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Patzelt: Einwanderung nicht als Elitenprojekt der Bevölkerung aufzwingen

Prof. Werner Patzelt im Stadtmuseum Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Prof. Werner Patzelt im Stadtmuseum Dresden. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner Politologe stellt Amtseid-Treue der Kanzlerin in Frage

Dresden, 4. November 2015. Der Dresdner Politologe Prof. Werner Patzelt hat mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingskrise vor einer Einwanderungspolitik gewarnt, die vom Wunsch der gesellschaftlichen Eliten nach einem multikulturellen, multi-ethnischen Deutschland dominiert werde, ohne das Volk nach dessen Wünschen zu fragen. „Ich halte es für fahrlässig, solch ein Elitenprojekt der Bevölkerung aufzuzwingen, ohne darüber mit dem Volk zu diskutieren“, sagte der TU-Professor gestern Abend während seines Vortrags „Was ist ein Volk?“ im überfüllten Festsaal des Stadtmuseums Dresden. Dies untergrabe letztlich die Demokratie. „Die Frage ist, ob die Kanzlerin mit ihrer derzeitigen Einwanderungspolitik ihren Amtseid strapaziert.“

Zusammengehörigkeit funktioniert nicht ohne Abgrenzung

Das „Zusammengehören-Wollen“ sei nun einmal ein ganz wichtiger Kitt für die Selbstdefinition eines Volkes und letztlich auch für eine funktionierende Demokratie in der Bundesrepublik. Und Zusammengehörigkeitsgefühl wiederum funktioniere „nicht ohne Abgrenzung zu ,den Anderen’“, betonte der Dresdner Politologe, der als intellektuelles Sprachrohr konservativer Bürger gilt. Er betonte indes auch: „Wir müssen aber aufpassen, dass wir aus dieser Abgrenzung keine puren Freund-Feind-Beziehungen konstruieren, dass darüber nicht die Barmherzigkeit auf der Strecke bleibt.“

Resonanz war Patzelt gewiss: Der Festsaal im Stadtmuseum Dresden war überfüllt, die Besucher standen bis vor die Türe. Foto: hw

Resonanz war Patzelt gewiss: Der Festsaal im Stadtmuseum Dresden war überfüllt, die Besucher standen bis vor die Türe. Foto: hw

Drohende „Umvolkung“?

Für seine kaum verbrämte Kanzlerinnen-Kritik bekam Patzelt vom (größtenteils seniorenlastigen) Publikum im Stadtmuseum viel Beifall: Ganz offensichtlich traf er den Nerv der Besucher mit seinen Warnungen vor einer drohenden „Umvolkung“ Deutschlands durch eine millionenstarke Zuwanderung aus muslimischen Ländern – auch wenn er da Termini verwandte, die auch von der fremdenfeindlichen Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) gern und oft eingesetzt werden.

Schulterschluss mit liberalen Muslimen suchen

Allerdings war der Saal anscheinend nicht voll von Pegidisten und Pegida-Sympathisanten, denn auch für seine liberalen Thesen bekam Patzelt lauten Beifall: Dass Deutschland eben einen Mittelweg finden müsse zwischen Assimilation und Abwehr. „Gerade hier im Osten Deutschlands ist die Vorstellung weit verbreitet, Religion sei etwas gestriges, das man hinter sich lassen müsse“, sagte Patzelt mit Blick auf die Islamisierungsängste der Pegidisten. Statt die Wertvorstellungen vieler Muslime zu verdammen und zu bekämpfen, könne es viel sinnvoller sein, den Schulterschluss mit liberalen, aufgeklärten Muslimen zu suchen. So dass zum Beispiel aus syrischen Flüchtlingen in Deutschland irgendwann „syrische Deutsche“ oder „deutsche Syrer“ werden.

Bindekraft durch gemeinsame Werte

Da in der aktuellen Debatte um Flüchtlinge offensichtlich bei vielen Menschen Ängste um einen Identitätsverlust durch muslimische Einwanderer mitschwingen, versuchte sich der Politologe an einer Definition, was eigentlich „ein Volk“ ausmache. Oft definiere sich ein Volk über eine gemeinsame – manchmal auch eher fiktive – Abstammungsgeschichte, sagte Patzelt. Das seien beispielsweise bei den Deutschen die Germanen und bei den Franzosen die Gallier – bei beiden aber auch gleichzeitig die Franken. Viele Bindekraft habe aber auch das „alltägliche Plebiszit“ des „Zusammengehören-Wollens“. Ein Volk, das sich primär und tagtäglich neu über gemeinsame Werte und Normen als zusammengehörig deklariere, sei auch offener für Zuwanderer. Die US-Amerikaner zum Beispiel, so Patzelt, definiere sich kaum über Abstammung, sondern vor allem über gemeinsame Werte wie Freiheit und Selbstverwirklichung. Wer diese teile, könne (zumindest in der Theorie) auch zu diesem Volk dazugehören.

Werden alle Menschen Brüder?

Freilich stelle sich heutzutage für viele die Frage, wieviel Sinn Konzepte wie Volk, Nationalstaat und Grenzen noch haben, so Patzelt. Ob nicht vielmehr Wanderbewegungen zu fördern und Nationen abgeschafft gehören, damit endlich „der Mensch den Menschen umarmt“, wie schon Schiller in seiner „Ode an die Freude“ forderte („Alle Menschen werden Brüder / Wo dein sanfter Flügel weilt / Seit umschlungen Millionen!“). Er persönlich aber finde, „dass es keinen Grund gibt, das, was an Deutschland gut und toll ist, vorzeitig aufzugeben“.

Autor: Heiko Weckbrodt

Hinweis: Der Vortrag „Was ist ein Volk“ gehört zur Veranstaltungsreihe „Grenzen in Zeiten der Entgrenzung“ der CDU-nahen „Konrad-Adenauer-Stiftung“. Nächste Veranstaltung: Prof. Herfried Münkler (Humboldt-Uni Berlin): „Staatsgrenzen und die militärische Schutzfunktion“, 10. November 2015, 19 Uhr, im Stadtmuseum Dresden, Wilsdruffer Str. 2, Eintritt gratis

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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