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Gedanken steuern heilende Videospiele

Sophie Schwab hat sich mit Gehirnstrom-Elektroden verkabelt - gleich wird sie mit der bloßen Kraft ihrer Gedanken Videospiele steuern. Foto: Heiko Weckbrodt

Sophie Schwab hat sich mit Gehirnstrom-Elektroden verkabelt – gleich wird sie mit der bloßen Kraft ihrer Gedanken Videospiele steuern. Foto: Heiko Weckbrodt

Neuro-Feedback-Therapie am Uniklinikum Dresden hilft ADHS-Kindern, im Alltag klarzukommen

Dresden, 25. Januar 2016. Videospiele mit bloßer Gedankenkraft zu steuern, klingt immer noch nach Science-Fiction. Tatsächlich aber setzen Mediziner diese Technologie bereits heute als Behandlungsmethode ein. Am Uniklinikum Dresden hilft die „Neuro-Feedback-Therapie“  hyperaktiven Kindern mit Aufmerksamkeits-Defiziten (ADHS), ihre spontanen Impulse im Alltag besser zu kontrollieren.

Junge wird zu keinem Kinder-Geburtstag mehr eingeladen

Gustav* ist 11 und vor ein paar Monaten zur Oberschule gewechselt. Seitdem will nichts mehr funktionieren: Die anderen Kinder meiden ihn mehr und mehr, die Lehrer beschweren sich bei Mutter und Vater über den ungezügelten Jungen – und Gustav fühlt sich einsamer denn je. Zu den Geburtstagen anderer Kinder wird er längst nicht mehr eingeladen, weil weder Schulkameraden noch Eltern mit ihm, dem unbändigen Kind, klarkommen.

Kurz nach Weihnachten wissen sich seine Eltern keinen anderen Rat mehr: Sie nehmen Gustav mit zur Kinderpsychiatrie am Uniklinikum Dresden. Dort diagnostizieren die Mediziner nach einigen Tests: Gustav hat ADHS, also eine „Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung“, wie es im Medizinerdeutsch heißt.

Etwa 5 % der Kinder in Deutschland haben ADHS

Oberärztin Dr. jessika Weiß. Foto: Heiko Weckbrodt

Oberärztin Dr. Jessika Weiß. Foto: Heiko Weckbrodt

Er steht damit nicht allein da: Etwa jedes 20. Kind in Deutschland hat ADHS, schätzen die Dresdner Mediziner. Pro Jahr kommen etwa 700 bis 800 Kinder wie Gustav zur Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie an der Dresdner Schubertstraße, vorgestellt meist von den besorgten Eltern. Nicht jedes dieser Kinder hat letztlich wirklich ADHS, aber die Zahl der Diagnosen ist in den vergangenen Jahren doch gestiegen, wie Oberärztin Dr. Jessika Weiß einschätzt. „Für diese jungen Patienten sind alle Reize, die im Alltag auf sie einprasseln, gleich wichtig“, sagt sie. „Sie sind meist nicht imstande, sich auf etwas bestimmtes zu fokussieren.“

„Weltmusik“ spielt für ADHS-Kinder ständig zu schnell oder zu langsam

Prof. Christian Beste hat das neurofeedback am Uniklinikum etabliert. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Christian Beste. Foto: Heiko Weckbrodt

Und mit der Diagnose „ASHS“ für Gustav wird auch für die Eltern klarer und klarer, warum ihr Junge solche Probleme hat, seine Emotionen und Impulse im Schulalltag zu zügeln, warum er ständig mit den Lehrern herumdiskutiert, keine Freunde behalten kann: Bei ADHS-Kindern funktioniert die Kommunikation zwischen den Hirnregionen nicht ganz richtig. Die Instanzen für Vernunft und Erfahrung greifen nicht bremsend ein, wenn den jungen Patienten eine spontane, vielleicht gar nicht so gute Idee überkommt. „Man kann sich das vorstellen wie wenn der Rhythmus in einem Konzert aus dem Takt gerät, wenn die Musik zu schnell oder zu langsam spielt“, vergleicht dies Prof. Christian Beste, der Leiter des Forschungsbereichs ‚Kognitive Neurophysiologie‘ am Uniklinikum. Er hat deshalb die erwähnte Neuro-Feedback-Therapie bei den Kinderpsychiatern etabliert, um kleinen Patienten wie Gustav zu helfen, wieder den richtigen Takt zu finden.

Balance der Gehirnwellen verschoben

Spezialisierte Mediziner können diese neurologischen Takt-Probleme ganz konkret ausmessen, durch Elektroden am Kopf. Bei ADHS-Kindern ist meist die Balance aus Theta- und Beta-Gehirnwellen verschoben: Theta-Wellen, die etwa vier bis acht Mal je Sekunde schwingen, bewirken zum Beispiel ein Zuwenig an Aufmerksamkeit, stehen für Tagträumerei. Betawellen (13 bis 22 Hertz) hingegen signalisieren eine Überaktivierung, die es den Patienten schwer macht, ihre Impulse zu zügeln.

Video: Dr. Annet Bluschke und Sophie Schwab
zeigen, wie die Neuro-Feedback-Therapiespiele funktionieren (hw):
 

Hirnströme steuern Rennautos

Die Neuro-Feedback-Therapie am Uniklinikum setzt eben da an: Die jungen Patienten bekommen für die Behandlungssitzungen Elektroden an den Kopf geheftet, die ihre Gehirnströme ausmessen und an einen Computer weiterleiten. Mit diesen ihren Gedankenströmen können die meist acht bis 14 Jahre jungen Kinder und Jugendlichen dann Videospiele auf einem Bildschirm lenken: Haben sie die Balance ihrer Hirnwellen zum Beispiel erfolgreich von Theta- hin zu Beta-Wellen verschoben, bewegt sich ein Akrobat über ein Seil, startet ein Flugzeug oder beschleunigt ein rotes Auto auf einer Rennbahn. Diese Spielreaktionen sind dann auch das „Feedback, die „Rückmeldung“, die der spielende Patient bekommt, wenn er seine Gedanken richtig zu kontrollieren trainiert hat.

Praktikantin Sophie Schwab (rechts) und Dr. Annet Bluschke demonstrieren, wie ADHS-Kinder mit Gedankenkraft Videospiele steuern und dadurch Kontrolle trainieren. Foto: Heiko Weckbrodt

Praktikantin Sophie Schwab (rechts) und Dr. Annet Bluschke demonstrieren, wie ADHS-Kinder mit Gedankenkraft Videospiele steuern und dadurch Kontrolle trainieren. Foto: Heiko Weckbrodt

„Ergebnisse sind sehr positiv“

Diese Videospiel-Therapie mag unorthodox klingen, aber die Uni-Psychiater sehen sich durch Erfolge bestätigt: „Wir haben bisher über 80 Patienten mit der Neuro-Feedback-Behandlung therapiert und die Ergebnisse sind sehr positiv“, erzählt Prof. Christian Beste. „Die Impulsivität geht deutlich zurück“, sagt er. Den jungen Patienten gelinge es dadurch besser, nicht jeder fixen Idee gleich zu folgen. Allerdings sei diese Therapie als Ergänzung, nicht als Ersatz für medikamentöse Behandlungen zu sehen, ergänzt die Uniklinik-Psychologin Annet Bluschke. Sie sei besonders geeignet, um eigenmotivierte Kinder und Jugendliche darin zu trainieren, in akuten Situationen sinnvoller als früher zu reagieren.

Uniklinik Dresden nun mit doppelt soviel Gedankensteuer-Spielcomputern

Daher wollen Professor Beste und seine Kollegen und Kolleginnen diese Therapieform auch ausbauen: Gab es bisher nur zwei Neuro-Feedback-Behandlungsplätze in der Klinik, sind es nun vier dieser ganz besonderen Gedankenkraft-Videospielstationen. Dadurch können nun 16 statt bisher zehn junge Patienten pro Woche therapiert werden. Und die Mediziner hoffen, dass sie mit ihren gedankengesteuerten Videospielen künftig mehr Kindern wie Gustav helfen können, in der Schule klar zu kommen, Freunde zu gewinnen und zu behalten – und letztlich glücklicher zu werden.

Autor: Heiko Weckbrodt

* fiktives Beispiel nach typischer Fallkonstellation am Uniklinikum Dresden

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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