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Jugend im KZ

Horst Sindermann (links) mit Agitator Karl Eduard von Schnitzler, SED-Chef Walter Ulbricht und Hans Eisler (v.l.n.r.) bei einer Fernsehdiskussion 1963. Foto aus: "Vor Tageslicht"

Horst Sindermann (links) mit Agitator Karl-Eduard von Schnitzler, SED-Chef Walter Ulbricht und Hanns Eisler (v.l.n.r.) bei einer Fernsehdiskussion 1963. Foto aus: „Vor Tageslicht“

Autobiografie-Fragment von SED-Spitzenfunktionär Horst Sindermann posthum erschienen

Im Rückblick liegt es nahe, die ganze SED-Führungsspitze als Riege dogmatischer Greise zu verurteilen, die um ihres Machterhalts Willen ein ganzes Volk einmauerten – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Fragt man sich indes, warum sich die DDR-Oberen so verbissen an die Macht klammerten, über „die Sache“ alles stellten, so mag ein Blick in Memoiren wie die jüngst posthum erschienene Autobiografie-Fragment „Vor Tageslicht“ von Horst Sindermann (1915-1990) sinnvoll sein. Darin schildert der vormalige DDR-Regierungschef und Volkskammer-Präsident seine Jugend in der Weimarer Republik und die lange Haftzeit in den Zuchthäusern und KZs der Nazis.

Aufgewachsen im kommunistischen Milieu Dresdens

Und da zeigen sich eben viele autobiografische Momente, die Sindermann mit vielen anderen SED-Altgranden teilte, und die mit erklären mögen, warum der kommunistische Führungs-Zirkel die einmal von sowjetischen Gnaden errungene Macht nie wieder herzugeben bereit war. Aufgewachsen in einem sozialistisch-kommunistischen Elternhaus in Dresden, war der junge Sindermann beizeiten Lagerdenken gewöhnt: Hier die Kommunisten, die alle Gesetze der Menschheitsentwicklung dank Marx verstanden hatten, mit einer Partei im Rücken, die immer, aber auch immer recht hatte. Auf der anderen Seite die politischen Feinde, die es niederzuringen, und die Unwissenden, die es auf den Weg des Marxismus’ zu führen galt.

Häftling klammerte sich im KZ an kommunistischen Glauben fest

Und dann die „Machtergreifung“ der Nazis, der Überfall auf die übermächtig geglaubte Sowjetunion – Traumata, die selbst den Tod der Mutter überragten, der einzigen Angehörigen, an die sich der noch junge KZ-Häftling Sindermann in jener Zeit noch klammern konnte. Immerhin fast die ganze NS-Zeit über, bis zum Kriegsende, verbrachte er in Zuchthäusern, Gefängnissen und diversen Konzentrationslagern, zum Schluss nur noch ein ausgemergelter Schatten seiner selbst. Überstanden habe er diese furchtbare Zeit nur durch politische Schulung und den festen Glauben an den Sieg der Kommunismus, lässt Sindermann immer wieder durchblicken. Und angesichts dieser traumatischen Jugend mag es kaum verwundern, dass er und seinesgleichen wollten, dass sich derartiges nie wiederholt – da mag die eigene Diktatur nach 1945 dagegen wie das kleinere Übel erschienen sein.

 

Horst Sindermann. Foto aus: "Vor Tageslicht"

Horst Sindermann. Foto aus: „Vor Tageslicht“

Zitat Horst Sindermann:

„Ich war ja, wie mir Gestapoleute genüsslich mitgeteilt hatten auf Lebenszeit in das Konzentrationslager geschickt worden:“

 

 

 

Grabenkämpfe in Arbeiterbewegung verhinderten Einheitsfront gegen Nazis

Auch wenn ihn sei Weggefährte Egon Krenz – der letzte SED-Generalsekretär – im Vorwort als wenig dogmatischen Menschen schildert, der sich auch für Fehler bei DDR-Künstlern entschuldigen konnte: Sindermanns Schilderungen merkt man doch durch und durch an, wie wenig er gerade kommunistischen Dogmatismus oder die gravierenden Fehler der KPD je reflektiert hat. Kommt beispielsweise die Rede auf die Gründe, warum sich die NSDAP – obwohl eigentlich eine Minderheitspartei im Parlament – doch letztlich gegen die Arbeiterparteien durchsetzen kann, ist Sindermann hier immer noch ganz den überholten Dimitrowschen Faschismus-Theorien verhaftet. Allenfalls eine Randnotiz ist ihm der Gedanke wert, dass eine Einheitsfront von SPD und KPD gegen die Nazis vor allem an den Kommunisten selbst scheiterten, die die Sozis auf Stalins Geheiß als Erzgegner sahen und als „Sozialfaschisten“ beschimpften, ja lieber gelegentlich mit den Nazis selbst paktierten.

Als DDR-Regierungschef überfordert

Auf die Nachkriegszeit geht Sindermann leider nur noch kurz ein, obwohl gerade sein Aufstieg in den obersten Führungskreis interessant aus seiner Sicht zu lesen gewesen: Sindermann war zeitweise ZK-Agitationschef, später SED-Bezirkschef in Halle, drei Jahre lang sogar DDR-Regierungschef, später Präsident des SED-beherrschten DDR-Parlaments, der Volkskammer. In seinem Vorwort ergänzt der jüngere Krenz da den einen oder anderen Mosaik-Stein, lässt beispielsweise durchblicken, dass Sindermann zwar ein bescheidener und netter Kerl war, aber als Regierungschef einfach überfordert gewesen sei. Er habe oft den Bürgern „unrealistische Versprechungen“ gemacht, „die die Staatliche Plankommission weder materiell noch finanziell absichern konnte“, so Krenz.

Fazit: interessantes Zeitzeugen-Dokument

Für zeithistorisch Interessierte lohnt sich die Lektüre dieser 1987 bis 1989 geschriebenen „Teil“-Autobiografie, die zum 100. Geburtstag Sindermanns erschienen ist, aber trotz dieser Lücken. Denn das Buch erzählt uns doch viel über die Alltagskultur beispielsweise im Dresden vor der NS-Zeit und wirft ein bezeichnendes Licht auf das Handeln und Denken kommunistischer Funktionäre vor und nach 1933. Autor: Heiko Weckbrodt

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Horst Sindermann: „Vor Tageslicht“, Autobiografie-Fragment, Edition Ost / Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2015, 224 Seiten, ISBN 978-3-360-01871-7, 18 Euro, eine Leseprobe gibt es hier

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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