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„DDR wurde vom Mittelmaß regiert“

Akademiker-Alltagsfreuden in der DDR: Das Kollektiv hat ein eigenes Elektronen-Mikroskop! Autor Gerhard Barkleit ist auf dieser Aufnahme in der Mitte im Pullover zu sehen. Foto (bearbeitet): Dr. Gabriele Barkleit

Akademiker-Alltagsfreuden in der DDR: Das Kollektiv hat ein eigenes Elektronen-Mikroskop! Autor Gerhard Barkleit ist auf dieser Aufnahme in der Mitte im Pullover zu sehen. Foto (bearbeitet): Dr. Gabriele Barkleit

Der Dresdner Publizist und Physiker Gerhard Barkleit setzt dem „verklärten Tunnelblick“ auf den SED-Staat sein autobiografisches Buch „EinBlick“ entgegen

Ist die DDR vor allem an der bloßen Durchschnittlichkeit ihrer Regierung, ihrer Elite, ihrer Fühungskader zu Grunde gegangen? Dies legt jedenfalls „EinBlick in zwei Welten“ nahe – eine autobiografische Abrechnung von Gerhard Barkleit mit dem System DDR. Die Summe seiner Erfahrungen mit diesem System lasse sich „zu der Einsicht verdichten, dass die DDR vom absoluten Mittelmaß regiert werde“, schreibt der Dresdner Physiker und Publizist. Und: „Mich stört die als ,DDR-Nostalgie’ zu beobachtende Verklärung des SED-Staates, als individuelle Ruckschau mit Tunnelblick daherkommend, der negative Erfahrungen einfach ausblendet.“ Der Untertitel spiegelt bereits den Tenor im Buch: „Das Ende der DDR als Glücksfall der Geschichte“.

Rückblick entstand in zwei Schüben

Dabei beginnt „EinBlick“ eigentlich in einem ganz anderen, sehr autobiografischen Grundton. Und das hat mit der Genese des Buches zu tun: Den ersten Teil verfasste Gerhard Barkleit bereits 1983/84, also noch zu DDR-Zeiten, als persönliche Lebensrückschau. Darin schildert er aus einer faszinierenden individuellen Perspektive seine Kindheit, erzählt von der Flucht seiner Familie aus Ostpreußen und über den Neuanfang in Mitteldeutschland. Dieses Kapitel ist ein ganz eigenes und sehr interessantes Zeitdokument und ein schönes Beispiel für Alltagsgeschichtsschreibung.

Alltag als Akademiker im „Arbeiter- und Bauern-Staat“

Wenn Barkleit dann auf die Zeit nach der DDR-Gründung zu schreiben kommt, ist der kritischere Tenor aus der Nachwende-Perspektive unüberlesbar. Hier arbeitet bereits der Zeithistoriker mit seiner distanzierten Sicht, belegt auch mit Fußnoten die eine oder andere Ausführung, die sich eben nicht so sehr aus persönlichem Erleben speist. Barkleit erzählt hier zunächst aus dem Blickwinkel eines ostdeutschen Physikers über den oft zermürbenden akademischen Alltag-Betrieb der DDR, später über seine Entwicklungsarbeit in der ostdeutschen Mikroelektronik in Dresden.

"Wann hört ihr endlich auf zu klauen, eigene Entwürfe sind besser", ätzten die US-Entwicker von DEC auf Russsich ind winziger Schrift in ihre Chips, weil sie wussten, dass russische und DDR-Ingenieure die Bausteine aufsägen würden, um sie "nachzuerfinden". Abb.: BStU, aus Brakleit: "EinBlick"

„Wann hört ihr endlich auf zu klauen, eigene Entwürfe sind besser“, ätzten die US-Entwicker von DEC auf Russsich in winziger Schrift in ihre Chips, weil sie wussten, dass russische und DDR-Ingenieure die Bausteine aufsägen würden, um sie „nachzuerfinden“. Abb.: BStU, aus Barkleit: „EinBlick“

Und natürlich berichtet Barkleit über die großen ideologischen Grabenkämpfe im SED-Staat auf der einen und über die kleinlichen Zänkereien im Mikrokosmos einer DDR-Familie auf der anderen Seite. Und gerade dort, wo er die persönliche, primäre Perspektive wählt, entwickelt sein Buch auch seinen Wert als alltagsgeschichtliche Quelle. Interessant ist auch seine Sicht auf den Backe-Elser-Skandal und andere Interna des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden, an dem er nach der Wende als Publizist und Zeithistoriker tätig war.

Was etwas stört: Der Autor neigt gelegentlich dazu, Bandwurmsätze zu konstruieren und ganze Passagen zu wiederholen. Zudem operiert er manchmal mit Begriffen und Personen, die er kaum einführt. Dies erschwert den Lesefluss und die Verständlichkeit einiger Passagen leider.

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Fazit:

„EinBlick“ ist sowohl Autobiografie als auch eine Analyse der DDR aus der spezifischen Sicht eines ostdeutschen Akademikers. Barkleits Buch dokumentiert vor allem auch den Zeitgeist in der DDR und die Umbruchzeit während und nach der politischen Wende. Heiko Weckbrodt

Gerhard Barkleit: „EinBlick in zwei Welten – Das Ende der DDR als Glucksfall der Geschichte“, Osteuropazentrum-Berlin-Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-942437-40-0, 25 Euro

Über den Autor:

Gerhard Barkleit wurde 1943 in Ostpreußen geboren. Vor der anrückenden Roten Armee flüchtete die Familie nach Wauden in der Lommatzscher Pflege. Barkleit studierte ab 1962 an der TU Dresden Physik. Er promovierte und war als wissenschaftlicher Assistent an der Bergakademie Freiberg tätig. 1973 wechselte er an das Zentralinstitut für Kernforschung der Akademie der Wissenschaften der DDR in Rossendorf bei Dresden. Ab 1983 arbeitete er im Mikroelektronik-Forschungszentrum ZfTM (ZMD) in Dresden-Klotzsche. Nach der Wende wurde er Journalist bei den Dresdner Neuesten Nachrichten. Ab 1992 war er am neugegründeten Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden tätig. 2008 ging er in Rente.

Publiziert hat Gerhard Barkleit neben seinen physikalischen Schriften u.a. eine Manfred-von-Ardenne-Biografie, außerdem über die Mikroelektronik und über die Kernforschung der DDR.

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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