

Amateurfunker sind oft die ersten, die nach Katastrophen Hilfe holen

Nach dem Mauerfall und vor allem seit Beginn der Internet-Ära ziehen diese Argumente freilich kaum noch: Heute chattet jeder mit jedem rund um den Erdball, und die omnipräsenten Smartphones rücken fast jeden Ort weltweit in greifbare Nähe. Doch eben nur „fast“: „Wenn es irgendwo ein Erdbeben oder eine Überschwemmung gibt und die Hightech-Systeme versagen, funktioniert immer noch der Amateurfunk“, sagt Sörgel. „Die Amateurfunker sind oft die ersten, die aus Katastrophen-Gebieten Lebenszeichen senden und Hilfe organisieren.“

Westdeutscher Expeditions-Notruf aus der Sahara

Gern erinnern sich die Dresdner noch an einen Coup aus dem Jahr 1959: Damals fing einer aus ihren Reihen den Funk-Notruf des westdeutschen Anwalts Walter Praxmarer auf, der mit einer kleinen Afrika-Expedition mit Motorschaden in der Sahara steckengeblieben war. Ein Dresdner Funker der TH-Klubstation DM3KML vermittelte damals Hilfe aus Stuttgart.

Selbst Sternschnuppen dienen als Spiegel

Auch die komplexen technischen und interdisziplinären Herausforderungen reizen bis heute, sich mit Amateurfunk zu beschäftigen: „Um eine Verbindung nach Australien oder über ähnlich lange Distanzen zu etablieren, muss ich viele Faktoren kennen und ausnutzen“, erzählt Udo König. „Wie sind die Mondphasen? Wann beginnt die Dämmerung? Wie aktiv ist die Sonne?“ Denn die Amateurfunker nutzen teils sogar den Mond oder Sternschnuppen als Reflektor für ihre Signale, um Tausende Kilometer zu überbrücken.

Amateurfunker wagen sich auf ihren Expeditionen auch in umstrittene Gewässer, um ihre Trophäen zu erjagen.Foto: Heiko Weckbrodt

Amateurfunker wagen sich auf ihren Expeditionen auch in umstrittene Gewässer, um ihre Trophäen zu erjagen.Foto: Heiko Weckbrodt

„Das sind richtige Trophäenjäger“

Und es gibt auch einige fast schon skurrile Trends unter den Amateurfunkern: „Die unternehmen Funkexpeditionen zu einer einsamen Klippe im Pazifik, stellen dort einen Tisch und ein Funkgerät auf“, berichtet König. „Ihnen geht es darum, dass diese Klippe dann als ,neues Land’ im internationalen Funkverzeichnis anerkannt wird. Das sind richtige Trophäenjäger.“ Und für das Fernweh der Funker ist selbst unser Planet nicht groß genug. „Einige planen jetzt sogar schon eine Relaisstation auf dem Mars.“

 

  • Mit Blick auf die Feier zum 60. Jubiläum am 8. Oktober 2016 suchen die Amateurfunker noch Informationen über Amateurfunk-Aktivitäten an der damaligen TH Dresden. Hinweise bitte an Klaus Sörgel per E-Mail an dl2dvl@darc.de
  • Wer bei den Amateurfunkern mitmachen will: Sie treffen sich dienstags ab 19 Uhr in der 1. Etage des Barkhausenbaus (Eingang über die Helmholtzstraße), mehr Infos: dl0tud.tu-dresden.de/wordpress
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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