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Europa fällt hoffnungslos zurück

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

Vor allem die modernen 300-mm-Fabriken von TSMC sind stark ausgelastet. Foto: TSMC

Kein europäisches Halbleiter-Unternehmen beherrscht mehr Höchstintegration

Dresden, 1. Februar 2016. Die digitale Revolution ist in unserem Alltag angekommen. Ständige Kommunikation über Smartphone und Internet gehören heute ebenso selbstverständlich zu unserem Lebensstil wie Online-Einkäufe bei Amazon und anderen Internethändlern. Weniger auffällig, in der Wirkung auf unsere Gesellschaft aber noch viel dramatischer ist die rasant zunehmende Automatisierung nahezu aller Produktions- und Dienstleistungsbereiche. Dieser Trend wird in naher Zukunft jedem Bürger unseres Landes unmittelbar begegnen, sei es als freigesetzter Mitarbeiter, dessen Arbeit jetzt durch Automaten geleistet wird, oder als Nutzer autonom fahrender Fahrzeuge und so weiter.

Die materielle Grundlage dieser digitalen Revolution ist die Mikroelektronik, die die Schlüsselfunktionen in all den Smartphones, Produktionsautomaten oder auch etwa autonom fahrenden Autos realisieren. Ihre Leistungsfähigkeit entscheidet heute schon über die Leistungsfähigkeit des Endproduktes.

Zum Spionage-Werkzeug umfunktionierbar: Smart Watch "Gear 2". Foto: SamsungZum Spionage-Werkzeug umfunktionierbar: Smart Watch "Gear 2". Foto: Samsung

Intelligente Uhren, Smartphones und ähnliche mobile Geräte sind zum Technologietreiber für die Halbleiterindustrie geworden. Foto: Samsung

Im Wettlauf um die bereits existierenden und sich weiter stürmisch entwickelten Märkte für die Produkte der digitalen Revolution ist Europa nicht nur auf dem Gebiet der Software, das ganz klar durch US-Giganten wie Google, Microsoft, Oracle, Amazon, Facebook, Apple u. a. dominiert wird, sondern auch auf dem Gebiet der Hardware hoffnungslos gegenüber den USA und Asien zurückgefallen. Es gibt heute kein Halbleiterunternehmen mehr in Europa, das den modernsten Stand der Mikroelektronik im entscheidenden Bereich der Höchstintegration in der Produktion beherrscht. Schaltkreise im Strukturbereich von 14 Nanometern (nm) und darunter, wie sie heute für Smartphones und andere Spitzenprodukte benötigt werden, können nur noch bei der amerikanischen Firma INTEL und bei den asiatischen Firmen TSMC (Taiwan) und Samsung (Südkorea) hergestellt werden. Globalfoundries (USA) versucht ebenfalls in New York (ausdrücklich nicht in Dresden) den Anschluss an diese Liga zu finden.

„Wer keine Kontrolle über die Herstellung der in einem Schaltkreis implementierten Systeme hat, kann auch nicht verhindern, dass Spionage-Subsysteme eingebaut werden.“

Damit sind in Europa die Hersteller von heute noch wettbewerbsfähigen Produkten (z. B. Autos, Flugzeuge und Telekommunikations-Infrastruktur-Ausrüstungen) künftig gezwungen, die entscheidenden Bauteile in den Ländern ihrer Hauptkonkurrenten zu kaufen. Das hat nicht nur rein kommerzielle Konsequenzen. Das hat auch viel mit Sicherheit zu tun: Sowohl mit Liefersicherheit aus erdbebengefährdeten oder politisch instabilen Regionen, aber auch mit nationaler Sicherheit. Wer keine Kontrolle über die Herstellung der in einem Schaltkreis implementierten Systeme hat, kann auch nicht verhindern, dass Spionage-Subsysteme eingebaut werden. Die NSA mutet gegen solche Möglichkeiten mit ihren Methoden geradezu vorsintflutlich an.

Nur 7 % Marktanteil an globaler Halbleiterproduktion

Aber nicht nur qualitativ hat Europa den Anschluss an die High-Tech-Entwicklung in der Welt verloren, auch quantitativ. Gegenwärtig beträgt der Anteil Europas an der Welt-Halbleiterproduktion etwa 7 %. Der Marktanteil am Verbrauch von Halbleiterbauelementen liegt bei derzeit rund 12 % – trotz der massiv nach Asien abgewanderten Geräteindustrien (Computer, Fernseher, Handys,…). Selbst wenn man nur den eignen Markt versorgen wollte, könnte Europa also seine gegenwärtige Halbleiterproduktion fast verdoppeln.

Die vorangegangen EU-Kommission hatte das Problem zumindest wahrgenommen, die Mikroelektronik als eine für Europas Wettbewerbsfähigkeit entscheidende Schlüsseltechnologien („Key Enabling Technology“ = KET) eingeordnet und u. a. das Ziel ausgerufen, bis zum Jahre 2020 einen Anteil an der Welt-Halbleiterproduktion von 20 % zu erreichen (siehe COM (2013) 298 final vom 25.3.2013 mit dem Titel „A European strategy for micro- and nanoelectronic components and systems“).

Aufholversuch unter Oettinger eingeschlafen

Inzwischen ist das Vorhaben bei der neuen Kommission unter Digitalkommissar Günther Oettinger eingeschlafen und im Gewirr der Banken-, Griechenland- und Flüchtlingskrise untergegangen. Im Gegenteil: zwei (noch) große Halbleiterhersteller in Europa, Globalfoundries in Dresden und ST Mikroelectronics in Grenoble, haben wegen massiver Auftragsrückgänge bei gleichzeitigem Mangel an Ideen erst jüngst Massenentlassungen angekündigt.

Chinesen investieren Milliarden in Mikroelektronik

So fällt Europa weiterhin hoffnungslos hinter den USA und Südost-Asien zurück, während die Chinesen gleichzeitig ein strategisches Aufholprogramm im Umfang von 240 Milliarden Dollar gestartet haben, das ihnen Wohlstand und Sicherheit bringen soll (siehe „The Economist“ vom 23. Januar 2016).

Autor: Bernd Junghans

Bernd Junghans. Foto: privat

Bernd Junghans. Foto: privat

Der Autor unserer Analyse, Bernd Junghans, studierte Halbleiterphysik und Elektronik in Moskau. 1976 bis 1992 arbeitete er in der zentralen Chipentwicklungs-Schmiede der DDR, im ZMD. Danach war er für die US-Unternehmen AMI (American Microsystems Inc.) und Simtek Inc. tätig. 2001 bis 2004 war er Entwicklungsvorstand der ZMD AG. Heute leitet Junghans das Dresdner Softwareunternehmen „Metirionic“ und ist Mitglied im sächsischen Hightech-Verband „Silicon Saxony“

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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