Forschung

Dresdner Raketenmänner greifen nach den Sternen

Projektleiter Dr. Olaf Przybilski prüft, ob die vorgefertigten Komponenten für die Mira-Rakete auch zusammenpassen. Foto: Heiko Weckbrodt

Projektleiter Dr. Olaf Przybilski prüft, ob die vorgefertigten Komponenten für die Mira-Rakete auch zusammenpassen. Foto: Heiko Weckbrodt

TU-Ingenieur Dr. Olaf Przybilski will in Sachsen den Neustart für eine deutsche Raketenindustrie wagen

Dresden, 23. September 2015. Ein Forschungsprogramm der TU Dresden soll Deutschland nach über 70 Jahren den Wiedereinstieg in die Flüssigbrennstoff-Raketentechnologie ermöglichen: Im Frühjahr 2016 wollen Dr. Olaf Przybilski und sein Team vom Institut für Luft- und Raumfahrttechnik in Großenhain nördlich von Dresden die erste „Mira“-Kleinrakete zünden. „Dies wäre dann der erste Start einer Flüssigkeits-Rakete auf deutschem Boden seit dem II. Weltkrieg“, überlegt der Ingenieur und Technikhistoriker.

Ausgründung SRT soll Trägersystem kommerziell vermarkten

Gelingt der Test und finden sich genügend Finanziers, möchten die Raketeningenieure den Prototypen zu einem größeren, praxistauglichen Träger-System für Kleinst-Satelliten weiterentwickeln. Mit der „SRT Sächsische Raketen Technik UG“ haben sie im Juli 2015 aus der Uni heraus bereits ein Unternehmen ausgegründet, das diese neuen Trägerraketen konstruieren und kommerziell vermarkten soll. „Nicht nur ich sehe da großes Marktpotenzial“, sagt Olaf Przybilski.

Visualisierungs-Video
von "Smart Rockets":
 

Prognose für 2020: Raketenbedarf für über 400 Mikrosatelliten pro Jahr

Schenkt man beispielsweise den Analysen der US-Raumfahrtfirma „SpaceWorks“ Glauben, dann wollen private Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Militär schon heute gerne über 100 Mikro- und Nanosatelliten jährlich ins All schießen. Ab 2020 steigt der Bedarf laut dieser Einschätzung auf 410 bis 543 solcher Starts pro Jahr.

Mini-Satelliten für rasche Erderkundung

Im Fokus stehen dabei besonders kleine Satelliten der Gewichtsklasse zwischen 1 und 300 Kilogramm, die von einem niedrigen Orbit aus die Erdoberfläche filmen und fotografieren, Messdaten sammeln oder Kommunikationsverbindungen etablieren. „Denken Sie beispielsweise an die Möglichkeiten bei einem militärischen Konflikt wie in der Ukraine“, beschreibt Przybilski ein solches Szenario. „Mit einer Rakete, wie wir sie projektiert haben, könnten wir innerhalb einer Stunde startklar sein und einen Kleinstsatelliten im erdnahen Orbit platzieren. Der könnte dann mit hochaufgelösten Aufnahmen schnell ermitteln, ob sich die Konfliktparteien an einen Waffenstillstand beziehungsweise Truppenabzug halten oder nicht.“

Die Visualisierung zeigt die Mira-Rakete und ihr Innenleben: In der blauen Spitze wird der Fallschirm untergebracht. In der grün-schwarzen Komponente dahinter stecken die Bordelektronik, das GPS-Ortungssystem, die Kamera und weitere Instrumente. Der gelbe Behälter dahinter enthält den Stickstoff, der wiederum den flüssigen Sauerstoff und das Ethanol aus den Tanks drückt. Ganz hinten, zwischen den Stabilisator-Flügeln, sind Injektor, Brennkammer und Düse zu sehen. Visualisierung: Smart Rockets

Die Visualisierung zeigt die Mira-Rakete und ihr Innenleben: In der blauen Spitze wird der Fallschirm untergebracht. In der grün-schwarzen Komponente dahinter stecken die Bordelektronik, das GPS-Ortungssystem, die Kamera und weitere Instrumente. Der gelbe Behälter dahinter enthält den Stickstoff, der wiederum den flüssigen Sauerstoff und das Ethanol aus den Tanks drückt. Ganz hinten, zwischen den Stabilisator-Flügeln, sind Injektor, Brennkammer und Düse zu sehen. Visualisierung: Smart Rockets

Zielmarkt unterhalb der Riesen-Raketen von NASA & Co.

Um solche Mikro- und Nanosatelliten aber zügig starten zu können, fehlen derzeit noch weitgehend die Trägersysteme: Die riesigen Geschosse von NASA, ROSKOSMOS oder ESA sind vor allem dafür ausgelegt, Menschen und große Nutzlasten ins All zu befördern. Starttermine für Kleinst-Satelliten sind da nur schwer zu bekommen.

Chance für Mira-Raketen in Marktnische

Mit ihren „Mira“-Systemen und deren Nachfolgern wollen die Dresdner Ingenieure insofern eine Marktnische besetzen: Kleinstraketen mit rund 18 Tonnen Startmasse, die mit einem Gemisch aus hochprozentigem Alkohol und Flüssig-Sauerstoff angetrieben werden und eben solche Kleinstsatelliten in Umlaufbahnen in 200 bis 300 Kilometern Höhe bringen. Zum Vergleich: Die kleinste ESA-Rakete „VEGA“ mit Feststoff-Antrieb wiegt rund 137 Tonnen. Und die internationale Raumstation ISS umkreist in etwa 400 Kilometern Höhe die Erde, geostationäre TV- und Wetter-Satelliten in etwa 35.000 Kilometern.

Schon als Kind habe er sich für Raumfahrt und Raketentechnik begeistert, erzählt Olaf Przybilski. Seit nunmehr über 30 Jahren beschäftige er sich mit der Geschichte der Raketenforschung vor allem in Deutschland. „Irgendwann hatte ich soviel Informationen und Theorie aufgesaugt, dass ich mir gesagt habe: Was die damals in den 1930er und 40ern konnten, das kann ich auch.“

Das „Smart Rockets“-Team hat sich am Flugplatz Großenhain eine Werkstatt eingerichtet, um die Raketenteile am Startplatz anpassen zu können. Foto: Jens Dziewiencki

Das „Smart Rockets“-Team hat sich am Flugplatz Großenhain eine Werkstatt eingerichtet, um die Raketenteile am Startplatz anpassen zu können. Foto: Jens Dziewiencki

Erste Tests erfolgreich

2012 war es dann soweit: Das „Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt“ (DLR) und das Bundesforschungsministerium bewilligten Geld für Przybilskis „Smart Rocket“-Projekt. Seither konstruiert der inzwischen 55-jährige Ingenieur zusammen mit zwei Assistenten und einem wechselnden Team aus zehn bis 30 Raumfahrt-Studenten einen ersten Raketen-Demonstrator. Die leichte Aluminium-Hülle entsteht derzeit in den TU-Werkstätten in Dresden-Johannstadt, während das Kernteam vor allem am Herzstück der „Mira“-Rakete feilt: der Brennkammer aus Hightech-Keramiken, die Temperaturen bis zu 1500 Grad Celsius standhalten wird. Erste Brenntests mit elektrischer Fernzündung auf dem Testgelände „Rudolf Nebel“ auf dem Großenhainer Flugplatz verliefen im August und September erfolgreich. Frühestens im März 2016 könne das Team den ersten Mira-Start wagen, kündigt Przybilski an.

Brenntests mit dem Treibstoff-Injektor auf dem Testgelände in Großenhain. Foto: Jens Dziewiencki

Brenntests mit dem Treibstoff-Injektor auf dem Testgelände in Großenhain. Foto: Jens Dziewiencki

Team sucht Sponsor für Raketen-Premiere

Allerdings müssen die Raumfahrt-Enthusiasten noch einige Probleme lösen, bevor sie an eine größere Rakete oder gar eine Serienfertigung denken können, und zwar nicht nur technologische: „Im Moment haben wir nicht einmal mehr Geld, um den Demonstrator zu starten“, sagt Przybilski. Er hofft nun, dass ein privater Sponsor die fehlenden 5000 Euro zuschießt. „Im Gegenzug kann er auch gerne seinen Namen auf die Rakete anbringen oder sogar den Startknopf drücken.“

Weltraumbahnhof in Südafrika im Visier

Neben dem Kapital für die Weiterentwicklung der „Mira“ muss das Team zudem auch einen neuen Weltraumbahnhof finden: Da der Prototyp, der 2016 gestartet wird, zunächst nur die Tragfähigkeit des Konzepts beweisen soll und lediglich ein paar Hundert Meter hoch aufsteigen muss, ist Großenhain als Startplatz zwar noch okay. Wenn die Nachfolgemodelle aber ein paar Dutzend und dann Hunderte Kilometer hochfliegen sollen, ist der Lokalflughafen nicht mehr ausreichend. „Ich eruiere derzeit mit südafrikanischen Kollegen einen Startplatz nahe Kapstadt“, erzählt der Ingenieur.

„Studenten rennen uns die Bude ein“

Er ist trotz aller finanziellen, logistischen und technologischen Hürden, die noch zu überwinden sind, fest überzeugt, dass sein Projekt Zukunft hat und für ganz Sachsen einen Schub bedeuten würde: „Neben der Uni in Stuttgart bildet die TU Dresden im deutschen Vergleich die meisten Luft- und Raumfahrt-Diplomingenieure aus“, sagt Przybilski. „Mit neun Studenten haben wir 1997 am Institut angefangen, inzwischen sind es mehr als zehnmal soviele:“ Auch das Interesse, die Theorie in der Praxis zu erproben, sei groß. „Die Studenten rennen uns hier die Bude ein, um bei unserem Projekt mitzumachen.“

Vision: Sächsische Raketenindustrie mit Millionen-Umsätzen

Doch nach dem Studium wandern die meisten Absolventen in andere Bundesländer oder ins Ausland ab, weil es in Sachsen kaum berufliche Perspektiven für sie gibt. „Wenn es uns aber gelingen sollte, mit der SRT ein richtiges Raketenbau-Unternehmen zu etablieren, dann sähe das ganz anders aus, dann könnte dies in Dresden zu Millionen-Umsätzen und vielen neuen Jobs führen“, ist sich der Raumfahrt-Enthusiast sicher. Autor: Heiko Weckbrodt

-> Weitere Infos zum Projekt gibt es in der nächsten Ausgabe des Uni-Journals der TU Dresden

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt