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Dresdner Forscher wollen Computer wie Menschenhirne bauen

„Hier stecken elf Jahre Entwicklung drin“, sagt Prof. Christian Mayr von der Technischen Universität Dresden (TUD) über den Neurocomputer „NMPM1“, den Forscher der Unis Heidelberg und Dresden gemeinsam im „Human Brain Project“ und den Vorgängerprojekten FACETS und BrainScaleS entwickelt haben. Foto (bearbeitet, freigestellt): Heiko Weckbrodt

„Hier stecken elf Jahre Entwicklung drin“, sagt Prof. Christian Mayr von der Technischen Universität Dresden (TUD) über den Neurocomputer „NMPM1“, den Forscher der Unis Heidelberg und Dresden gemeinsam im „Human Brain Project“ und den Vorgängerprojekten FACETS und BrainScaleS entwickelt haben. Foto (bearbeitet, freigestellt): Heiko Weckbrodt

„Human Brain Project“: Neurorechner der Ameisenhirn-Klasse geht morgen online, Computer lernen denken

Dresden, 29. März 2016. Neuro-Elektroniker der TU Dresden wollen in naher Zukunft einen Computer bauen, der ähnlich komplex und analytisch wie das menschliche Gehirn arbeitet. Das hat der Dresdner Professor Christian Mayr angekündigt, dessen Lehrstuhl für „Hochparallele VLSI-Systeme und Neuromikroelektronik“ am internationalen „Human Brain Project“ (HBP = „Projekt menschliches Gehirn“) wesentlich beteiligt ist. Um die Milliarden Neuronen des Menschenhirns künstlich zu erzeugen, möchten die Forscher Tausende von ARM-Prozessoren vernetzen. Dies sind Chips ähnlich denen, die heutige Smartphones antreiben, nur mit viel mehr Rechnerkernen. Als Vorstufe schaltet das HBP-Konsortium morgen den ersten Neurocomputer der Ameisenhirn-Klasse online. Dieser „NMPN1“ setzt allerdings noch auf ein anderes Nervenzellen-Prinzip, bei dem künstliche Neuronen fest in Silizium verdrahtet werden.

Digitale Computer rechnen schneller, Gehirn analysiert besser

Hintergrund all dieser Bemühungen, die Natur nachzubilden: Digitale Computer lösen Matheaufgaben zwar viel schneller als wir. Doch mit den besonderen analytischen und intuitiven Fähigkeiten der Neuronen und Synapsen im menschlichen Gehirn können sie bis heute nicht mithalten: Denken ist eben immer noch anspruchsvoller als „nur“ rechnen. Auch können sich biologische Gehirne verbessern und lernen. Nicht zuletzt verfügen natürliche Nervennetze über bisher unübertroffene Fähigkeiten, sehr raffiniert wirklich wichtige Informationen aus den riesigen Datenfluten herauszufiltern, die tagtäglich aus unserer Umwelt auf uns einprasseln. Diese natürlichen Eigenschaften technologisch nachzubilden, ist bisher nur unzureichend gelungen. Doch zumindest die Nachbildung von voll funktionsfähigen Tiergehirnen in Silizium rückt nun in greifbare Nähe: Am 30. März 2016 wollen Forscher der Technischen Universität Dresden (TUD) gemeinsam mit ihren Kollegen aus München, Lausanne, Heidelberg und Manchester solche neuronalen Rechner mit einer Online-Konferenz in Betrieb nehmen.

Künstliche Neuronen aus Silizium

Jeder Neurocomputer, der im Zuge dieses „Human Brain Projects“ konzipiert wurde, vernetzt derzeit jeweils rund 200.000 künstlich in Silizium nachgebildete Nervenzellen. Damit entspricht er etwa der Leistungskraft eines Ameisen-Gehirns. Stationiert sind diese Neurocomputer der „Ameisengehirn“-Klasse in Heidelberg und Dresden. Sie stehen ab April auf Antrag Wissenschaftlern aus aller Welt für besondere Forschungen zur Verfügung. Diese Rechenleistung wird über ein Internet-Portal zur Verfügung gestellt. Die HBP Forscher sind damit die ersten, die „Gehirn-Cloud-Computing“ anbieten.

Neurocomputer sollen Probleme im Straßenverkehr oder vor Fußball-Stadien auf einen Schlag „erkennen“

Interessant können die gehirnähnlichen Rechnerwolken zum Beispiel für Neurobiologen sein, die die Funktionsweise natürlicher Gehirne untersuchen. Auch eignen sich solche Systeme, um neuartige Computerkonzepte zu testen, die nicht nach der heute üblichen „Von-Neumann-Architektur“ aufgebaut sind. Wenn Neurocomputer künftig in Serie gefertigt werden, könnte sich das Anwendungsspektrum noch deutlich erweitern: Für die blitzartige Analyse komplizierter Verkehrslagen zum Beispiel, für die schnelle Bilderkennung an den Toren von Fußballstadien oder für die Lernforschung. Eben überall dort, wo weniger die unübertroffen schnell rechnenden klassischen Digitalrechner gefragt sind, sondern hochparallele Aufgaben wie eine rasche Lage-Analyse und extreme Informationsverdichtung zu lösen sind.

Gehirn-Wafer nach deutschen Bauplänen in Taiwan gefertigt

Den Neurocomputer „NMPM1“ hat der taiwanesische Auftrags-Chipproduzent UMC nach den Plänen der „Human Brain Project“-Forscher aus Heidelberg und Dresden in einer klassischen Mikroelektronik-Technologie hergestellt, auf einer Silizium-Scheibe (Wafer). Statt klassischer Prozessoren befinden sich auf diesem Wafer aber rund 200.000 künstliche Neuronen und etwa 50 Millionen Synapsen (Anregungs-Verbindungen). Die TUD-Forscher kümmerten sich im Projektverbund vor allem darum, dass der Neurocomputer mit der Außenwelt auch kommunizieren kann.

Bisher keine Hinweise auf Eigenleben

Für Christian Mayr ist das aber erst der Anfang: Sein Forschungsteam verfolgt mehrere Technologiepfade hin zu einem Neurocomputer, der letztlich an die 100 Milliarden künstliche Neuronen vernetzt und damit so komplex wäre wie ein menschliches Gehirn. „Ich glaube, dass wir in überschaubarer Zukunft einen Rechner mit menschenähnlichen Fähigkeiten konstruieren können“, sagt der 38-jährige Professor. Die Menschheit müsse sich aber keine Sorgen machen, von den künstlichen Intelligenzen abgeschafft zu werden. „Wir hoffen zwar, dass solche Systeme außerordentliche Lernfähigkeiten entwickeln. Aber bis jetzt haben wir mit unseren Neurocomputern keine Hinweise darauf gefunden, dass sie etwas Überraschendes tun oder gar ein Eigenleben entwickeln.“

Die SpiNNaker-Neurocomputer beruhen auf ARM-Prozessoren mit sehr vielen Kernen, die bei Globalfoundries produziert werden und auf denen die künstlichen Neuronen per Software simuliert werden. Die aktuelle Generation kommt an die Leistungsklasse von Tiergehirnen heran. In naher Zukunft wollen die Dresdner Forscher damit aber in die Klasse der Menschengehirne vorstoßen. Foto: Heiko Weckbrodt

Die SpiNNaker-Neurocomputer beruhen auf ARM-Prozessoren mit sehr vielen Kernen, die Globalfoundries produziert. Eine spezielle Software suimuliert die künstlichen Neuronen auf diesen Chips. Die aktuelle Generation kommt damit an die Leistungsklasse von Tiergehirnen heran. In naher Zukunft wollen die Dresdner Forscher damit aber in die Klasse der Menschengehirne vorstoßen. Foto: Heiko Weckbrodt

Engländer und Sachsen arbeiten an Alternativlösung „SpiNNaker“

Während der „NMPN1“ auf speziell konstruierte künstliche Neuronen setzt, verfolgen die TUD-Experten parallel dazu einen weiteren, vielleicht noch vielversprechenderen Technologiepfad, um ein menschliches Gehirn nachzukonstruieren. Dafür koppeln sie Tausende „ARM“-Prozessoren, wie sie auch in Tablettrechnern und Smartphones (Computertelefonen) stecken, nur eben mit viel mehr Prozessorkernen. Die Neuronen werden dann nicht „fest verdrahtet“ (Hardware-Lösung), sondern durch spezielle Computerprogramme (Software-Lösung) auf den ARM-Chips simuliert. Dieses „SpiNNaker“-Konzept haben ursprünglich Forscher der Universität Manchester ersonnen. Die nächste Generation entwickeln die Engländer nun gemeinsam mit dem Team um Prof. Christian Mayr. Die Kollegen aus Manchester habe wohl die Dresdner „Kompetenz in komplexen Mikrochips“ überzeugt, vermutet Mayr.

Menschenhirn mit aufgebohrten Smartphone-Chips nachbilden

„Mit einer der nächsten SpiNNaker-Generation auf ARM-Basis wollen wir hier in Dresden auf die Neuronen-Zahl des menschlichen Gehirns kommen“, kündigte der Professor an. Produzieren lassen könne die Uni diese Rechner der Menschengehirn-Klasse dann womöglich sogar in Dresden statt in Taiwan. Zwar seien zunächst zehn bis 20 Millionen Euro Forschungsinvestitionen nötig. Aber im Erfolgsfall könne dieses Zukunftsprojekt nicht nur zu erheblichen wissenschaftlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen Impulsen für Dresden und ganz Sachsen führen.

Autor: Heiko Weckbrodt

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Internationale Synapsen- und Neurocomputer-Projekte im Überblick. Quelle: TUD, EU

Internationale Synapsen- und Neurocomputer-Projekte im Überblick. Quelle: TUD, EU

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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