Wirtschaft

Druckerei-Techniker bekommen augengesteuerte Datenbrillen

In ersten Praxistests in einer Druckerei hat sich die Datenbrille laut KBA-Angaben bereits bewährt. Servicetechniker im Einsatz mit Datenbrille. Foto: KBA

In ersten Praxistests in einer Druckerei hat sich die Datenbrille laut KBA-Angaben bereits bewährt. Servicetechniker im Einsatz mit Datenbrille. Foto: König & Bauer

Zwickauer Hightech-Brille soll Reparatur von Planeta-Maschinen beschleunigen

Zwickau/Würzburg/Radebeul, 1. Oktober 2015. Service-Techniker in Druckereien bekommen künftig augengesteuerte Datenbrillen aufgesetzt, wenn eine Maschine kaputt geht. Per Videokonferenz führt dann ein Experte aus der Ferne den Mann oder die Frau vor Ort durch die Reparatur. Entwickelt haben diese Datenbrillen der Druckmaschinen-Hersteller „König & Bauer“ (KBA) und die „Westsächsische Hochschule Zwickau“ (WHZ). Die Partner wollen diese Innovation am 5. Oktober erstmals auf der Fachmesse „World Publishing Expo 2015“ (IFRA) in Hamburg vorführen. An dem Projekt ist auch die „König & Bauer“-Tochter „Planeta“ in Radebeul beteiligt.

Ein Auge frei, das andere blättert in digitalen Handbüchern

Das Konzept dahinter: Statt Handbücher im Betrieb zu wälzen oder einen Hilfstrupp vom Anlagenhersteller anrücken zu lassen, stellt sich der Druckerei-Mitarbeiter mit der Hightech-Brille auf der Nase vor die Anlage und übertragt mit den eingebauten Kameras und WLAN-Funk ein Live-Video an einen Spezialisten im  Herstellerbetrieb. Dieser Experte führt dann den Service-Techniker Schritt für Schritt durch die Reparatur und überträgt bei Bedarf digitale Handbücher, die in die Brille eingespiegelt werden. Um in diesen fernübertragenen Unterlagen zu blättern und die Brille zu steuern, muss der Reparateur nur sein Auge bewegen. Dabei werten Sensoren die Augenbewegungen des Trägers elektronisch aus („Eye Tracking“). Dadurch hat der Techniker an der Maschine die Hände frei, um während der Video-Konferenz die Störung zu beseitigen.

Stromversorgung per Gürtel-Box

Da die Brille „einäugig“ ist, kann der Monteur auf dem anderen Auge normal seine reale Umgebung sehen. Die Elektronik und Sensorik wird durch Wechsel-Akkus mit Energie gespeist, die der Techniker in einer kleinen Computer-Box, per Kabel mit der Brille verbunden, am Gürtel trägt. „Im Mittel sollte eine Betriebsdauer von ca. 8h gewährleistet werden“, betonte WHZ-Professor Rigo Herold. „Die derzeitige Akkutechnik ermöglicht es noch nicht, die hohe Akkuleistung ergonomisch direkt in die Datenbrille im Kopf zu integrieren. Trotz des Kabels vom Gürtel zum Kopf haben sich die Techniker jedoch positiv geäußert, da sie sonst komplett mobil sind.“

Eingebaute Kamerasensoren werten die Augenbewegungen der Trägerin aus und interpretieren sie als Steuerbefehle. Auf dem Monitor im Hintergrund ist dieses "Eye Tracking" visualisiert. Foto: WHZ/ET

Eingebaute Kamerasensoren werten die Augenbewegungen der Trägerin aus und interpretieren sie als Steuerbefehle. Auf dem Monitor im Hintergrund ist dieses „Eye Tracking“ visualisiert. Foto: WHZ/ET

KBA: Über 70 % aller Störungen per digitaler Fernassistenz lösbar

Dieses Konzept soll kostenfressende Stillstand-Zeiten in der Druckerei reduzieren, die Reparaturen beschleunigen und die Anfahrt von Spezialisten quer durchs Land sparen. Laut den Erfahrungen der Serviceabteilung der „KBA-Digital & Web Solutions“ könnten rund 70 bis 80 % aller Störungen an Druckmaschinen mit Fernassistenzunterstützung von Haustechnikern gelöst werden. „Ein typischer Fehler ist zum Beispiel, dass bei einem Aggregat-Tausch zwei fast gleich aussehende Netzwerkkabel vertauscht werden und der Haustechniker ohne Spezialistenhilfe den Fehler nicht erkennt“, schildern KBA und WHZ eine typische Konstellation. „Bei einer hochkomplexen Druckanlage ist der Haustechniker häufig mit der Problemstellung schlicht überfordert.“ Mit Hilfe der Datenbrille könne nun live ein Experte aus der Ferne dazugeschaltet werden, als ob er an der Maschine stehe. Die Praxistauglichkeit der Servicedatenbrille sei bereits in der Druckerei der Tageszeitung „Main-Post“ erfolgreich getestet worden.

Viele arbeiten an Datenbrillen – aber Masseneinsatz blieb bisher aus

Am Einsatz von Datenbrillen für private Nutzer und in der Industrie arbeiten weltweit zahlreiche Unternehmen und Institute. Sie sind aber von einem Masseneinsatz noch ein ganzes Stück entfernt. Vor allem der Spagat zwischen Leistungskraft, Stromverbrauch und Preis der Brillen bereitet den Ingenieuren noch einige Probleme. Besonders prominent sind die Datenbrillen-Projekte von Google („Google Glass“), Oculus VR („Oculus Rift“, inzwischen von Facebook übernommen) in den USA und Carl Zeiss („Cinemizer“). Aber auch mehrere sächsische Entwickler sind am Thema dran: das Fraunhofer-Institut FEP sowie ein Team in der „Von Ardenne GmbH“ in Dresden zum Beispiel und eben die Westsächsische Hochschule Zwickau.

Deutlich komakter (und hübscher) als bisherige Bildschirmbrillen à la "Cinemizer": Die interaktive OLED-Brille soll für den Durchblick in der realen wie der virtuellen Welt sorgen. Abb.: IPMS

Die interaktive OLED-Brille von Fraunhofer Dresden soll für den Durchblick in der realen wie der virtuellen Welt sorgen. Abb.: IPMS

Sächsische Datenbrille hilft auch tauben Kinogängern

Die Hochschule setzt auf ein eher einfaches, dafür relativ preiswertes Datenbrillen-Design: Früheren WHZ-Schätzungen zufolge sind Stückpreise um die 300 Euro ein realistisches Ziel. Verwendet wird die Zwickauer Brillen-Technologie beispielsweise schon, um schwerhörigen oder tauben Kinobesuchern Untertitel bei Filmvorführungen einzuspiegeln.

Hochschule Zwickau startet Datenbrillen-Studiengang

Und die Zwickauer Elektrotechnik-Tüftler um Prof. Rigo Herold sehen noch viele weitere Anwendungsszenarien für ihre Datenbrillen nahen – zum Beispiel für den neuen Trend hin zur „Industrie 4.0“ mit ihren hochautomatisierten vernetzten Fabriken. Daher haben sie nun einen neuen Studiengang an der WHZ initiiert, in dem Datenbrillen-Spezialisten ausgebildet werden sollen. „„Aufgrund unserer Forschungsaktivitäten und Auftragsforschungen für die Industrie zum Thema Datenbrille konnten wir uns in diesem neuen und zukunftsträchtigen Fachgebiet entsprechendes Know How erarbeiten, das wir jetzt in die praxisorientierte Studentenausbildung einsetzen können“, betonte Prof. Rigo Herold, Professor für Digitale Systeme. Autor: Heiko Weckbrodt

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt