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Mindestlohn wirkt nirgends stärker als in Sachsen

Seit 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde. Foito (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Seit 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde. Foto (bearbeitet): Heiko Weckbrodt

Arbeitsagentur-Institut sieht kaum Jobverluste durch staatlichen Eingriff

Dresden, 10. März 2016. Der Mindestlohn hat in Sachsen kaum Arbeitsplätze vernichtet. Aber er wirkt hier stärker als in allen anderen ostdeutschen Ländern. Das geht aus einer Studie „Mindestlohn in sächsischen Betrieben“ vom „Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung2 der Bundesarbeitsagentur (IAB) hervor. Demnach haben insgesamt 250.000 Beschäftigte und damit etwa jeder zehnte Mitarbeiter in Sachsen vom Mindestlohn profitiert: Sie bekommen seit dem Jahr 2015 nun mindestens 8,50 Euro Lohn pro Stunde. In Ostdeutschland liegt diese Quote dagegen bei nur 7 statt 10 %. „Und mit unsere Studie können wir auch einige Mythen beerdigen“, sagte Prof. IAB-Studienautor Prof. Lutz Bellmann. „Wir haben keine Hinweise auf größere Beschäftigungsverluste gefunden“, sagte er heute in Dresden.

Bellmann: Job-Vernichtung ist ein Mythos

Prof. Lutz Bellmann. Foto: IABProf. Lutz Bellmann. Foto: IAB

Prof. Lutz Bellmann. Foto: IAB

Dabei verwies Bellmann auf frühere Prognosen von Kollegen beispielsweise aus dem Ifo-Institut. Die hatten zunächst prophezeit, dass allein in Sachsen 31.000 bis 60.000 Jobs verloren gehen würden. Dies sei nicht zu halten, betonte Bellmann.

Ifo-Forscher Ragnitz: Ist noch zu früh, Mindestlohn-Folgen voll abzuschätzen

Jochaim Ragnitz. Abb.: ifo DD

Jochaim Ragnitz. Abb.: ifo DD

(Aktualisierung): „Bis man die vollen Auswirkungen des Mindestlohns abschätzen kann, braucht man etwas längeren Atem und mindestens ein Jahr Beobachtungszeit“, widersprach Prof. Joachim Ragnitz vom Wirtschaftsforschungs-Institut ifo Dresden. Die IAB-Studie beruhe aber auf Betriebsumfragen zwischen April und August 2015, als erst kürz nach dem Mindestlohn-Start. „Außerdem spielte Glück eine Rolle: Die Regierung hat den Mindestlohn in einer Konjunkturphase eingeführt, in der es aufwärts ging und die Unternehmen viele Leute eingestellt haben.“ Abzuwarten bleibe, wie es weitergehe, wenn die Konjunktur abflaue.

SPD-Wirtschaftsministerium will höhere Mindestlöhne

Staatssekretär Stefan Brangs vom sozialdemokratisch geführten Wirtschaftsministerium wertete die IAB-Studie als Beleg, dass die Koalition aus SPD und CDU mit dem Mindestlohn den richtigen Weg eingeschlagen habe. Und diesen Pfad solle Deutschland, solle Sachsen weiterverfolgen: „Ein wirklich existenzsichernder Lohn sieht anders als 8,50 Euro“, sagte er heute in Dresden am Rande einer Fachtagung „Mindestlohn in Sachsen“. Die Lohnuntergrenze gehöre weiter erhöht: entweder über Tarifverträge oder über höhere gesetzliche Mindestlöhne.

Wirtschaft reagierte vor allem mit Arbeitszeit-Verkürzung und Preiserhöhungen

Viele Betriebe hatten laut der Studie den neuen Mindestlohn für ihre Mitarbeiter finanziert, indem sie deren Arbeitszeiten verringerten oder in der gleichen Zeit mehr Arbeit von ihren Beschäftigten verlangten. Zahlreiche Unternehmen erhöhten auch ihre Preise. Aber nur etwa ein Prozent hat laut IAB mit Entlassungen reagiert.

In Ostdeutschland hatte der Mindestlohn besonders breit gewirkt und hier wiederum in Sachsen. Grafik: IAB

In Ostdeutschland hatte der Mindestlohn besonders breit gewirkt und hier wiederum in Sachsen. Grafik: IAB

38 % der Betriebe in Sachsen vom Mindestlohn betroffen – in Ostdeutschland nur 33 %

Bemerkenswert sind aber eben auch, wie unterschiedlich stark die Mindestlöhne in Sachsen und im restlichen Deutschland gewirkt haben. Dies lässt sich nicht nur am Anteil der Beschäftigten festmachen, die nun mehr Geld verdienen, sondern auch an den Betrieben, die früher weniger als 8,50 Euro gezahlt haben. Laut der IAB-Studie haben 38 Prozent der sächsischen Betriebe auf das Mindestlohn-Gesetz im Jahr 2015 mit entsprechenden Lohnerhöhungen reagiert. In Ostdeutschland lag diese Quote bei nur 33 Prozent. In den Alten Bundesländern hatten ohnehin auch schon vor dem Mindestlohngesetz nicht mal jede zehnte Firma unter 8,50 Euro pro Stunde gezahlt.

Staatssekretär sieht Abkehr von „Niedriglohn-Strategie“ der Ära Biedenkopf

Staatssekretär Stefan Brangs führt diese Unterschiede auf eine in seine Augen verhängnisvolle „Niedriglohnstrategie“ der früheren CDU-Regierungen in Sachsen zurück. IAB-Forscher Lutz Bellmann sieht indes auch andere Ursachen: Einerseits gebe es in Sachsen sehr viele kleine Betriebe mit geringeren Lohnspielräumen (was allerdings für ganz Ostdeutschland gilt. Anderseits habe früher vor allem in der grenznahen Wirtschaft die Konkurrenz durch (billigere) tschechische und polnische Arbeiter eine Rolle gespielt.

Stoppt Mindestlohn den Aderlass gen Süden und Westen?

Im Übrigen rechnet Professor Bellmann auch mittel- und langfristig mit positiven Effekten des Mindestlohns für Sachsen: Wenn es hier mehr zu verdienen gebe, sinke auch die Neigung junger Facharbeiter, ihr Glück im Süden oder Westen Deutschlands zu suchen. Kurz: Die Jugend werde nicht mehr so in Scharen aus Sachsen auswandern. Auch könne der Zwang, höherer Löhne zu zahlen, für einige sächsische Unternehmen den Fachkräftemangel lindern. Denn der hatte sich bisher vor allem in kleineren Betrieben mit niedrigem Lohnniveau bemerkbar gemacht.

Die Studie stützt sich auf das sogenannte „IAB-Betriebspanel“. In die Mindestlohn-Auswertung für Sachsen flossen dabei die Umfrage-Ergebnisse aus 1155 Betrieben ein. Auch die Industrie- und Handelskammern in Sachsen haben eine Studie über die Mindestlohneffekte im Freistaat in Auftrag gegeben. Dafür liegt die Auswertung aber noch nicht vor.

Autor: Heiko Weckbrodt

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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