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Kehren die Gaunerzinken zurück?

Hauptkommissar Wolfgang Schütze kümmert sich in der Polizeidirektion Dresden um die Polizeisammlungen. Er hat sich auch mit der Geschichte der Gaunerzinken beschäftigt. Foto: Heiko Weckbrodt

Hauptkommissar Wolfgang Schütze kümmert sich in der Polizeidirektion Dresden um die Polizeisammlungen. Er hat sich auch mit der Geschichte der Gaunerzinken beschäftigt. Foto: Heiko Weckbrodt

In Dresden nur sporadische Hinweise auf alte Einbrecher-Kennzeichen

Dresden, 26. Juni 2016. Ein Zickzack-Linie am Türpfosten heißt: „Vorsicht, Bissiger Hund!“, ein von zwei Pfeilen durchbohrter Kreis bedeutet „Schnell abhauen!“, fünf Kreise sagen „Hier gibt es Geld!“. Durch diese und andere Geheimzeichen an Häusern haben sich Profi-Kriminelle in vergangenen Jahrhunderten gerne darüber abgesprochen, wo sich ein Einbruch lohnt und wo nicht. In jüngster Zeit melden vor allem ältere Dresdner bei Polizei und Wohnungsgesellschaften wieder solche „Gauner-Zinken.“ Doch die Beweislage ist eher dünn.

In der „Wohnungsgenossenschaft Aufbau“ in Dresden beispielsweise gehen immer wieder mal solche Meldungen über mutmaßliche Gaunerzinken ein. Bei Besichtigungen habe sich der Verdacht aber nicht erhärtet, teilte der Abteilungsleiter für Wohnungswirtschaft, Karsten Wendisch, mit. Auch im Bestand der ehemaligen Woba, der heutigen Vonovia, sind in jüngster Zeit keine Gaunerzeichen bekannt geworden, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.

Solche Zeichen hat die Polizei im Januar 2016 an einem Vordach-Pfosten Am Grabenwinkel in Gruna gefunden. Repro: Heiko Weckbrodt

Blick in die Akten: Solche Zeichen hat die Polizei im Januar 2016 an einem Vordach-Pfosten Am Grabenwinkel in Gruna gefunden. Repro: Heiko Weckbrodt

Polizei: Jede 2. Meldung ist Irrtum

Die Polizeidirektion (PD) Dresden ist in diesem Jahr bisher sechs Meldungen von Gaunerzinken nachgegangen, zum Beispiel von der Bürgerwiese, aus Johannstadt und am Grabenwinkel in Gruna. Die Fallzahlen sind also ohnehin sehr niedrig. Jede zweite Meldung entpuppte sich zudem recht klar als Irrtum. Und in den verbleibenden Fällen waren sich die Polizisten alles andere als sicher, ob ihnen da von den Anwohnern wirklich Gaunerzinken präsentiert wurden – oder bloße Kratzer, Kuli-Schmierereien beziehungsweise Graffiti. „Ein Winkel, ein Kreis, ein Pfeil mit roter Kreide an einen Vordach-Pfosten gemalt – das können genauso gut Kindermalereien sein“, betont PD-Sprecherin Jana Ulbricht.

Polizisten werden nicht mehr geschult, Einbrecher-Hieroglyphen zu erkennen

Diese Unsicherheit mag auch daran liegen, dass Polizisten heutzutage nicht mehr darin ausgebildet werden, Einbrecher-Hieroglyphen zu erkennen. Das war vor reichlich 100 Jahren noch ganz anders: Da lernten angehende Kriminalisten in Sachsen noch ganze Schautafeln mit Gauner-, Weiber- und Spionagezinken auswendig. Wohl um das Jahr 1820 herum hatte sich ein Syndikus Kajetan Karmayer im oberösterreichischen Freistadt die Arbeit gemacht und alle diese mehr oder minder geheimen Bildzeichen zu sammeln und zu deuten. Daraus erarbeitete der Grazer Kriminologe Hans Gross ab 1897 das damalige Standardwerk über Gaunerzinken im deutschsprachigen Raum, das wiederum seinen Niederschlag auch in den Dresdner Lehrtafeln fand.

Alte Lehrtafel mit Zinken aller Couleur - wie die Polizisten sie damals sowohl Einbrechern wie auch Huren, Zigeunern oder Bettlern zugeordnet hatten. Foto: Heiko Weckbrodt

Alte Lehrtafel mit Zinken aller Couleur, die wohl Ende des 19. Jahrhunderts entworfen wurde. Hier hatten Polizisten alle Zeichen zusammengetragen, die sie damals sowohl Einbrechern wie auch Huren, Zigeunern oder Bettlern zugeordnet hatten. Foto: Heiko Weckbrodt

Nur noch wenige Zinken-Lehrtafeln erhalten

Nur einige wenige dieser bis zu 120 Jahre alten Tafeln sind bis heute erhalten. Hauptkommissar Wolfgang Schütze hütet sie in der Polizeisammlung der PD Dresden wie seinen Augapfel – auch wenn es mit der politischen Korrektheit darin nicht weit her ist. Von „Zigeunerzeichen“ ist da die Rede, sie waren eben ganz Ausfluss des Zeitgeistes. „Damals gab es eben in Verwaltungen, in der Justiz und bei der Polizei diese vorgefasste Meinung: Zigeuner stehlen nur, die muss man unter Kontrolle halten“, sagt Wolfgang Schütze.

Umherziehendes Volk verständigte sich über Symbole

Die später sogenannten „Gaunerzinken“ sind spätestens seit dem 16. Jahrhundert überliefert. Sie waren wahrscheinlich zunächst ganz allgemeine Mitteilungen, mit denen sich Hausierer und Bettler und anderes umherziehendes Volk gegenseitig Hinweise gaben. Weil die allerwenigsten von ihnen lesen konnten, benutzten sie eine hieroglyphen-ähnliche Bildschrift, für die sich allerdings nie überall anerkannte Regeln durchsetzten. Die Zinker ritzten die Zeichen zum Beispiel mit Messern in bestimmte Ecken von Türbalken ein oder verwendeten Kreide.

Gaunerzinken-Übersicht aus einer Lehrtafel der Polizei Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Gaunerzinken-Übersicht aus einer Lehrtafel der Polizei Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Später verwendeten vor allem Einbrecher die Zeichen

Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verwendeten dann vor allem Berufseinbrecher „Gaunerzinken“, die daher wiederum Teil der kriminalpolizeilichen Ausbildung in Dresden wurden. Zinkenähnliche Piktogramme benutzten teils auch die Soldaten der Roten Armee im II. Weltkrieg und kurz danach, um zum Beispiel minengeräumte Häuser zu kennzeichnen. In der Spätzeit der DDR spielten die Gaunerzinken laut Hauptkommissar Wolfgang Schütze aber bereits keine Rolle mehr in der Polizeiausbildung.

Unbeseitigte Einbruchsspuren sind die Gaunerzinken von heute

Schon wegen dieser Kontinuitätsbrüche erscheint es insofern eher fraglich, dass sich die Gauner von heute überhaupt noch an die Zinken und das Rotwelsch ihrer Altvorderen erinnern. Und Praktiker wie Streifendienstleiter Thomas Herbst vom Revier Dresden-West sind sowieso überzeugt: Die Einbrecher orientieren sich heute ganz anders, wo was zu holen und wo ein „Bruch“ einfach zu machen ist. Auffällig sei, dass oft Häuser in schneller Folge hintereinander von Einbrechern „besucht“ werden. Denn wenn Hausbesitzer Einbruchspuren und Provisorien nicht schnell beseitigen, hofft der nächste Gelegenheits-Kriminelle an gleicher Stelle auch auf leichtes Spiel, so die Interpretation der Polizisten. Von daher seien „Einbruchsspuren so etwas wie die Gaunerzinken von heute“.

Facebook-Postings sind gefundenes Fressen für Einbrecher

Zwar noch nicht in Dresden, aber international schon beobachtet ist zudem ein weiterer Trend: Manch Einbrecher 2.0 orientiert sich heute längst nicht mehr an Kritzeleien von „Berufskollegen“, sondern an Facebook-Einträgen unvorsichtiger Zeitgenossen. Wenn Eigenheimbesitzer in den unsozialen Netzwerken beispielsweise unüberlegt ihre neuen Heimelektronik-Käufe posten oder ihre Urlaubspläne mitsamt Datum preisgeben, haben ungebetete Besucher umso leichteres Spiel.

Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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